Herr und Frau Kraft waren in den Fünfzigerjahren das, was man damals „Bekannte“ nannte, also Leute, die man irgendwie kennengelernt und zu denen man Kontakt hielt. Das bedeutete auch, dass man sich gelegentlich an den Wochenenden besuchte, um einen Kaffeeklatsch zu feiern. Dieser Herr Kraft war ein recht kleiner, ziemlich dicker und immer freundlicher Mann, der gern Zigarren rauchte. Und der im DKW-Werk in Rath arbeitete. Ja, Düsseldorf ist seit 1950 eine Autostadt, denn wo heute die Sprinter von Mercedes-Benz gefertigt werden, baute man ab 1950 für etwas mehr als zehn Jahre die pfiffigen Zweitakter der Marke, die zur Auto Union zählte – und zwar am erfolgreichsten den Typ Meisterklasse F89.

1931: Rasmussen und die vier Ringe

Wie wir wissen war die Auto Union der direkte Vorgänger von Audi, ein 1931 durch Fusion entstandener, staatlicher Automobilkonzern. Berühmt wurde das Unternehmen durch seine Formel-1-Wagen, die sich in den Dreißigerjahren packende Duelle mit den Mercedes-Silberpfeilen lieferten. Als Firmenzeichen wählte man vier ineinander verschlungene, waagerecht angeordnete Ringe – die sollten symbolisch für die vier Marken des Konzerns stehen: Horch, Wanderer, Audi und DKW. Kopf hinter der Marke war der Däne Jørgen Rasmussen, begnadeter Ingenieur und schlauer Unternehmer, der ab 1912 mit Dampfkraftwagen – daher der Firmenname als Abkürzung für DampfKraftWagen) – experimentierte, nach dem ersten Weltkrieg aber vom Zweitaktpionier Hugo Rupp auf diese noch neue Motorenprinzip gebracht wurde. Der hatte einen winzigen Einzylinder als Demonstrationsobjekt gebastelt und als Hilfsmotor an einem Fahrrad eingesetzt. Kurz und gut: Rasmussen war begeistert und ließ ab 1922 Motorräder bauen. Und zwar so erfolgreich, dass DKW zwischenzeitlich der erfolgreichste Motorradhersteller der Welt wurde. Das machte es Rasmussen möglich, die Audi-Werke zu kaufen, die er mit DKW fusionierte, weil er in den langsam wachsenden Markt der Pkw einsteigen wollte – natürlich mit kleinen, preiswerten Wagen mit Zweitaktmotoren.

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In einer Produktionshalle (Foto: Mercedes-Benz)

In einer Produktionshalle (Foto: Mercedes-Benz)

War die Auto Union zunächst in Chemnitz ansässig, und wurden die DKW-Motorräder damals in Zschopau gebaut, änderte sich durch den Zweiten Weltkrieg und die Teilung Deutschlands alles für den Konzern. Während in der DDR die IFA die Produktion der Vorkriegsmodelle wieder aufnahm, entstand im September 10949 in der Bundesrepublik mit Hilfe des Marshallplans die neue Auto Union GmbH – die IFA-Verantwortlichen hatten es schlicht versäumt, sich die Rechte am Unternehmens- und den verbundenen Markennamen zu sichern. In der ehemaligen Audi-Ersatzteilfabrik in Ingolstadt begann man sofort damit die DKW-Modelle aus den Vierzigerjahren zu produzieren, was dazu führte, dass sowohl in der DDR, als auch in der BRD parallel fast identische Pkw hergestellt wurden. Um weitere Kapazitäten zu gewinnen, machten sich die Auto-Union-Leute auf die Suche nach einem weiteren Standort.

1950: DKW kommt nach Düsseldorf

Und da kommt Düsseldorf ins Spiel. Zwischen Derendorf und Rath verfügte der Rüstungsgigant Rheinmetall über Dutzende Hallen und Gebäude auf einer riesigen Fläche. Natürlich durfte der Konzern nach Kriegsende nicht einfach weitermachen und schon gar keine militärisch nutzbaren Dinge fertigen. Die Stadt bewirbt sich darum, DKW-Standort zu werden und erhält den Zuschlag. Das offizielle Schreiben der Auto Union von Ende 1949 besagte:

Das Werk Düsseldorf ist bestimmt, die Serienfertigung des DKW-Personenwagens aufzunehmen und damit die Haupt-Fabrikationsstätte zu werden. Düsseldorf ist unter den vielen von deutschen Ländern und Großstädten angebotenen industriellen Objekten nach Standort und Größe hervorragend geeignet.

