Jeder Mensch, der halbwegs bei Verstand ist und einen Hauch von Durchblick hat, weiß, dass der fossilbetriebene Autoverkehr sterben muss. Und zwar subito. Sonst ist das Ökosystem Erde kaum noch zu retten. Jeder Mensch, der Verantwortung für Verkehrspolitik trägt, ist also dringendst gehalten, die Leute aus der Motorkiste zu kriegen und ihnen eine andere Mobilität beizubiegen. Und die muss sich zukünftig in urbanen Gebieten aus drei Komponenten zusammensetzen: 1. ÖPNV 2. Fahrrad 3. Elektrovehikel – mit scharfer Priorität der Punkte 1 und 2, weil der elektrifizierte Individualverkehr dank der Inkompetenz deutscher Automanager nicht in die Puschen kommt. Noch einmal: Städter MÜSSEN auf Bus und Bahn und Bike umsteigen. Rasch! Weil aber gerade der ÖPNV ein erheblich schlimmes Image hat, müssten die versammelten Marketingfuzzis von Deutscher Bahn und regionalen bzw. lokalen Verkehrsbetrieben alles dran setzen, das Bild von Bus & Bahn in den Köpfen der potenziellen Nutzer heftig zu verbessern. Leider müssen diese „Kreativen“ dabei im Prinzip Kacke als Gold verkaufen, denn in der Realität wird das Angebot des ÖPNV in den großen Städten – demnächst auch in Düsseldorf – dauernd schlechter. Aber bei uns in NRW gibt es ja das „Kom­pe­tenz­cen­ter Mar­ke­ting NRW c/o Ver­kehrs­ver­bund Rhein-Sieg GmbH“, das sich auf die Fähnchen hat drucken lassen, den „NRW-Tarif und zu anderen landesweiten Nahverkehrsthemen“ zu – aufgepasst! – vermarkten.

Hip und cool und total viral
Also nicht: Menschen davon überzeugen, umzusteigen. Nein, Tarife vermarkten. Und weil ja Reklame für öffentliche Sachen im Sozen-Land ausgekungelt wird, kommt u.a. eine Werbeagentur zum Zuge, die sonst auch immer gern bei so Ruhr-Themen zum Zuge kommt, weil sie im Ruhrgebiet sitzt, wo dern Sozen-Klüngel das Sagen hat. Und so brütete das Kompetenzcenter im Verein mit den Werbefuzzis eine Kampgane aus, die Pendler von der Autobahn in die Züge und Bussen locken sollte. Und weil man einen auf hip und cool und viral machen wollte, erdachte man eine Fernsehserie für YouTube namens „Pendler und andere Helden„. Mit ironisch-nervösem Augenzucken präsentiert man vier hippe und coole Klischeetypen namens Sarah (die Hübsche), Yannik (der Digitalnerd), Serkan (der Quotentürke) und Chris (der Protospießer) und schickt sie in kleine, völlig unwitzige Videoclips, die man auf YouTube verstrahlt.

Am Ende jedes Drei- bis Vierminüters kommt raus, dass es einfach hip und cool ist, mit Bus und Bahn zu pendeln. Ja, nee, ist klar. Die Macher bemühen sich, die aktuelle Popkultur anzuzapfen, haben eine hektische Mucke basteln lassen und die Cutter angewiesen, so richtig total überraschende Schnitte zu fahren. Vermutlich hätten sie aber auch einfach 20 Folgen à drei Minuten ungeschnittenen Regionalexpress abfilmen und in einen YouTube-Kanal pressen können, denn die Serie „Pendler und andere Helden“, die im September mit einer VVR-weiten Großplakatkampagne(!) promotet wurde, interessiert so gut wie keine Sau. Die Zahlen: Laut SimilarWeb hatte die Website der Kampagne im September einen Höhepunkt mit rund 4.000 Besuchen; im Oktober waren es dann noch 2.000 Visits, Tendenz fallend; was durch einen Alexa Traffic Rank (Global) von 5,386,693 erhärtet wird. Also haben 5,3 Millionen andere Websites mehr Besuche; bei Werten schlechter als ca. 1,5 Mio gelten Websites als praktisch unsichtbar. Nicht besser sieht es bei den einzelnen Clips aus. Spitzenreiter ist die erste Folge mit rund 37.500 Views, die Werte sinken zur 15. Folge auf knapp die Hälfte, und die beiden aktuellsten Folgen ziehen nur noch knapp 10.000 bzw. 7.500 Besuche. Auf Facebook haben kaum 2.400 User auf „Gefällt mir“ geklickt. Und weil so wenige echt lebende Jungmenschen sich den Kram angeguckt haben, erfinden die Betreiber unter der hip und cool gestalteten Rubrik „Netzgezwitscher“ (Neiiien, wie originelllll!) begeisterte Stimmen, die so unecht sind, dass man es kaum glauben mag.

