Die meisten Neudüsseldorfer ahnen ja nicht, dass die schönste Stadt am Rhein bis zum Ende der Achtzigerjahre ein veritabler Industriestandort mit Zehntausenden Arbeitsplätzen war. Bis auf ein paar umgenutzte Fabrikgebäude ist davon nichts mehr zu sehen. Die beiden größten zusammenhängenden Industrieareale waren das Mannesmann-Gelände in Rath und eine lange und breite Schneise von der Ostseite des Hauptbahnhofs quer durch Lierenfeld und bis ein Stück weit hinein nach Eller. Besonders auffällig: Die Vereinigten Kesselwerke in Oberbilk mit ihrem markanten Schlot.

Google-Map: So groß war das Fabrikgelände der VKW

Google-Map: So groß war das Fabrikgelände der VKW

Die Fabrik belegte den größten Teil des Geländes zwischen der Werdener, Ronsdorfer, Mindener und der Fichtenstraße. Aus dem traditionellen Kesselbau war ein Unternehmen geworden, dass hochinnovative Systeme besonders für Kraftwerke baute. Und diese Spezialisierung brach der Firma, die zuletzt zum Babcock-Konzern gehörte, letztlich das Genick. Denn die VKW, so die gängige Abkürzung, hatte nach dem Krieg massiv davon profitiert, das überall in Deutschland moderne Kraftwerke und später Müllverbrennungsanlagen gebaut wurden. Als diese Welle in den Achtzigerjahren zu Ende ging, war es auch bald vorbei mit der Fabrik zwischen Oberbilk und Flingern.

Ob die VKW andere stahlverarbeitende Betriebe angezogen hat oder ob die Ansiedlung im Umfeld solcher Produktionsstätten clever gewählt war, ist eine Henne-Ei-Problem und lässt sich nicht schlüssig klären. Denn die Entwicklung der Schwerindustrie in Düsseldorf verlief ab etwa 1850 durchaus chaotisch. Man muss es sich so vorstellen, dass jenseits der heutigen Innenstadt inklusive der „modernen“ Stadterweiterungen nach Süden und Norden Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem landwirtschaftliche Fläche zu sehen waren mit den späteren Stadtteilen als Dörfern mittendrin. Grund und Boden war billig zu haben, und mit gleich zwei wichtigen Eisenbahntrassen, die durch die Region führten, sowie dem Rhein als Transportweg bot es sich an, Fabriken der rasant aufsteigenden Eisen-und-Stahlindustrie bei Düsseldorf zu errichten.

Reklamepostkarte von 1900 für die Piedboeuf-Unternehmen

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Auch dem belgischen Fabrikantensohn Jean Pascal Piedbœuf leuchtete das ein. Zuvor hatte sein Vater sich in der Nähe von Aachen mit seiner Dampfkesselschmiede angesiedelt, aber in der Wirtschaftskrise der 1840er-Jahre zeigten sich die Standortnachteile fernab überregionaler Bahnstrecken und schiffbarer Flüsse. Mit seinem Schritt wurde Jean Pascal zum Vorbild für einige andere wallonischen Unternehmen, die sich ebenfalls in Düsseldorf ansiedelten. 1857 ließ er die Kesselfabrik errichten, dann ein Eisenblech-Walzwerk – unter anderem als Zulieferer – sowie schließlich auch ein Röhrenwerk in Eller.

Übrigens: Die aus dem Lütticher Stadtteil Jupille stammenden Piedbœufs waren schon seit dem Firmengründer Jacques Pascal (1782 – 1839) eine äußerst umtriebige Unternehmerdynastie. Die bekannte belgische Biersorte „Jupiler“ gehört zu deren Gründungen, genauso wie die Motorrad- und Autofabrik Imperia.

Die Vereinigten Kesselwerke unweit des Oberbilker Marktes prägten das ganze Viertel. Zumal praktisch alle Arbeiter der Fabrik in unmittelbarer Nähe wohnten – die meisten in der Kiefernstraße, viele in der Mindener Straße und nicht wenige in der Eisenstraße. Die Männer, die über die Jahrzehnte nicht nur Kessel bauten, identifizierten sich sehr mit dem Werk und waren als Spezialisten stolz auf ihre Arbeit. Der Vater, mehrere Onkel und der Bruder eines Klassenkameraden – wir reden von den mittleren Sechzigerjahren – arbeiteten bei VKW, und die neunköpfige Familie wohnte im Eckhaus an der Fichten- und Kiefernstraße. Und weil in den Kesselwerken ordentlich bezahlt wurde, ging es der großen Familie, zu der noch einige Verwandte zählten, sodass in der großen Wohnung bis zu zwölf Menschen hausten, finanziell nicht schlecht.

Die Werdener Straße durchschnitt das angesprochene Industrieviertel in Nord-Süd-Richtung, und weil in Ost-West-Richtung mehrgleisige Anlagen für den Transport von und zu den Fabriken verlief, gab es den Hügel an der Einmündung der Fichtenstraße wie er heute noch existiert. Stand man oben an der Haltestelle der Linie 6, konnte man das ganze Area überblicken. An der Werdener Straße stand das Verwaltungsgebäude, Tore für die Arbeiter und Lieferanten gab es an der Fichten-, der Ronsdorfer und der Mindener Straße. Direkt an den Gleisen existierte ein regelrechter Güterbahnhof, auf dem in spektakulären Aktionen riesige Kessel verladen wurden. Zur Werdener Straße hin war das Fabrikgelände durch eine hohe Ziegelmauer begrenzt.

1991 wurde der Standort geschlossen, und schon ein Jahr später begann man mit dem Abriss, der 1995 oder 1996 abgeschlossen war. Plötzlich war aus dem Industriegelände Brachland geworden; nur an der Nordseite blieben ehemalige VKW-Bauten stehen, die anderweitig genutzt wurden. Außerdem die Halle, die als Tor 3 viele Jahre lang Kultur- und Feierrefugium war und ihren Namen nach einem der Zugangstore zu den VKW erhielt. Anstelle der alten Mauer an der Werdener Straße war nur ein langer, langer Bretterzaun zu sehen. So ruhte das Gelände bis dann ab 2006 mit dem Bau des Land- und Amtsgerichts in der südwestlichen Ecke begonnen wurde, die 2009 abgeschlossen waren.

Inzwischen hat sich viel getan auf dem Grund der ehemaligen Kesselwerke; es gibt ein DHL-Logistikzentrum, und an der Mindener Straße wurden die ersten neuen Wohnhäuser hochgezogen. Die Planung für die weitere Nutzung der immer noch riesigen Brachflächen steht, und es steht zu vermuten, dass man in zehn, zwölf Jahren nicht mehr ahnen wird, dass hier einst eine der wichtigsten Kesselfabriken Deutschland bestanden hat.

[Bildnachweis – Titelfoto: Anne Mommertz aus ihrem wundervollen Buch „Oberbilk: Die Geschichte eines Industrieviertels„, das leider momentan vergriffen ist.]

2 Kommentare

  1. Helmut Weber am

    Nur der Ordnung halber sei erwähnt, daß sich das DHL-Logistikzentrum auf der anderen Seite der Eisenbahnstrecke, auf dem Gelände der ebenfalls verschwundenen Firma Hein, Lehmann & Co. AG befindet. Diese Firma war u.a. ein Brückenbauer und errichtete einige der Düsseldorf Rheinbrücken.