Düsseldorfer Architektenstreit – das hört sich zunächst an wie die Auseinandersetzung zweiter Stilrichtungen. Tatsächlich aber kämpfte ab 1948/49 eine Gruppe aufrechter Baumeister gegen die Rückkehr und den massiven Einfluss von Stadtplanern, die schon im NS-Regime für den Städtebau verantwortlich war, namentlich Professor Friedrich Tamms, der immer noch gern und fälschlicherweise als Vater der Düsseldorfer Brückenfamilie gefeiert wird. Der war schon seit April 1948 Leiter des Düsseldorfer Planungsamtes. Seinen persönlichen Plänen basierten auf Konzepten, die schon ab Oktober 1943 für den Wiederaufbau deutscher Städte nach dem „Endsieg“ entwickelt worden waren. Er setzte aber nicht nur seine Vorstellungen durch, sondern holte nach und nach Kumpanen aus dem Umfeld der von Hitler-Intimus Albert Speer geleiteten Behörden in entscheidende Positionen.

Bild der KW40: Thyssenhochhaus und Tausendfüssler

Bild der KW40: Thyssenhochhaus und Tausendfüssler

Der Widerstand der „Architektenring Düsseldorf“ genannten Gruppe entzündete sich aber nicht nur an der Tamm’schen Vetternwirtschaft, sondern auch an den konkreten Maßnahmen des Wiederaufbaus. Denn Tamms & Konsorten wollten in Düsseldorf ihre kranken Phantasien der axialen Stadt – man kennt das aus den Plänen für die „Welthauptstadt Germania“ – durchsetzen und zudem einen in der Nazi-Ära gern gesehenen Baustil bei öffentlichen Gebäuden durchdrücken. Sichtbarstes Zeichen des Treibens dieser Band war der sogenannte „Tausendfüßler“, die von der Bevölkerung geliebte Hochstraße zwischen Kaiserstraße und Berliner Allee – wer sich an den Düsseldorfer Architektenstreit der Fünfzigerjahre erinnerte, konnte den Abriss des Bauwerks als „Entnazifizierung“ begreifen.

Nachdem sich das Kom(m)ödchen 1952 mit folgenden Versen kritisch mit der Besetzung des Planungsamtes auseinandergesetzt hatte, galt deren Theater an der Hunsrückenstraße plötzlich als nicht mehr sicher, und die Stadtplaner wollten das Kabarett vertreiben und/oder in die Pleite treiben:

Was hätt‘ der Hitler für ne Freud, wenn er noch da wär.
Er brächte Düsseldorf erst auf den rechten Schwung.

In der Landeshauptstadt da kommt man glatt
hoch ins Stadtbauamt obenan.
Bedingung ist nur, daß man ne Spur an der Reichskanzlei mitgebaut hat.
[Quelle: Spiegel 29.10.1952]

So sah die Stadtmitte 1934 aus

So sah die Stadtmitte 1934 aus

Wenn man sich mit dem „Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte“ des Albert Speer, in dem Tamms das Ressort Sonderaufgaben leitete, befasst, kommt man kaum an dem Gedanken vorbei, dass dem NS-Regime die Zerstörungen nicht ganz ungelegen kamen, boten sie doch die Möglichkeit, Groß- und Industriestädte nach den eigenen Vorstellungen umzugestalten. Wie wir heute wissen, lagen diesen Vorstellungen zwei Prämissen zugrunde: Die Stadt der Zukunft sollte für die Massenmotorisierung taugen und zudem nach militärischen Grundsätzen angelegt sein. So kam es dazu, dass mitten durch das alte Innenstadtviertel zwischen Hauptbahnhof und Königsallee bzw. zwischen Schadow- und Graf-Adolf-Straße eine Schneise durch die durchaus nicht durchgehend zerstörte Wohnbebauung geschlagen wurde.

Für die Verlängerung Richtung Norden musste der als „Luftballon“ bekannte Platz an der Stelle weichen, an der Nord- und Kaiserstraße aufeinandertreffen – ehemals ein Ort mit Biergarten und Kindervergnügungen. Im Süden wurde die Corneliusstraße durch den Abriss der gesamten westlichen Häuserzeile auf doppelte Breite gebracht und mit der ebenfalls neu geschlagenen Erasmusstraße eine Verbindung Richtung Autobahn hergestellt. Der Südring als Zubringer mündet im ebenfalls neu angelegten Lastring, der bis zum nördlichen Zubringer führt. Eine vom Tamms-Club angedachte, autogerechte Ost-West-Achse kam dagegen nicht zustande. Nur der Lastring entsprach den Gegenvorstellungen des „Architektenring Düsseldorf“, die auf ein System aus drei konzentrischen Ringen setzten – nach ähnlichem Muster wie das, was in Köln nach dem zweiten Weltkrieg entstand.

Die Arkaden der alten Kämmerei

Die Arkaden der alten Kämmerei

Zu einem besonders erbitterten Streit kam es beim Bau des Verwaltungsgebäudes zwischen Marktplatz und Rheinstraße, das die Kämmerei und die Stadtkasse aufnehmen sollte und heute als „Alte Kämmerei“ in die Mühlen der Stadtplanung geraten ist. Das wurde von Julius Schulte-Frohlinde entworfen, der seit 1937 Mitglied der NSDAP war und unter Albert Speer die Planungsabteilung des Reichsheimstättenamtes leitete. Genau diese Type wurde auf Betreiben von Tamms und natürlich gegen den Widerstand des Düsseldorfer Architektenrings ab Januar 1952 Leiter des Hochbauamtes – den Auftrag für den Entwurf der Kämmerei hatte ihm Tamms übrigens ohne Ausschreibung und Wettbewerb zugeschustert.

Wenn man als interessierter Bürger nach einem Bauwerk im „Nazi-Stil“ sucht, wird man dafür praktisch kein Gebäude aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg finden, sondern mit der 1952 entstandenen alten Kämmerei das prägnanteste Beispiel betrachten müssen. Übrigens: Der ganze Komplott der Alt-Nazi und ihr planerisches Treiben waren in den Jahren bis etwa 1958 regelmäßig Gegenstand der Berichterstattung in bundesweiten Medien. Auch und vor allem als eines der schlimmsten Beispiele für die Karrieren von hohen Nazi-Beamten in der Bundesrepublik nach dem Krieg.

[Stadtplan-Ausschnitt: SHELL Stadtkarte Düsseldorf von 1935]

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