Das wunderhübsche Bundesland NRW mit seiner herrlichen Landeshauptstadt hat bekanntlich rund 17,5 Millionen Einwohner. Der Anteil der Zielgruppe (18- bis 30-jährige) dürfte bei ungefähr einem Drittel, also vielleicht 5,5 Millionen junger Frauen und Männer liegen. Das heißt, dass theoretisch 5.500.000 Individuen die Möglichkeit hatten, die Plakate zu sehen, dann auf die Website der Kampagne zu gehen oder gleich auf den YouTube-Kanal. Tatsächlich taten dies nicht einmal ein Prozent der Zielgruppe. So etwas nennt man dann wohl einen Flop, und man könnte sich auch ausrechnen, was die ganze bescheuerte Aktion gekostet hat, wieviel Geld, das der Optimierung des ÖPNV fehlt, verbraten wurde.

ÖPNV-Reklame, irgendwie herzlos
Was das Kompetenzcenter Marketing NRW kann, das wollte sich die jute, alte Tante Rheinbahn auch gönnen. Und engagierte dieselbe Agentur mit einer fröhlichen Euphemismus-Kampagne. Bekanntlich kommt die sinnlose Wehrhahnlinie zur Förderung des Autoverkehrs in der schönsten Stadt am Rhein, und die Verkehrsverplaner nehmen das zum Anlass, das Netz auszudünnen. Weil die Schuldigen ahnen, dass dies dem Image des ÖPNV in der Stadt nicht gut tun wird, haben sie also wieder Marketingfuzzis beauftragt, aus Kacke Gold zu machen.

Sara erklärt uns die dolle Kampagne "Netz met Häzz"

Die Sara erklärt uns die dolle Kampagne „Netz met Häzz“

Weil man sich an den potenziell verärgerten Rheinbahn-Kunden anschleimen muss, nannte man die Kampagne „Netz met Häzz“, und Sara liefert die Erklärung gleich mit. Es ist ja schon einigermaßen perfide zu suggerieren, durch das ausgedünnte Straßenbahn- und Busnetz kämen die Düsseldorfer schneller zu ihren Lieblingsplätzen. Tatsächlich – um nur ein Beispiel zu nennen – werden die Gerresheimer es schwerer haben in und aus der Alstadt zu kommen; besonders abends und nachts.

Auch hier setzt man, allerdings ein wenig halbherzig, auf Hip- und Coolness und duzt die Leser der Kampagnen-Website vorsichtshalber. Dazu hat man ein paar Stadt-VIPs (Größenordnung Josef Hinkel, Manni Breuckmann und Christof Kreutzer) ein Pappherz in die Flossen gedrückt und ihnen in den Mund gelegt, welches ihr per ÖPNV erreichbarer Lieblingsplatz ist. Wetten, dass man keine dieser Identifizierungsfiguren je in einer Straßenbahn, geschweige denn einem Linienbus begegnen wird? Geschenkt. Die Kreativen setzen darauf, dass die Bürger es ganz doll finden, wenn ihnen die immergleichen Visagen was vorlügen. Also sollen auch Sarah und Serkan Normalverbraucher ihre Lieblingsplätze benennen und was dazu sagen. Das wäre dann der Mitmachfaktor, und zu gewinnen gibt’s auch was. Vermutlich ist der erste Preis ein Ticket 2000, der zweite Preis zwei Tickets und so weiter.

