Gerüchte besagen, der große Maler Vincent van Gogh habe sich seinerzeit vor Wut und Frust abgeschnitten, weil sein Lieblingssenf, der ABB-Mostert aus Düsseldorf, in Südfrankreich partout nicht zu kriegen war. Jeder ächte Düsseldorfer würde vermutlich ebenso reagieren, denn ein Leben als Düsseldorfer ist ohne ächten Düsseldorfer Mostert kaum vorstellbar. Leider hat die unermüdliche Marketingmaschine der Firma Löwensenf, die dem Münchner Feinkostkonzern Develey gehört, ein wenig überdeckt, dass es eben der Mostert der seligen Witwe des Adam Bernhard Bergrath ist, der ächt und typisch ist – so ächt, dass er durch EU-Recht geschützt ist. Aber auch der Löwensenf in seinen Schärfeabstufungen ist typisch für Düsseldorf, auch wenn er nach dem Dijon-Verfahren hergestellt wird. Das wurde schon im 14. oder 15. Jahrhundert entwickelt als Dijon das französische Monopol zur Senfherstellung innehatte. Außerhalb unserer wunderschönen Stadt steckt also der Löwensenf inzwischen als Düsseldorfer Spezialität in den Köpfen der Leckeresser.

Nun ist aber der Löwensenf, der nach einem eigenen Reinheitsgebot ausschließlich aus Senfsaar, Branntweinessig, Trinkwasser und Salz hergestellt wird, besonders in der Abstufung „mittelscharf“ so einzig im Geschmack, dass genau diese Variante draußen in der Welt als „Düsseldorfer Senf“ betrachtet wird. Übrigens: Senf, nicht Mostert. Denn nur letzteres Wort wird der ächte Düsseldorfer für die Würzpaste aus Senfkörnern im Munde führen. Obwohl in dieser Bezeichnung – ähnlich wie im in Nord- und Ostdeutschland als Synonym für Senf verwendete Mostrich oder auch die englischen („mustard“) und französischen („moutard“) – das Wort Most vorkommt, wird mindestens seit der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert Senf in Düsseldorf mit Essig erzeugt und nicht mit angegorenem Traubensaft. Wobei überhaupt nicht gesichert ist, dass diese Zutat je in der industriellen Fertigung verwendet wurde. Ja, industriell: Tatsächlich gründete ein gewisser Wilhelm Esser schon 1726 eine Senffabrikation in Düsseldorf – ABB entstand nach einigen Ehen und einigem Vererben, führte aber die Familientradition bis zum endgültigen Verkauf im Jahr 1965 weiter.

Alle Verfahren der Senfherstellung beruhen auf einem Handwerk, das in römischer Zeit, eventuell aber schon viel früher in Kleinasien oder Persien bestand. Nämlich aus der Saat verschiedener Arten der Senfpflanze, die fast überall auf der Welt vorkommt. Möglicherweise ist also Senf auch die allererste Form einer Würzpaste überhaupt. Grundsätzlich werden Senfkörner gemahlen oder geschrotet und dann mit Essig (ebenfalls eines der ältesten Würzmittel überhaupt) fermentiert. Dabei werden nicht nur ätherische Öle, die für das Aroma zuständig sind, freigesetzt, sondern diverse andere Inhaltsstoffe – zum Beispiel solche, die als Emulgator wirken, also helfen, Wässriges mit Öligem zu verbinden. Und besonders wegen dieser Eigenschaft von Senf ist der Mostrich so ein wichtiger Bestandteil der Küchenprodukte.

Vinaigrette und andere Salatsoßen
Die einfachste Art, einen Blatt- oder gemischten Salat anzumachen, ist es, Essig und Öl drüber zu geben. Da kann von Soße (nein, das Wort „Dressing“ findet bei uns nicht statt!) nicht die Rede sein. Erst die klassische Vinaigrette, die ebenfalls auf Essig und Öl basiert, trägt diese Bezeichnung zu Recht. Und damit sich das Saure mit dem Fetten vereinigt, kommt in der klassischen Vinaigrette eben Senf als Emulgator zum Einsatz. Um eine Vinaigrette für vier Portionen Beilagensalat zu kreieren, brauchst du: einen Teelöffel Senf, gewürzt mit Salz und gemahleneme Pfeffer, ein bis anderthalb Esslöffel Essig sowie zwei bis drei Esslöffel Öl. Das wird gut verrührt, und -schwupps- fertig ist die Soße. Tipp: Emulgiert der Senf nicht ausreichend, sodass die Bestandteile sich trenne, helfen ein paar Tropfen Milch, die hineingeschlagen werden. Aus gutem Grund habe ich weder den Senf, noch den Essig oder das Öl spezifiziert, denn bei diesen drei Komponenten sind zig Variationen möglich. Übrigens: Senf, der nach dem Dijon-Verfahren hergestellt wurde, emulgiert besser als zum Beispiel Mostert oder die neuerdings angesagten handwerklichen Senfarten.