Ziel der Aufräumarbeiten, die im März 1950 begannen, war es, das Gelände wieder zugänglich zu machen, an Strom, Wasser und die Bahn anzuschließen und wenigstens eine Halle für die Produktion herzurichten. Tatsächlich schaffen es die gut 1.000 ersten DKW-Arbeiter es, dass schon im Juni die Produktion beginnen und im August der erste F89 Meisterklasse vom Band laufen kann. Und auch der Nachfolger mit der merkwürdigen Typenbezeichnung 3=6 wird in Düsseldorf gebaut. In der Spitze beschäftigt das Werk über 4.000 Mitarbeiter. Das größte Problem aber ist, dass die DKW-Autos unmittelbar mit dem VW Käfer konkurrieren, der nicht nur von einem überwiegend in staatlichem Besitz befindlichen Konzern stammt, sondern für seinen Aufbau über nahezu unbegrenzte Mittel verfügen konnte.

Der DKW Meisterklasse F89, der in Düsseldorf vom Band lief (Foto: via Wikimedia)

Der DKW Meisterklasse F89, der in Düsseldorf vom Band lief (Foto: via Wikimedia)

Tatsächlich war es Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre immer wieder Anlass für Schulhofdiskussionen zwischen den Jungs: Wer ist besser – VW oder DKW? Unterschiedlicher konnten die technischen Konzepte kaum sein. Hier der DKW mit seinem Zwei- bzw. Dreizylinder-Zweitaktmotor mit nur knapp 700 bzw. 1000 Kubikzentimetern Hubraum, da der 1,2-Liter-Vierzylinder-Viertakt-Boxer im Käfer. Einerseits der VW mit Heckmotor und Heckantrieb, andererseits der DKW mit Frontmotor und Frontantrieb. Mit 23 und 25 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von knapp über 100 km/h waren sich die Konkurrenten in der Leistung ähnlich. Der VW Typ 11 (Standard) war für rund 5.500 DM zu haben, der DKW Meisterklasse F89 kostete 1950 mit 5830 DM ein bisschen mehr. Für den DKW sprach der deutlich geringere Kraftstoffverbrauch und der große Kofferraum (der durch Ausbau der hinteren Sitzreihe noch vergrößert werden konnte). Für den Käfer vor allem die Luftkühlung. Dank etlicher Millionen, die VW schon damals in Werbung stecken konnte, überholte der Käfer erst den F89 und später den 3=6 rasch in den Zulassungsstatistiken und hängte ihn ab etwa 1955 regelrecht ab.

1961: Das Aus für DKW aus Düsseldorf

Das Aus für die DKW-Produktion in Düsseldorf kam schleichend. 1958 verkaufte Großaktionär Flick seine Anteile an Mercedes-Benz, was de facto zu einer Übernahme des Auto-Union-Konzerns und der Marke DKW führte. Eigentlich sollten Konzern und Marke erhalten bleiben, weil beides aber Verluste erzeugte und die Idee, die Zweitaktautos quasi als Mittelklasse des Daimler-Benz-Portfolios weiterzuführen am Widerstand der schwäbischen Ingenieure scheitert, wird das Werk in Rath schon 1960 von Mercedes übernommen und die Produktion des wenig erfolgreichen Auto Union 1000 mit Ende Juni 1961 eingestellt.

Das war’s dann mit der Pkw-Produktion in Düsseldorf. Weil die Anlagen in Rath aber in einem hervorragenden Zustand und das ganze Werk logistisch perfekt eingebunden waren, verlagerte Daimler-Benz ab Frühjahr 1962 seine Transporter-Produktion dorthin. Damit war der Grundstein für den heutigen Zustand des Sprinter-Werks gelegt.

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