Das Ganze läuft bereits seit Juli mit einigem Aufwand. Die Leuchtwerbeflächen an den Rheinbahnwartehütten sind mit „Netz met Häzz“-Plakaten gepflastert, und auch sonst sieht man die Kampagne an verschiedenen Stellen. Fragt sich nur, wieviele der potenziell rund 500.000 Rheinbahnkunden (wenn man mal nur die Menschen nimmt, die überhaupt Lieblingsplätze haben und beschreiben können) sich für diese anbiedernde Kampagne interessieren. Schauen wir uns auch hier die Zahlen an. Alexa liefert einen Traffic Rank jenseits der 19-Millionen(!)-Marke, und SimilarWeb wirft gleich gar keine Schätzung aus, was dieses Tool immer dann tut, wenn weniger als 500 Besuche pro Monat vorlagen. Auf Facebook ist man vorsichtshalber gar nicht erst präsent. Tatsächlich kann man sogar im Detail ablesen, wieviele freundliche Bürger an der Aktion teilgenommen haben – eine Karte mit Herzen erlaubt die Auszählung. Stand heute (02.12.2015) sind es – die VIPs mal ausgenommen – rund 70 Nennungen. So etwas nennt man dann wohl einen Flop, und man könnte sich auch ausrechnen, was die ganze bescheuerte Aktion gekostet hat, wieviel Geld, das der Optimierung des Düsseldorfers ÖPNV fehlt, verbraten wurde.

Mehr Schaden als Nutzen
Wenn Instanzen, die eine großer Verantwortung tragen, Geld verschleudern, dann richten sie damit Schaden an. Man könnte auch so argumentieren, dass es gut ist, dass so wenige Bürger sich für „Pendler und andere Helden“ und „Netz mit Häzz“ interessieren, weil sie dann nicht merken wie peinlich diese Kampagnen sind. Fakt ist aber, dass Geld, das in den Ausbau, die Verdichtung und Optimierung des ÖPNV investiert wird, deutlich sinnvoller angelegt ist.

5 Kommentare

  1. Kein Kommentar. Kenne ja die Agentur 😉
    Wobei die auch zur Zeit der Schwarzen sowohl für den/die Verbünde als auch das Ministerium gearbeitet haben.

  2. Hab mir kurzfristig wegen des Autowahnsinns jeden Morgen und Abend ein Ticket 1000 zugelegt und tucker mit der – vergleichsweise – guten S28 durch die Gegend. Die ist allerdings nie so voll wie die Autobahnen und Straßen. Es werden immer mehr Autos! Und das hat Gründe, die DB und die Rheinbahn sind einfach unzuverlässig, bieten keinerlei Komfort und von der Freundlichkeit der Mitarbeiter möchte ich erst gar nicht sprechen. Von daher wird die Tendenz noch mehr in Richtung Pkw gehen, traurig, aber wahr… Diese Werbekampagnen bringen überhaupt nichts, keine Ahnung, warum bei uns überhaupt so viel Geld für derlei unsinnige Werbung verheizt wird. Klüngel?

  3. Zur Rheinbahn-Kampagne „Netz met Häzz“ kann man geteilter Meinung sein. Ob der Slogan nun passt oder nicht, das ist reine Geschmackssache. Was man der Rheinbahn nicht vorwerfen kann, ist mangelnde Kundeninformation. Schon Wochen bevor Anfang Januar die gedruckten Fahrpläne herauskommen, kann jeder Pendler auf der Webseite der Rheinbahn klipp und klar nachlesen, was sich für ihn im neuen Netz ändert.

    Und das ist nicht so wie Sie, Herr Bartel, uns das hier verkaufen möchten. Ich bin selber jahrelanger Rheinbahn-Pendler und fahre durchaus gerne mit Bus und Bahn. Daher habe ich mich kundig gemacht, die neuen Fahrpläne genauestens studiert – und bin zu ganz anderen Ergebnissen gekommen. Hier mal ein paar bedenkenswerte Punkte:

    1. Wie kommen Sie darauf, dass Gerresheim abends oder nachts ab Februar schlechter angebunden würde als bisher? Das stimmt einfach nicht. Momentan kann man mit der Straßenbahn 703 vom Gerresheimer Rathaus aus in die Stadt, ab Februar dann mit der neuen U 73. Bis ca. 20 Uhr verkehrt die U 73 alle 10 Min., danach alle 20 Min. Letzte Fahrt von Gerresheim Rathaus in die Altstadt: täglich 0.30 Uhr.

    Fahrzeit zwischen Gerresheim Rathaus und der Heinrich-Heine-Allee: heute 26 Min. (die kaum einzuhalten sind, weil die Bahn oberirdisch nur im Stau steht), demnächst nur noch 20 Min.

