Dreimal ist das Unternehmen Hein Gericke der Insolvenz von der Schippe gesprungen, 2014 beim vierten Mal kam es zur endgültigen Aulösung.

Es kann gut sein, dass viele Kunden des zeitweise weltweit größten Motorradbekleidungsimperiums nicht wussten, dass der Name ihres Lieblingsklamottenladens tatsächlich der echte Name des Gründers war. Ja, es gab und gibt einen Mann namens Hein Gericke, und ich hatte das Vergnügen, ihm in den frühen Jahren zu begegnen. Mehr noch: Mein allererstes Motorrad verkaufte mir im Jahr 1972 dieser Herr Gericke höchstpersönlich. Und ein paar Jahre später, als HG einen PR-Mann suchte, saß ich ihm bei einem Bewerbungsgespräch gegenüber.

Damals noch im Hauptquartier im Hafen an der Speditionsstraße, einem finstren ehemaligen Lagerhaus in einer Gegend, die noch keine Spur dessen aufwies, was heute den sogenannten „Mediehafen“ ausmacht. Aber tatsächlich bin ich Hein Gericke sogar noch ein, zwei oder drei Jahre früher erstmals über den Weg gelaufen. Ein Typ aus meinem Heimatviertel, einer, den man damals Rocker nannte, ein Typ mit langen, fettigen Haaren, fuhr ständig mit einer – für damalige Verhältnisse – schweren Maschine umher und trug immer eine schwarze Lederjacke. Wenn ich nicht irre, bewegte er eine Honda CB 450. Dieser Kerl, mit dem ich nie ein Wort wechselte, infizierte mich mit dem Motorradvirus.

Als Siebzehnjähriger begann ich, regelmäßig die Zeitschrift MOTORRAD zu kaufen und darin jeden einzelnen Artikel zu lesen und aufzusaugen. Auch die Werbung im Heft diente mir als Stoff für Bikerträume. Und als ich 1971 den Führerschein machte, war klar, dass ich irgendwann auch den Zweiradlappen brauchen würde. Außerdem trieb ich mich häufig in der Stadt herum, um mir die Motorräder in den wenigen Geschäften, die damals überhaupt noch motorisierte Zweiräder führten, anzuschauen. Es war die Zeit, in der Motorräder so was von out waren… Denn jeder, der konnte, hatte früher oder später ein Auto.

Ich kannte das aus meinen Kindertagen in den Fünfzigern noch anders. Da hatten mehr Männer Kräder als PKW. Damit pendelten sie zur Arbeit. Mit der Verlobten oder Gattin auf dem Sozius unternahmen sie Fernreisen, und wenn Kinder kamen, wurden ein Beiwagen ans Bike geschnallt. Meine Kindheit ist voll von Bildern mit Motorrädern: Resis Vater mit seiner schweren Zündapp mit Beiboot, der Mann meiner Cousine Roswitha, der mich auf seiner DKW mit zum Schwimmbad fuhr, Kollegen meines Vaters, die auf ganz unterschiedlichen Maschinen zur Arbeit in der Brauerei kamen.

Eines Tages, es wird 1970 gewesen sein, stieß ich auf einen winzigen Laden an der Neusser Straße (die damals am Rande eines ziemlich düsteren Industriegeländes entlang führte). Da standen sie, die wundervollen britischen Bikes! BSA, Triumph, Norton – herrlich! Das Geschäft trug den Namen „Hein Gericke“, und ein ziemlich lässiger Typ mit strohblonden Haaren war der Inhaber, der mir bereitwillig Auskunft über die Maschinen gab. Das war die Geburtsstunde.

Hein Gericke ca. 2023 beim Interview mit der Redaktion MOTORRAD (Foto: MOTORRAD (c) Bilski)

Hein Gericke ca. 2023 beim Interview mit der Redaktion MOTORRAD (Foto: MOTORRAD (c) Bilski)

Seine Biografie hat Hein Gericke sein Leben lang immer im Hintergrund gehalten. Damals hieß es, er sei zuvor ein ziemlich erfolgreicher Werbemensch gewesen, der mit einem Patent ein kleines Vermögen gemacht habe, das er dann bei der Gründung seines Motorradladens einsetzte. Die Legende lautete, er habe den aufblasbaren Kleiderbügel erfunden. In Wirklichkeit war es eine winzige Verbesserung von Kleiderbügeln mit Gesichtern, die er sich 1967 patentieren ließ, und es steht zu bezweifeln, dass er damit nennenswerte Beträge erwirtschaftet hat.

