Damals, so um 1970 herum, in den Zeiten als sich Mädchen noch nicht die Achsel- und Schamhaare rasieren mussten, waren Freibad und Eisbahn die wichtigsten Kontakthöfe fürs junge Volk. Während man die körperlichen Gegebenheiten einer potenziellen Geschlechtspartnerin zum Beispiel im Schwimmbad am Rheinstadion oder in Lörick unmittelbar in Augenschein nehmen und abwägen konnten, zählten im Eisstadion mehr die inneren Werte. Barbara hätte in beiden Arenen Kantersiege eingefahren, aber im Sommer habe ich sie nie beim Schwimmen getroffen. Auf dem Eis war sie zumindest im Winter 1969/70 die Schönste ihrer Altersklasse. Für mich allerdings ein bisschen zu schön und auch um ein, zwei Jahre zu alt. Sie war recht groß gewachsen, hellblond und trug die Haare mittelgescheitelt und sehr lang unter der warmen Mütze. So weit es sich abschätzen ließ, muss sie eine tolle Figur gehabt haben. Ich aber hatte ein Auge auf ihre kleine Schwester geworfen.

Elfie war sogar noch größer als Barbara, sehr dünn, mit einer praktischen Kurzhaarfrisur in mausbraun. Während die große, schöne Schwester auf ihren weißen Kunstlaufschlittschuhen ständig in Bewegung war, immer umgeben von einem Rudel Jungs, die Kunststückchen zum Besten gaben, gab Elfie eher das Mauerblümchen, das gern irgendwo an der Bande lehnte und dem Treiben unlustig zusah. Es hieß immer, die guckt so traurig. Erst nach Wochen fand ich heraus, dass sie nicht gern lachte, weil man dann ihre Zahnlücken sehen konnte; ein Geburtsfehler, der gar nicht so selten ist, wenn einem die Eckzähne fehlen. Bei ihr waren es die im Unterkiefer. Wie beim Schauspieler Jürgen Vogel hatten die Schneidezähne den Raum genutzt, um Abstand voneinder gehalten. Ich fand es sehr sexy, wenn sie mich anlächelte.

Eissport Kasper
Sie war fast einen Kopf größer als ich. Mein erster Kontaktversuch bestand darin, dass ich direkt vor ihr scharf bremste und sie so mit einer Wolke Eisstaub einnebelte. Sie fand das nicht komisch und drehte sich einfach um. Laufen konnte sie auch nicht besonders gut. Damals hatte kaum jemand eigene Schlittschuhe. Man lieh sich welche beim Kasper. Das war der Inhaber des Eislaufladens im Gebäude der Haupttribüne, ehemaliger Spieler und graue Eminenz der DEG. Jedenfalls glaubte er das von sich. Später wurde sein Sohn Olli für kurze Zeit Eishockeyprofi, ruinierte sich die Karriere aber schnell mit Eskapaden bei der Nationalmannschaft und auch in der Stadt. Es wird auf mangelhafte Intelligenz zurückzuführen sein, dass der Junge, der ähnlich wie Christoph und Daniel Kreutzer auf dem Eis großgeworden war, so wenig aus seinem Talent machte.

Jedenfalls musste man entweder Glück oder einen besonderen Draht zum Kasper und seinen Mitarbeitern haben, um an ordentliche Schuhe zum kommen. Ich hatte mich ein bisschen mit einem seiner Helfer angefreundet, einem dicklichen Jungen, der – so hieß es – aus der Sonderschule geflogen sei. Der war lieb und nett und mit ein paar freundlichen Worten zu bestechen. So kam ich immer an die neusten Eishockeyschlittschuhe in meiner Größe und war allein dadurch ziemlich gut auf dem Eis. Viele Jahre später, mein Sohn spielte in den Jugendmannschaften der DEG, habe ich mir die damals besten Schuhe gekauft, die man für Geld haben konnte. Denn Schlittschuhlaufen war über gut zwölf Jahre mein Sport. Aber so weit war es in jenem Winter noch nicht.

Langsame Runden zu laufen ohne hinzufallen, war schon ein Qualitätsmerkmal. Wer scharf bremsen konnte, war ganz vorne dran. Beherrschte man den Kanadierbogen zum Anhalten oder konnte fehlerfrei rückwärts laufen, zählte man zur Elite. Keine Ahnung, ob derlei Fähigkeiten die Mädchen beeindruckten. Elfie hat mir einmal erzählt, dass man sich als Frau – ja, sie sagte mit ihren fünfzehn, sechzehn Jahren wirklich: als Frau – einfach sicherer auf dem Eis fühle, wenn man an der Hand eines Könners umherrutschte. Also waren die Burschen, die Runde um Runde rückwärts vor der Dame des Herzens her fuhren und sie besprachen, oft erfolgreich.

