Es lag ja in den späten Siebzigerjahren nah, den ewig gleichen Summs aus CDUSPDFDP aufzubrechen, der den Entwicklungen ab 68 einfach nicht folgen konnte. Wenn Willy Brandt forderte, wir sollten mehr Demokratie wagen, dann waren da nicht nur die Christkatholischen dagegen, sondern auch der Wehner. Und als dann Schmidt Kanzler war – der Mann, der immer gern auf militärische Organisation und auf kriegerischen Jargon setzte, waren die Sozialdemokraten für Pazifisten keine Option mehr. Dazu das rasch wachsende Bewusstsein einer drohenden ökologischen Katastrophe. Letzter Faktor, der zur Gründung der Grünen ab 1979 führte, war die Schar der heimatlos gewordenen Linken aus dem K-Spektrum. Tatsächlich spiegelten die sogenannten „Vier Säulen“, die als Basis für das Gründungsprogramm der Partei dienten, diese Ausganspunkte wieder: ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei und sozial. Weil sich aber die Gewichtung von Stadt zu Stadt und von Region zu Region deutlich unterschied, gibt es Dutzende Gründungsgeschichten der Grünen.

Im Wesentlichen kann man zwei Strömungen unterscheiden: die alternative und die ökologische. Tatsächlich waren es zuerst die sogenannten „Alternativen Listen“, die sich als parlamentarische Organisationen gründeten und zum Beispiel in Berlin, Hamburg und Bremen an Kommunalwahlen teilnahmen. Hier versammelten sich vor allem die undogmatischen Linken, also die Menschen, die für eine Abschaffung des Kapitalismus antraten, aber mit den ganzen stalinistischen und maoistischen und sonstigen schwer dogmatischen K-Gruppen nichts zu tun haben wollten. Und mit der DKP und den Sozialdemokraten schon gleich gar nichts.

Düsseldorf: Mehr alternativ als grün

In Düsseldorf war die grün-alternative Szene maßgeblich durch das Umfeld der Kunstakademie geprägt und insgesamt auch eher alternativ als grün. Ex-K-Kader und Bürgerliche hatten hier eher nichts zu sagen. Anthroposophen und undogmatische Linke schon eher. Ab dem Frühjahr 1978 schlug das Herz im Raum 3 am Eiskellerberg, dem Refugium des Joseph Beuys und Sitz der Freien Internationalen Universität (FIU). Diese FIU war das dritte politische Projekt von Beuys; vorher hatte es die Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung gegeben, die wiederum an die Deutsche Studentenpartei anschloss. Wir wissen heute, dass Joseph Beuys in seinem politischen Denken nicht nur von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie geprägt war, sondern bewusst versuchte, anthroposophische Denkansätze in eine Parteiorganisation zu bringen. Als dann die Umrisse einer Alternativen Liste in Düsseldorf abzeichneten, wurde die FIU – die seinerzeit vor allem in Gelsenkirchen wirkte – aktiv und bot ihre bestehenden organisatorischen Strukturen an.

Zunächst beschäftigten sich aber mehrere Diskussionszirkel mit der Frage, ob man überhaupt eine Partei gründen solle. Die Position der meisten alternativen Kräfte war es ja, die Parteiendemokratie als solche abzulehnen. Das galt auch für das Beuys-Umfeld, in dem man ganz auf die direkte Demokratie und Volksabstimmungen setzte. Ab der Jahreswende 1978/79 wurde diese Frage aber zunehmend weniger grundsätzlich, als vielmehr taktisch-pragmatisch diskutiert. Die Europwahl 1979 stand an, und auch in Düsseldorf waren immer mehr Alternative dafür, an diesen Wahlen teilzunehmen, um einerseits eine größere Öffentlichkeit zu erreichen und andererseits Wahlkampfkostenrückerstattung zu kassieren. Die führenden Personen auf diesem Weg waren Jürgen Binder und Martin Schata. Der Rechtsanwalt Binder, ein sachlicher und organisationsstarker Typ, leitete die Gründung Der Grünen SPV ein. Die Abkürzung steht für „Sonstige Politische Vereinigung“.

Heute würden man eine SVP am ehesten Wählergemeinschaft oder Freie Liste nennen, denn wie diese verzichteten die Grünen in dieser Phase ganz bewusst darauf, eine Partei zu sein. Gleichzeitig kam der Begriff von der „Antiparteienpartei“ auf. So ging man dem Grundsatzstreit aus dem Weg und konnte trotzdem an der Europawahl teilnehmen. Tatsächlich bestanden zu dieser Zeit schon jede Menge Alternative Listen und Grüne Vereinigungen, die zumindest auf lokaler oder regionaler Ebene Parteienstatus hatten.

Weg von der SPD, hin zu Beuys

Mein Weg zu den Grünen führte über die heftige Enttäuschung durch die SPD. Wie viele junge Leute war ich mit nicht einmal 20 Jahren Parteigenossen geworden – motiviert vor allem durch die Figur Willy Brandt. Natürlich engagierten wir uns massiv im Bundestagswahlkampf 1972, der unter dem Motto „Willy wählen“ lief. Anpolitisiert hatte uns die Studentenbewegung, und natürlich waren wir alle Fans der APO. Als Teenager trieben wir uns bei den verschiedenen K-Gruppen herum und schnupperten auch bei der DKP rein. Nur waren die uns zu steif, ja, lustfeindlich. Und wir wollten doch Spaß haben. Dass dann etliche, die einen ähnliche politischen Werdegang wie ich hinter sich hatten, zu den Sozen stießen, hatte viel mit der Angst vor einer konservativen Konterrevolution zu tun. Außerdem war Brandt für uns einfach ein Idol. Politisch war die SPD so um 1972 herum alles andere als geschlossen. Innerparteilich tobten Richtungskämpfe, und gerade bei den Jusos prallten die unvereinbaren Positionen der „echten“ Sozialdemokraten und der Stamokap-Fraktion aufeinander.