Die englischen Kräder waren für mich armen Oberschüler natürlich völlig unerschwinglich. Und dann erschien 1972, es wird im Frühjahr gewesen sein, eine Anzeige der Firma Hein Gericke in der MOTORRAD. Aus einer Havarie habe man soundsoviele Honda-Motorräder vom Typ CB 125 erworben, die man nun für 1.200 D-Mark verkaufe. Wenn ich mich recht erinnere, kostete dieses Bike beim Honda-Händler neuwertig deutlich mehr als das Doppelte. Das Risiko: Wer kaufe, der erwerbe damit eine nicht montierte Maschine in der Kiste, von der vorher niemand wüsste, ob und in welchem Maße diese beim Schadenereignis gelitten hatte. Nach dem Kauf würde die Kiste geöffnet und das Motorrad montiert. Etwaige Reparaturen zahle der Käufer; HG sorge für die TÜV-Abnahme und Zulassung.

So ähnlich sah meine CB 125 aus, die ich bei Gericke kaufte (Foto: privat)

So ähnlich sah meine CB 125 aus, die ich bei Gericke kaufte (Foto: privat)

Wie es der Zweiradteufel will, hatte ich bei einem Ferienjob im Vorjahr so viel verdient, dass ich um die 1.500 DM hatte bunkern können. Am nächsten Tag fand ich mich im Hauptquartier an der Speditionsstraße ein und schloss den Kauf einer CB 125 ab. Genau: mit Hein Gericke persönlich. Eine Woche später trafen die Kisten ein; mehrere Käufer hatten sich eingefunden, und durften sich die Kiste ihrer Wahl aussuchen. In meiner steckte ein türkisblaues Modell ohne jede Beschädigung, das ich wiederum eine Woche später abholen konnte.

Lange befasste sich Hein Gericke nicht mit dem Verkauf von Motorrädern. Schon Helm, Nierengurt, Handschuhe und Stiefel zu meiner CB 125 erwarb ich ganz selbstverständlich bei HG. Der Gründer musste schnell gemerkt haben, dass sich mit Kleidung und Zubehör mehr Profit erzielen ließ als mit den Kisten selbst. Außerdem hatte Unternehmer Gericke ein goldenes Händchen für das Finden und Verpflichten von Lieferanten. Die Firma boomte, denn in der ersten Hälfte der Siebzigerjahre war es gar nicht so einfach, ordentliche Klamotten zu vernünftigen Preisen zu bekommen – Hein Gericke hatte beinahe eine Monopolstellung.

Hein Gericke bei Nacht (Pressefoto: Hein Gericke)

Hein Gericke bei Nacht (Pressefoto: Hein Gericke)

Ich bin nicht sicher, aber glaube, dass das Unternehmen schon um 1975 herum die Eigenmarke HG gründete und noch in den Siebzigern den legendären Hein-Gericke-Katalog herausbrachte, der für die kommenden fünfzehn, zwanzig Jahre zur Bibel echter Biker wurde. Der Erfolg war gigantisch, das Wachstum atemberaubend. Und wieder fand ich in der MOTORRAD eine Anzeige. Hein Gericke suchte einen PR-Manager. Das wird um 1980, 1981 herum gewesen sein, und meine einzige Erfahrung mit der Öffentlichkeitsarbeit bestand in anderthalb Jahren als Aushilfe in einer Agentur. Dort hatte ich allerdings viel gelernt, weil meine Chefs mich Amateur intensiv in die PR-Arbeit eingebunden hatten. Also fügte ich meinen Bewerbungsunterlagen gleich ein Kurzkonzept für die zukünftige Öffentlichkeitsarbeit bei – das Original, getippt auf meiner geliebten Schreibmaschine vom Typ Gabriele 8008, besitze ich noch heute.