Ganz verschiedene Salatsoßen können auf Vinaigrette-Basis entstehen, zum Beispiel durch Hinzufügen von weiteren Gewürzen und Kräutern. Weil Ei und Senf prima zusammenpassen, ergibt das Verrühren von gehacktem, hartgekochten Eigelb mit einem nicht zuscharfen Senf eine Paste, die mit Wasser auf Soßenstärke gebracht werden kann.

Die klassische Senfsoße
Ein typisches Armeleuteessen der Nachkriegszeit hieß „Eier in Senfsauce“ und wurde mit Salzkartoffeln und grünem Salat serviert. Dabei entstand die Senfsauce auf Basis einer Mehlschwitze oder eher einer Bechamelsoße, in die mehr oder weniger viel Senf eingerührt wurde. Kann man so machen, muss man aber nicht, weil es auch möglich ist, eine schöne Senftunke zu fabrizieren. Grundlage ist dann eine Sahne-Weißwein-Reduktion. Dabei wird Sahne mit Weißwein aufgekocht und mit Salz und Pfeffer gewürzt. Geschmack und Volumen gibt heiße Hühner- oder Gemüsebrühe, die mit gekocht wird. Dann kommt Senf hinzu; eher ein mittelscharfer. Das alles wird am Ende mit einem Eigelb legiert. Tipp: Das Eigelb zum Legieren vorher mit ein, zwei Esslöffeln lauwarmen Wasser verschlagen und erst dann in die Soße rühren, wenn diese nicht mehr kocht, sondern eßwarm ist.

Eine delikate ABB-Altbier-Soße
Für Senfsaucen wird man eher zu den milden oder gar süßen Sorten greifen, weil zu große Schärfe die feine Weißwein-Sahne-Reduktion überdeckt. Aber: Weil der ABB-Mostert einen ganz ungewöhnlichen, malzigen Geschmack hat, eignet er sich für diese Tunke auch sehr gut. Aber am besten schmeckt’s, wenn der ABB-Mostert mit dem Lieblingsgetränk des Düsseldorfers verheiratet wird: dem Altbier. Von einer Altbier-Sahne-Reduktion nehmen wir Abstand, sondern erzeugen diese ABB-Altbier-Senfsoße zu einem Schmorgericht; im Beispiel ein Ragout aus Rindfleisch, das in recht große Würfel geschnitten, mehliert und im Schmorpott nicht zu scharf angebraten wird. Hinzu kommen reichlich geschälte und geviertelte Zwiebeln. Dann wird mit einem Glas Alt – bevorzugt von einer der Hausbrauereien – abgelöscht. Salz und Pfeffer kommen hinein und ein Gewürzei mit Piment, Wacholder und Lorbeer. Nun wird mit Alt aufgefüllt und die Sache dem Schmoren überlassen.

Ist das Fleisch weich und hat es seinen Geschmack ans Bier abgegeben, werden die Brocken und diee zerfallenen Zwiebeln sowie das Gewürzei rausgeholt. Der Sud muss dann auf ungefähr die Hälfte einkochen bevor mehrere Esslöffel ABB-Mostert mit dem Schneebesen eingerührt werden. Wieviel hängt vom persönlichen Geschmack ab, du kannst ja nach jedem Löffel entscheiden, ob’s genug ist. Die ABB-Altbier-Tunke muss noch mal aufgekocht und abgewürzt werden – in der Regel gehört eine gute Prise Zucker dazu; ächte Rheinländer rühren stattdessen ein wenig Rübenkraut hinein. In der Tunke wird das Fleisch dann aufgewärmt.