Wie wir wissen, errang die SPD fast 46 Prozent der Stimmen und konnte mit der FDP und einem Kanzler Brandt weiterregieren. Übrigens: Bei dieser Wahl entfielen nur 0,9 Prozent auf die sonstigen Parteien! Im Dezember gab es die übliche Ortsvereins-Versammlung im Hähnchen am Dreieck. Dieser OV bestand vorwiegend aus älteren Genossen, denen wir knapp zehn Jusos extrem suspekt waren. Dann stand der Vorsitzende auf und hielt eine Rede über die gewonnen Wahl. Er dankte allen Wahlhelfern und schloss mit den Worten: „Gewonnen haben wir, obwohl uns die Jungsozialisten im Stich gelassen haben!“ Dabei waren wir wochenlang unterwegs beim Aufhängen von Plakaten, Verteilen und Flugblättern und an Infoständen. Ich erklärte noch im Jahr 1972 meinen Austritt aus der SPD.

Inzwischen war ich während des Studiums an der Kunstakademie mit Joseph Beuys in Kontakt gekommen. Mich faszinierte sein Büro für Direkte Demokratie an der Andreasstraße und nahm am Ausfegen des Waldes teil, das er als Protest gegen Baumfällungen zugunsten des Rochusclub initiiert hatte. So kam ich mit seinen politischen Ideen in Kontakt. In der Kunstakademie waren die Beuys-Schüler nur deshalb nicht ausgegrenzt, weil sie in der Mehrheit waren. Im Studentenparlament herrschte der DKP-nahe MSB Spartakus. Ein Jahr lang war ich der einzige Vertreter im SP, der nicht zu dieser Gruppierung zählte – und hätte es nicht eine MSBlerin gegeben, die mich mochte (und ich sie auch), hätte ich von vielen Sitzungen nicht einmal erfahren. So war das Demokratieverständnis der orthodoxen Kommunisten.

Die Gründung der Antiparteienpartei

Es wird auch mein nach dem Studium locker gehaltener Kontakt zu den Beuys-Leuten gewesen sein, über den ich von der Gründung erfuhr. Ich bin auch nicht sicher, wann genau und an welchem Ort sich die Düsseldorfer Grünen gründeten – vermutlich im März 1979 in der Aula der Werner-von-Siemens-Realschule an der Rethelstraße. Irgendwie wurde ich als irgendwas gewählt, und ein paar der Teilnehmer gingen noch in die Altstadt, um sich beim Bier ein bisschen näher kennenzulernen. Darunter auch Carlheinz Bonny, Journalist im Handelsblatt-Verlag, der ebenfalls für eines der Ämter gewählt worden war. Es war das Souterrain-Lokal an der Akademiestraße, in dem sich danach das „Miles Smiles“ befand. Beim Bier entstand dann zwischen uns Journalisten die Idee, eine grüne Zeitung für Düsseldorf zu machen. Die kam dann auch später…

Hinweis: Ich wäre sehr dankbar, wenn sich Menschen, die damals aktiv dabei waren oder diese historische Phase genauer beobachtet haben, sich hier in den Kommentaren mit Korrekturen und Ergänzungen melden würden.

Über das Jahr 1979 blieb die Kernmannschaft der Düsseldorfer Grünen überschaubar. Einige Altlinke gesellten sich dazu. Zum Beispiel Dieter Reichardt, Erbe einer hessischen Weindynastie, der einen Weinladen in der Altstadt hatte und später lange Jahre den Kräuerstand auf dem Carslplatz betrieb. Oder Reinhold Maigatte, Verkäufer in einem Obst-Gemüse-Geschäft in Flingern, ein altgedienter Kommunist, und Karl-Heinz Baumann, den Gründer des Verkehrsclubs Düsseldorf. Dazu etliche Reformhaus-Ökologen, einige aktive Feministinnen und jede Menge Künstler, Gastronomen und schräge Vögel. Darunter auch Hendrik Hendriks, den Wirt vom damals schwer angesagten „Grünen Mond“ an der Grafenberger Allee. Ebenfalls zu den ersten Düsseldorfer Grünen zählten Ingrid Landau und Anja Vorspel. Von alten K-Gruppen-Kadern sind wir zum Glück weitestgehend verschont geblieben.

Und so gingen wir in den Wahlkampf zur Europawahl 1979, bei dem die Grünen bundesweit erstaunliche 3,2 Prozent der Stimmen holten. Bei einer Wahlbeteiligung von immerhin fast 66 Prozent entsprach das fast 900.000 Stimmen. Und das aus dem Stand. Da war allen Beteiligten klar, dass die Entwicklung weitergehen musste, dass eine Parteiorganisationen aufzubauen war. Und so kam es im Dezember 1979 zur Gründung der NRW-Grünen in Hersel bei Bonn.

Kommentare sind gesperrt.