[Essay – Vorsicht: langer Text] Offensichtlich hat jeder Mensch eine Phase im Leben gehabt, in der – zumindest in der Rückschau – alles wunderbar und schön für ihn war. Im Seufzer „Ach, das waren noch Zeiten“ schlägt sich dies nieder. Dumm nur, dass nicht jeder Mensch dieselbe Phase schön gefunden hat, dass im Gegenteil für manchen eine bestimmte Zeit die schlimmste Zeit des Lebens war, während es für eine andere Person die Sehnsuchtszeit ist. Beinahe immer unterscheiden sich die schönsten Zeiten des Lebens von Generation zu Generation, oft aber auch nach der Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Klasse. Besonders bei Städtern zeigt sich dieser nostalgische Ansatz in der Beurteilung ebendieser Stadt und ihrer Veränderungen.

In Düsseldorf wurde dies in letzter Zeit vor allem rund um den Abriss des Tausendfüßlers, der Hochstraße zwischen Hofgartenstraße und Berliner Allee im Jahre 2013 deutlich. Nicht ganz überraschend zeigte sich eine große Bevölkerungsgruppe entsetzt davon, dass dieses Bauwerk, das ja letztlich für den Tamms’schen Wahn von der autogerechten Stadt stand, weichen sollte. Als ich seinerzeit die beschlossene Entfernung des Tausendfüßlers als „späte Entnazifizierung“ Düsseldorfs bezeichnete, erntete ich einen veritablen Shitstorm. Da half auch nicht, über die Vergangenheit des Friedrich Tamms als aktivem Teil des NS-Regimes hinzuweisen und auf seine brutalen Maßnahmen und Pläne, die Stadt vor allem für Autofahrer genießbar zu machen.

Vermissen, was weg ist

Heute verstehe ich die Gegner des Abrisses zumindest ansatzweise, denn manchmal vermisse ich das fein geschwungene Bauwerk auch, denke gelegentlich daran, wie atemberaubend es war, von Norden her kommend aufwärts zu fahren, um dann an Peek & Cloppenburg und der Johanneskirche vorbei auf die Berliner Allee zu blicken. Die Fahrt durch den Kö-Bogen-Tunnel ist im Vergleich natürlich ausgesprochen langweilig. Dafür aber entsteht mit dem Kö-Bogen II ein ebenfalls atemberaubendes Bauwerk. Wie überhaupt die Beseitigung des öden Jan-Wellem-Platzes eine dramatische, aber letztlich positive Veränderung in der Innenstadt bewirkt hat.

Komischerweise habe ich noch nie von irgendwem irgendwelche nostalgischen Bedenken gegen den Rheinufertunnel gehört. Der Ausbau der B1 als Spange zwischen dem nördlichen und dem südlichen Zubringer entstand übrigens ebenfalls auf Anordnung von Friedrich Tamms. Oder wer hätte den gern die fürchterliche Stahlhochstraße zurück, die damals die Verbindung zwischen der stark befahrenen Straße westlich der Altstadt und der Völklinger Straße darstellte? Im Gegenteil: Ich erinnere mich, dass ich nachdem der Tunnel fertig war, eines Tages am Rande des Burgplatzes stand und Tränen in den Augen hatte – Tränen des Glücks, dass Altstadt und Rhein wieder zusammengewachsen waren.

Wirtschaftliche und soziale Umwälzungen

Es gehört zum Wesen einer urbanen Ansiedlung – und das gilt seitdem es Städte überhaupt gibt – sich ständig zu verändern. Es muss kein Krieg sein, der für Zerstörung sorgt, die dann zu einem andersartigen Wiederaufbau führt. Meistens sind es Umwälzungen wirtschaftlicher und sozialer Art, die für drastische und sichtbare Veränderungen sorgen. Bis auf den heutigen Tag kann man dies an ewigen Städten wie Rom, Paris, London, Kairo, Köln und vielen anderen ablesen. Aber, diese tausende Jahre alten Metropolen lehren auch eines: Dass jede Stadt für ihre spezielle, eigenständige Persönlichkeit darauf angewiesen ist, dass Relikte vergangener Episoden erhalten bleiben.

Für Düsseldorf spezifisch sind nicht nur die Folgen der Bombardierungen des zweiten Weltkriegs, sondern mindestens ebenso die Veränderungen, die durch die industrielle Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts hervorgerufen wurden. Viertel wie die Carlstadt, die wir heute oft einfach als Teil der Altstadt begreifen, sind Zeugen der großen Stadterweiterung; dazu zählt auch Friedrichstadt und in großen Teilen auch Derendorf und Flingern. Das Schleifen der alten Festungsanlagen – Spuren davon zeigen sich am Spee’schen Graben und im Namen der Bastionstraße – machte den Weg frei für die Vergrößerung.

Brutale Stadterweiterung

Auch damals gingen Planer durchaus brutal vor. So musste das uralte Berger Tor am südlichen Ende der Altstadt 1895 dran glauben, neben dem Schlossturm und der Basilika St. Lambertus eines der Wahrzeichen der Stadt. Wälder zwischen Gerresheim und Düsseldorf wurden rigoros abgeholzt, ehemalige Flingeraner Ackerfläche ohne Umstände zu Bauland gemacht. Und wenn einer der Großindustriellen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an einer bestimmten Stelle eine Fabrik errichten wollte, dann konnte er diesen Plan ohne Rücksicht auf das, was zuvor dort war, durchsetzen.

Veränderungen werden sichtbar durch den Vergleich. Man kann dem Stadtarchiv Düsseldorf gar nicht genug dafür danken, dass es regelmäßig Stiche, Pläne und Fotos aus der Vergangenheit veröffentlichen, die es interessierten Bürgern ermöglichen, sich ein Bild von diesen Veränderungen zu machen. Es zeigt sich dabei deutlich, dass es zu jeder Zeit, in jeder Epoche unter ganz unterschiedlichen Umständen massive Veränderungen an der Bebauung und an der Führung von Verkehrswegen gab und dass die Änderungen, die heute lebende Menschen besonders intensiv wahrnehmen, nicht unbedingt zu den größten Umwälzungen gehören.

Im zweiten Teil möchte ich auf diese Umwälzungen in früheren Zeiten kommen, die Düsseldorf am stärksten verändert haben und deren Wirkung sich mit dem Bau des Rheinufertunnels und des Kö-Bogens vergleichen lassen.

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