Darin hatte ich mir Gedanken über das Erschließen und Ansprechen neuer Zielgruppen gemacht und die These vertreten, Motorradbekleidung müsse zum Trend auch für Nicht-Biker werden. Außerdem solle HG massiv Frauen ansprechen, und durch das Sponsoring geeigneter Motorsportveranstaltungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden. Dann saß ich Hein Gericke gegenüber, der kaum Fragen stellte, sich anhörte, was ich zu sagen hatte und dabei durchaus neutral aus der Wäsche guckte. Überhaupt: Der Mann hatte immer etwas Strenges, Abweisendes an sich, das mir damals auch viel Respekt einflößte. Den Job bekam ich nicht, denn diesen Job bekam niemand, weil Gericke fand, sein Unternehmen habe PR gar nicht nötig.

Weiter ging es mit dem Imperium. Im Monatsrhythmus eröffneten in ganz Deutschland und später auch im Ausland Filialen, das Sortiment schwoll an, die Geschäfte liefen gigantisch. Hein Gericke als Person verschwand weitgehend aus der Öffentlichkeit. Wer sich aber im Linksrheinischen bewegte, der konnte den damals schon Mann mittleren Alters regelmäßig auf einer seiner fetten Motorräder oder in einer seiner feinen britischen Limousinen sehen. Ende der Achtziger hatte er das Unternehmen verkauft und war damit vermutlich steinreich geworden.

HG-Verkaufsräume (Pressefoto Hein Gericke)

HG-Verkaufsräume (Pressefoto Hein Gericke)

Als ich meine erste Moto Guzzi erwarb, war er schon nicht mehr im Unternehmen. Allerdings kaufte ich gelegentlich in der Filiale an der Karl-Rudolf-Straße ein. Dort führte ein echter Motorrad-Freak den Laden, und weil die Läden Franchises waren, konnte die Inhaber neben dem obligatorischen HG-Sortiment auch andere Sachen anbieten. Der Typ, dessen Namen ich leider vergessen habe, verkaufte dort eben auch Motorräder, gebrauchte Maschinen, besonders gern von Moto Guzzi, denn auf diese Italiener stand er. Geschichte wiederholt sich manchmal. Denn der Franchisenehmer von der Karl-Rudolf-Straße hatte einen Posten kaum gebrauchter Motorräder der italienischen Carabineri aufgekauft – legendäre Einzylinderdampfer vom Typ Nuovo Falcone.

Er wusste, dass ich von einer Guzzi träumte und führte mich eines Tages in die Tiefgarage. Dort lagerte ein gutes Dutzend Kisten, nur eine Falcone hatte man montiert, und die durfte ich probefahren. Ich war rettungslos verloren: So eine musste ich haben! So kam ich 1989 an meine erste Moto Guzzi. Zwei Jahre später fand der HG-Mann für mich auch noch mein Traumotorrad, eine V7 850 GT, die ich sechs Jahre lang fuhr und mit der ich bis nach Norwegen und in die Schweiz kam, bevor sie mir 1997 gestohlen wurde.

So ähnlich dah meine Guzzi V7 aus (Foto: privat)

So ähnlich dah meine Guzzi V7 aus (Foto: privat)

Das Schicksal der Firma Hein Gericke habe ich schon in den Neunzigerjahren nicht mehr verfolgt, zumal mein Leben als Biker 1999 erst einmal endete. Von den Turbulenzen, den Verkäufen und Pleiten bekam ich wenig mit, zumal die Filiale an der Karl-Rudolf-Straße bis 2014 vom ganzen Bohei unbehelligt blieb. Als dann aber die Meldung kam, die Firma Hein Gericke sei endgültig Geschichte, da war ich doch sehr traurig. Als Wirtschaftsfaktor für die Stadt Düsseldorf war das Unternehmen indes schon nach dem Verkauf an ein ausländisches Konsortium im Jahr 2007 nicht mehr relevant.

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