Aus heutiger Sicht lief ab Anfang 1999 vieles auf eine Apokalypse hinaus. Vor allem dieses vermaledeite Milleniums-Ding: Weil Microsoft und die anderen nicht daran gedacht hatten, dass demnächst ein neues Jahrtausend anbrechen würde, sollte die Welt durch flächendeckende Computerausfälle untergehen. Vorher war dann noch ein uh, ah, unheilsschwangere Sonnenfinsternis angesagt. Ein Naturschauspiel, das mich immer schon aufs Äußerste fasziniert hatte – so sehr, dass ich beinahe 1991 nach Südkalifornien gereist wäre, um dort die totale Eclipse mitzuerleben. Leider gab’s dafür nicht genug Geld auf dem Konto. So war ich enorm aufgeregt und extrem gespannt auf den 8. August 1999. Denn an diesem Tag sollte eine (fast) vollständige Sonnenfinsternis auch bei uns in Mitteleuropa zu beobachten sein. Schon im Frühjahr hatte ich Pläne gemacht, wollte irgendwo ans Meer oder auf einen Berggipfel. Aber das Leben spielte anders: Die Verdunkelung des Lebenssterns erlebte ich auf einem Parkplatz direkt neben dem Microsoft-Hauptquartier in Unterschleissheim. Und das kam so:

Irgendwann um Ostern rum rief mich ein alter Kollege an. Er sei ja Chef einer PR-Agentur, ob ich mir denn vorstellen könnte, auch mal als Festangestellter zu arbeiten. Weil’s freiberuflich gerade nicht so dolle lief, sagte ich ja. Am Mittwoch nach Ostern trafen wir uns und vereinbarten die Konditionen, und ab dem 1. Mai war ich dann plötzlich PR-Berater mit dem Schwerpunkt IT. Deshalb war der Typ auch so scharf auf mich. Immer mehr IT-Firmen suchten PR-Beratung und/oder Hilfe bei der Vorbereitung von Börsengängen. Und in der Agentur hatte niemand ausreichend Ahnung von diesen Themen. Ich begann meinen Job mit einem lange geplanten Urlaub – und wurde dann von einer Kundenwelle überrollt. Einer dieser Kunden war das Gemischtsoftwarehaus NAI mit dem Schwerpunkt Security. Wie wir heute wissen, war es NAI, die als ersters US-Unternehmen die NSA schlau machte und mit Spioniersystemen ausstattete. Das wussten wir natürlich nicht. Ihre Deutschlandzentrale hatten die Spione in Unterschleissheim installiert. Dort amtierte eine hochverwöhntes Töchterchin reicher Schwaben als PR-Chefin und war also meine Ansprechpartnerin. Sie trieb mich mit ihren Ansprüchen und ihren Spontananrufen an Feiertagen oder in meinem Urlaub in den Wahnsinn und hatte eine Schwäche für rote Dessous.

Ausgerechnet für den 11.08.1999 hatte sie ein Strategiemeeting angesetzt. Tage vorher hatte ich sie auf das kommende kosmische Ereignis aufmerksam gemacht, und sie hatte nur geantwortet: Dann machen wir eben dann Pause. So kam es. Die genaue Uhrzeit erinnere ich nicht, aber es war um die Mittagszeit. Plötzlich strömten die Insassen der umliegenden Gebäude auf den vorgelagerten Parkplatz, eben auch die Microsoft-Leute. Viele hatten schon ihre Sofi-Brille auf. Man plauderte im gedämpften Ton an diesem sonnigen Sommertag. Auf einmal wurde es still. Die Vögel hatten ihre Gesänge eingestellt. Die Menschen wandten sich wie ferngesteurt Richtung Südwesten. Eine leichte Brise kam auf. Und dann sahen wir den Schatten auf uns zufliegen, mit ziemlich scharfem Rand, quer über den Parkplatz. Dann war es für ein paar Minuten ungefähr so dunkel wie in einer klaren Vollmondnacht. Schließlich raste die Schattengrenze über uns hinweg, und die Show war beendet.

An vernünftige Diskussionen beim Strategie-Meeting von NAI war nach diesem Ereignis nicht mehr zu denken.

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Ein Kommentar

  1. Angelika am

    An diesem 11.8.1999 wurde ich 37 Jahre alt.
    Es war unglaublich still und richtig kalt und dunkel. Und das mitten am Tag.
    Das vergesse ich nie. Es war unheimlich.