    An den Wochenenden verkehrt weiterhin der Nachtbus 4 (via Flingern zum Hbf) und Nachtbus 5 (via Wehrhahnlinie und Altstadt zum Hbf), bis gegen 4 Uhr morgens.

    Wo also sehen Sie die Verschlechterung???

    2. Auf fast allen Stadtbahn- und Straßenbahnlinien wird ab Februar 2016 bis ca. 20 Uhr konsequent alle 10 Minuten gefahren – das war bisher nicht so. Oft wurde bereits ab 19 Uhr auf einen 20-Minuten-Takt umgestellt, mit überfüllten Fahrzeugen. Hier hat die Rheinbahn endlich einmal auf die längeren Ladenöffnungszeiten reagiert.

    Komischerweise brauchte es dafür erst eine neue Stadtregierung: Ich wohne seit ca. 18 Jahren in Düsseldorf, und in dieser Zeit wurde in punkto Taktung NICHTS für den ÖPNV getan. Das ist aber Februar 2016 definitiv anders.

    3. Desgleichen am Samstag: Wurde auf meiner Linie (Straßenbahn 707) samstags ab 16 Uhr, wenn die Stadt brechend voll war, auf 20-Minuten-Takt umgestellt, so fährt die 707 ab Februar 2016 bis 20 Uhr alle 10 Minuten. Also so oft wie sonst nur an Adventssamstagen. Ab 16 Uhr wurde das Angebot auf dieser Linie VERDOPPELT, genauso wie etwa auf der Linie 701.

    4. Die von OB Geisel versprochenen Vorrangschaltungen greifen bereits. Die Strecke der U 75 zwischen Belsenplatz und Heerdt wurde entsprechend ausgerüstet – und ja, man kommt jetzt tatsächlich schneller durch, und damit pünktlicher. Und nein, ich bin kein SPD- oder Geisel-Versteher – aber hier wurde Wort gehalten.

    5. Die Verlängerung der Buslinie 732 von Eller kommend via Gurkenland zum Hbf und darüberhinaus bis zum Hafen ist klasse. Dadurch müssen die Leute aus dem Gurkenland nicht mehr wie bisherin Oberbilk in die U-Bahn runter, sondern können direkt zum Hbf durchfahren. Im übrigen: Die bisherigen Taktlücken vormittags zw. 9 und 14 Uhr gehören der Vergangenheit an. Ein 10-Minuten-Takt durchgehend wird hier mo-fr zur Regel.

    6. Wo viel Licht ist, ist auch mancher Schatten: Ja, es gibt einige wenige Verschlechterungen im Rheinbahn-Netz ab 2016. Die Buslinie 725, die bislang zw. Hbf und Gerresheim Dreherstraße tagsüber alle 10 Min. verkehrte, tut dies demnächst nur noch alle 20 Min. Sie wird aber ergänzt durch eine neue Buslinie Gerresheim-Zoo (alle 30 Min.).

    Außerdem wird der Bus zwischen Hbf und dem Medienhafen ausgedünnt. Allerdings gibt es genügend Alternativen auf der Bilker Allee oder am Graf-Adolf-Platz.

    —————————————————-

    Fazit: Die von Ihnen beklagte Verschlechterung zwischen Gerresheim und der Altstadt ist eine glatte Erfindung – oder Fehlinformation. Ansonsten gibt es bis auf die oben angesprochenen Verschlechterungen unter Punkt 6 fast nur Verbesserungen. Auf fast allen Linien, die ich täglich nutze, wurde der Takt VERBESSERT, nicht verschlechtert.

    Bitte daher nochmal um Aufklärung, wo der Takt sich zum Nachteil verändert. Danke.

    (Dass durch die Wehrhahnlinie die Linien 706 und 715 die Altstadt nicht mehr anfahren werden, ist ja nun seit Jahren bekannt – das ist ein alter Hut.)

  4. Rainer Bartel am

    Vielen Dank für diesen ausführlichen Beitrag! Wir werden auf das Thema „Verschlechterung von Anbindungen“ im Januar noch einmal genauer und konkreter zurückkommen. Auch das Thema „Vorrangschaltung“ steht für Anfang des Jahres auf der Agenda.