[Dieser Artikel erschien zuerst im November 2008 in unserer Vorgängerpublikation „Rainer’sche Post“] Manchmal bin ich so dankbar, Düsseldorfer zu sein. Nicht nur, weil das schönste Städtchen am Rhein so schön ist. Nein, auch wegen gewisser klimatischer Umstände. Der für mich bedeutendste ist: Hier schneit’s so gut wie nie. Ich gestehe: Bilder von verschneiten Landschaften finde ich irgendwie schon ganz nett, aber das feuchtkalte Zeug als reale Erscheinung ist mir zuwider, weil für nix gut. Im Gegenteil. Schnee kommt von oben wie Regen, versperrt die Sicht und hat die Eigenschaft, nach kurzer Zeit zu schmelzen und einen ekelhaften Matsch zu erzeugen. Jedenfalls an diesem wunderbaren Ort. Deshalb haben es die Klimamacher schon ganz richtig gemacht, Düsseldorf meistens von diesem Mist zu verschonen. Die langjährige Erfahrung lehrt, dass selbst wenn’s rundherum schneit und der Schnee liegenbleibt, hier alles trocken bleibt. Zahlreiche Telefonate („Du, schneit’s bei euch auch?“ – „Nö. Wieso?“) haben das erwiesen. [Lesezeit ca. 3 min]

Nun gibt es aber haufenweise sentimentale Zeitgenossen und -innen, die emotional voll auf das, was sie „weiße Pracht“ nennen, abfahren. Ich führe das entweder auf einen genetischen Defekt oder aber langfristige Gehirnwäsche durch die Unterhaltungsindustrie zurück. Seit einiger Zeit frage ich mich, ob die Leute schon vor Bing Crosbys „White Christmas“ schon so verblödet waren. Oder ob ihnen dieser ganze US-Kitsch, der gegen Jahresende voller Schneeverwehungen samt illuminierter Weihnachtsbäume und Weihnachtsmänner (die dort immer aussehen wie schwere Trinker) im Namen der Coca-Cola zu uns rüber schwappt, den Restverstand raubt. Da singen die Deppen „Let it snow“ und tragen dazu bescheuerte Nikolausmützen – in aller Öffentlichkeit! Ja, selbst Menschen, die in diesem schönen Land aufgewachsen sind, labern plötzlich von Rudolf, dem rotnasigen Rentier, einer Erfindung des Kleinmädchenliebhabers Walt Disney, und sind sicher, dass die Geschenke oben in den Schornstein abgefüllt werden. Ähnlich wie der Halloween-Mist scheint mir die Xmas-Mythologie ein weiteres Erzeugnis des US-Kulturimperialismus zu sein, dessen Funktion bekanntlich ist, ansonsten einigermaßen denkfähige Wesen in Konsumtiere zu verwandeln, die haufenweise Müll kaufen, den sie nicht brauchen und sich nicht leisten können.

Ja, sagen die Älteren, früher war nicht nur mehr Lametta, sondern auch viel, viel mehr Schnee. Sind die so Redenden jünger als etwa Jahrgang 1940, dann sind derartige Aussagen auch wieder bloß ein Symptom für massive Vergangenheitsverdrängung, denn wer die harten Nachkriegswinter überlebt hat, der sollte für jedes Weihnachtsfest bei mildem Wetter dankbar sein. Denn unter dem vielen Schnee in den Jahren 1945 bis 1948 litten die Menschen, Spaß kann das nicht gemacht haben.

Mir selbst sind ein paar schneereiche Winter in den Fünfzigerjahren in Erinnerung, in schlechter Erinnerung. Denn Schnee, das hieß: Von eisharten Schneebällen getroffen zu werden, schmutzigen Schnee in die Fresse geschmiert zu kriegen, nasse Füße und vor allem: Schlittenfahren. Ich habe es gehasst! Als ängstliches Kind, das ich war, habe ich mir buchstäblich in die Hose gemacht beim Blick vom Rodelhügel im Hofgarten in die Tiefe oder gar in der Hildener Heide, in die uns unser Vater bei Schnee gern verschleppte. Natürlich endete keine meiner Abfahrten unfallfrei, und einmal hab ich mir fast die Gräten gebrochen als sich mein Knöchel zwischen Kufe und Sitz verkeilte, während ich mich auf die Schnauze legte.

Ich plädiere also dringen dafür, dass Düsseldorf auch in Zukunft schneefrei bleiben möge. Wie es dem Volk woanders in Sachen Schnee geht, ist mir wurscht. Mögen irgendwelche halbzivilisierten Bergvölker auf Brettern ihre Almen hinabrutschen, mögen Niederländer beim Anblick der weißen Masse in kollektive Orgasmen ausbrechen und mögen sich Afrikaner beim Anblick des ersten Schnees ihres Lebens aufführen wie durchgeknallte Kinder – sollen sie doch. Sollen sie mich aber auch mit dem Zeug einfach in Ruhe lassen!

Kommentare sind gesperrt.