Geruch und Geschmack
Den Geruch des Eisstadions an einem beliebigen Winterabend habe ich noch in der Nase. Damals muss beim Eismachen wohl Ammoniak im Spiel gewesen sein, denn das war die vorstechendste Duftnote. Die wurde nur noch überdeckt vom Pommesdunst aus dem Imbisschalter rechts an der Haupttribüne. Die gehörte zum Kreutzer-Imperium, das seinerzeit das komplette – heute würde man sagen – Catering des legendären Eisstadions an der Brehmstraße in der Hand hatte. Eigentlich hatte der olle Kreutzer als Metzger auf der Rethelstraße begonnen, aber noch vor dem ersten Aufstieg der DEG im Jahr 1967 hatte er die Verpflegungsrechte im Stadion gewonnen, und später dann das riesige Restaurant hinter der Südtribüne gebaut. Vorher gab es nur die Bierstube an der Ecke der Haupttribüne, die viele Jahre später Hauptquartier der Eishockeyeltern werden sollte. Viel mehr als Pommes mit Majo, Cola und Fanta wurde uns Laufzeitbesuchern nicht geboten. Aber der Geschmack der frittierten Kartoffelstäbchen, die noch aus eigener Schlachtung stammten und in ordentlichem Öl gegart wurden, wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Die Dinger waren außen kross und innen brüllend heiß und weich. Regelmäßig verbrannte man sich beim ersten Biss den Gaumen, aber das gehörte dazu.

Außerdem waren Fritten und Cola das optimale Bestechungsgeschenk für Mädchen, die man vom Eis kriegen wollte. Natürlich um sich mit ihnen in die dunkelste Ecke der Anlage zu verziehen. Das waren die Bänke ganz hinten an der zweiten Eisbahn, die im Schatten der Bäume des Zooparks lagen. Da hockten die Pärchen mit den Pommestüten und den Colaflaschen, und wenn die Mahlzeit beendet war, ging man zum Knutschen über. Ich war auch zwei-, dreimal mit Elfie da hinten, aber sie ging auf Annäherungsversuche nicht wirklich ein. Da war Waltraud, die alle nur Wally nannten, aus anderem Holz geschnitzt, eine fröhliche Dürre mit rotbraunem Wuschelhaar, die gern laut lachte und jeden Spaß mitmachte. Es war genau diese Wally, die sich offensichtlich in mich verguckt hatte und mir eines Abends auf dem Heimweg folgte. Ich bekam das erst mit, als sie hinter mir von der Jülicher Brücke in die Tussmannstarße bog. Gegenüber von Mercedes blieb ich stehen und wartete auf sie. Was ist? fragte ich. Sie kam näher, stellte ihr Tasche ab und fiel mir um den Hals: Ich finde dich so süß, sagte sie und drückte mir einen feuchten Kuss ins Gesicht. Ja, ich mag dich auch, gab ich zurück. Dann löste ich mich und sagte: Tschüss, wir sehen uns im Eisstadion.

Badenanstalten
Der Winter ging zu Ende, die Karten wurden neu gemischt, denn die Gruppe der Jugendlichen, die sich fast täglich im Eisstadion getroffen hatten, war nicht deckungsgleich mit dem Freundeskreis, der im Frühjahr im Viertel rumlungerte und im Sommer bei schönem Wetter im Freibad seinen Spaß hatte. So verlor ich Elfie und ihre schöne Schwester aus den Augen. Zumal Marion, die wohl nicht Schlittschuhlaufen konnte, jetzt dabei war. Die kannte ich schon aus dem Hallenbad. Für uns Leute aus Pempelfort war natürlich das, was wir die Münsterpfütze nannten, Schwimmort der Wahl. Heute freuen sich die Menschen am nostalgischen Charme dieser alten Badenanstalt, damals wäre nur die Kettwiger Straße eine Alternative gewesen, aber da waren zu gefährliche Jungs aus Flingern unterwegs.

Marion war auf zwei Tage genau so alt wie ich, ziemlich klein und hatte eine ausgesprochen weibliche Figur für ihr Alter, also richtig Hüften und recht große Brüste. Während die Mädchen, die sich hübsch fühlten, eher im Bikini antraten, war der schwarze Sportbadeanzug quasi ihr Markenzeichen. Und sie war eine fantastische Schwimmerin – schnell wie die schnellsten Jungs und als einzige in der Lage, im waschechten Delfinstil durchs Wasser zu pflügen. Außerdem sprang sie als einziges Mädchen vom Fünfer. Und zwar mit Köpper. Wenn Sie dann grinsend aus dem Wasser die Leiter hoch zum Beckenrand stieg, hatte sich der Badeanzug vom Anpressdruck des Eintauchens in manche Körperfalte gezogen. Außerdem konnten wir Burschen dann auch die krausen Büschel Schamhaar sehen, die links und rechts aus dem Zwickel hervorschauten. Manche erregte das so sehr, dass sie eine Erektion nicht unterdrücken konnten. Berüchtigt dafür war Schulkamerad Bernd, der sich aber im Gegensatz zu den anderen nicht dafür schämte, wenn er mit großer Beule in der Badehose am Beckenrand entlangstolzierte. Bis er dann eines Tages vom Bademeister den nicht sehr freundlich gemeinten Rat bekam, mal schnell unter der Eisdusche zu verschwinden.