Krusten aus Senf
Der legendäre Düsseldorfer Senfrostbraten ist kein Braten, sondern ein dickes Rumpsteak, das im Ofen oder unter dem Grill mit einer delikaten Kruste aus Senf und Zwiebeln versehen wird. Dazu wird eine Masse aus sehr, sehr klein gewürfelten Zwiebeln, ächtem ABB-Mostert oder mittelscharfem Löwensenf und wahlweise ein bisschen Sahne und/oder Paniermehl erzeugt. Sind die Steaks richtig, wird eine Seite leicht bemehlt und die Masse gut daumendick aufgetragen. Die Stücke kommen dann in den Ofen und verbleiben dort bis die Kruste goldgelb und an manchen Stellen schon braun ist. Übrigens: Noch feiner wird’s, wenn du die Zwiebelwürfelchen in heißer Butter weichkochst.

Solche Krusten auf Senfbasis kommen in vielen Fleisch- und auch Fischgerichten vor, wobei dann seltener Zwiebeln mitspielen, aber fast immer Kräuter, geröstete Brotwürfel und verschiedene Aromaten. Eine wunderbare Kruste entsteht, wenn der Senf mit Zitronen-, Limetten- oder Orangensaft aromatisiert wird. Halt kriegt die Masse notfalls durch beigefügtes Eiklar.

Süßer Senf und Senf mit Zusätzen
Süßer Senf gehört zur bayerischen Küche, aber dort eben einfach als Würzpaste – zum Beispiel zum Leberkäs oder zur Weißwurscht. Süß ist der, weil er a) ganz oder teilweise aus gerösteten Körner erzeugt wird und b) man ihn mit Zucker oder Apfelmus süßt. Aber das verhindert auch jede sinnvolle Anwendung beim Kochen, denn süßer Senf fällt beim Erwärmen auseinander. Deshalb spielt er nur in gewissen Salaten eine Rolle. So kann in allen Salaten, die normalerweise mit Majonäse angemacht werden, eine Art Vinaigrette aus süßem Senf und Zitronensaft oder Apfelessig angerührt und verwendet werden. Bei diesen Salatsoßen auf Basis von süßem Senf kann auf Öl verzichtet werden. Sehr gut passt süßer Senf zu Fisch, besonders zu gekochtem oder gedünsteten Fisch.

Körniger Dijon-Senf wird gelegentlich als „Gourmetsenf“ bezeichnet und findet in der klassischen französischen Küche oft Verwendung. Weil das Körnige – ähnlich wie beim süßen Senf – aus gerösteter Senfsaat besteht, ist dieser Senf weniger scharf und meist mit einem sehr vollen, runden Aroma gesegnet. Wenn in einem Rezept aus der Franzosenküche nach „moutard“ verlangt wird, ist fast immer dieser körnige Dijon-Senf gemeint. Besonders aromatisch ist eine Variante, die ganz leicht mit Honig gesüßt wurde.

Die vielen derzeit angebotenen Senfsorten mit fremden Geschmack, sind samt und sonders völlig überflüssig. Denn jeder, der einen Kochlöffel richtig herum halten kann, wird in der Lage sein, aus mildem Löwensenf und Obst oder Kräutern oder zusätzlichen Gewürzen einen aromatisierten Senf herzustellen. Solche Sorten, die dann nach Aprikosen, Chilli, Estragon oder sonstwas schmecken, mögen als Beilage zu Wurst und Käse lecker sein, spielen beim Kochen aber keine Rolle.

Die Senfpalette
Welche Senfsorten sollte der verantwortungsvolle Familienkoch also im Kühlschrank haben? Wir Düsseldorfer MÜSSEN IMMER einen Topf ABB-Mostert im Vorrat halten und ein Glas mittelscharfer Löwensenf. Für die Vinaigrette sollte außerdem ein GUTER Dijon-Senf da sein. Und ein Glas süßer Senf von Händelmaier schadet auch nicht. Wer oft französisch kocht, schafft zudem eine Portion vom körnigen Dijon-Senf an.

Und, bitte: Senf gehört nicht in die Tube – das ist kulturlos! Zweitens: Senf in Großgebinden, die dieselbe Form haben wie diese riesigen Ketchup-Flaschen, ist ekelhaft. Und drittens muss Senf nicht im Kühlschrank aufbewahrt werden, aber kühl und unbedingt vor Licht geschützt, was wieder nahelegt, das Zeug im Kühlschrank aufzubewahren. Dort hält Senf sich fast ewig.

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