Vom Knutschen zum Petting
Der Traum jener Tage war es, sturmfreie Bude zu haben, um eine Fete geben zu können. Das gelang selten. Ich war nun viel mit Marion zusammen, obwohl es von außen noch nicht so aussah, als gingen wir miteinander. Jedenfalls fragte ich sie, ob sie mitkomme zum Manfred, dessen Eltern seien nicht da, also würde dort am Samstag gefeiert. Die hatten ihm die Party nicht nur ausdrücklich genehmigt, sondern Essen und Getränke bereitgestellt. Nur für den Alkohol musste jeder selbst sorgen, denn der war in Manfreds Elternhaus für Menschen unter 21 verboten. Rauchen war ebenfalls nicht erlaubt, aber dafür gab es ja den Balkon, auf dem sich zwischendurch mehr Leute aufhielten als in der Wohnung. Denn natürlich rauchte im Jahr 1970 praktisch jeder Jugendliche; wer sich als Nichtraucher outete, sah sich gezwungen, das erklären zu müssen.

Getanzt wurde im Wohnzimmer, das die Eltern freigeräumt hatten. Aber die meisten standen in der Küche rum, um zu quatschen, zu essen und zu trinken. Aus seinem Kinderzimmer hatte Manfred eine Dunkelkammer gemacht. Die einzige Lichtquelle war eine winzige 15-Watt-Birne in einem Nachttischlämpchen mit dichtem Schirm, über das er zudem ein paar Lagen dunkelroten Stoff aus Mutters Nähkorb geworfen hatte. Wie auf den meisten anderen Feten war es auch hier üblich, dass sich bestehende und gerade zusammengekommene Paare zum Knutschen dorthin zurückzogen. Da Marion nicht gern tanzte, stand sie anfangs meist in der Tür zum Wohnzimmer und sah uns Tänzern zu. Sie lächelte mich ein paar Mal an, und ich lächelte zurück. Dann kam ich leicht verschwitzt vom Rocken auf sie zu. Marion grinste und hielt mir ihr Weinglas hin, das ich in einem Zug leerte.

Plötzlich standen wir uns gegenüber und sahen einander an. Komm, sagte ich, nahm ihre Hand und führte sie ins Knutschzimmer. Noch im Stehen fielen wir übereinander her. Küssten uns wild. Wussten nicht, wohin mit den Händen. Moment, flüsterte sie, hakte ihren BH auf, und zog ihn unter dem Pullover hervor. Später ließ sie zu, dass ich mit der Hand unter ihren Hosenbund fuhr. Das Kraushaar berührte, das ich da fand. Und weiter. Man kann es nicht anders ausdrücken: Wir wurden süchtig nach dem, was damals in der Bravo von Dr. Sommer Petting genannt wurde. Sie wohnte ein paar Häuser entfernt, und wenn wir von einer Party oder aus der Tanzschule oder einfach von einem Spaziergang zurückkamen, zögerten wir den Abschied heraus, um dann doch wieder an einander rumzumachen. Wir hatten unsere geheimen Orte: Ganz oben in ihrem Treppenhaus, wo es nur die Tür zum Dachboden gab, ganz unten in unserem Keller, in der Nische zum Heizungsraum.

Nach der Party bei Manfred dachten alle, Marion und ich würden nun miteinander gehen. Aber tatsächlich überstand unsere jugendliche Beziehung nur wenige Wochen. Als die Freibadsaison begann, hatten wir alle Arten Petting durch und waren bereit, sie mit jeweils anderen Partner zu probieren. Wir sahen uns weiterhin den Sommer über und waren noch lange Jahre sehr miteinander befreundet. Dann ging sie als Au-Pair-Mädchen nach Paris und verschwand aus meinem Leben. An ihre Stelle trat Susanne, meine Kindergartenliebe. Die hatte eine böse Mutter, die sie schlug, da war sie schon achtzehn. Wir heirateten 1973, um sie da rauszuholen.

[Hinweis: Dies ist eine Geschichte, keine Dokumentation. Sie basiert auf Situationen, die tatsächlich stattgefunden haben, beschreibt aber auch Szenen, die es nie gegeben hat. Die Namen sind teilweise verändert, die Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen aber unvermeidlich.]

2 Kommentare

  1. Ja, mein Lieber, dann sollten wir doch mal zum Eislaufenan auf die Brehmstraße gehen, denn da habe ich meine Jugend verbracht. Ebenso im Rheinstadion auf den Stufen und Peter Müller zugesehen, wie er Salto vom 10. gesprungen ist.
    „Peddi“ müssten sie dann ja auch kennen.

    Alles Gute, schöne Grüße
    Erika Hampe

    • Rainer Bartel am

      Ach, wie gern würd ich noch mal aufs Eis gehen! Aber leider darf ich seit einer schlimmen Knieverletzung von vor 20 Jahren nicht mehr Schlittschuhlaufen :–((

      Nein, den Peddi kenn ich leider nicht. Muss sagen, dass meine Erinnerungen an das Eisstadion viel umfangreicher und präsenter sind als die aus dem Rheinstadion-Freibad…