Kann man diese Partie analysieren? Vielleicht. Aber vorher muss man als F95-Fan seine Emotionen freien Lauf lassen. Und damit ist nicht das gemeint, was völlig verblödete Sprechpuppen im Bezahl-TV bei jedem noch so öden CL-Kick herbeizuplärren versuchen, sondern wahre, echte und starke Gefühle: Ich liebe diese Stadt! Ich liebe Fortuna! Und ich liebe diese wunderbare Mannschaft und ihr phantastisches Trainerteam. Nun ist es eigentlich keine große Sache, eine massiv überbewertete Truppe und einen heillos überbewerteten Trainer mal eben wegzuhauen – man muss es aber auch erstmal machen. Und das tat dieses grandiose Team im Stile einer Spitzenmannschaft.

Wenn dieser Jahrhundertauswärtssieg unter einem Motto stand, dann lautete dies „Volle Konzentration“. Was genau müssen Trainer eigentlich anstellen, dass ihre Schützlinge tatsächlich über 90 Minuten jederzeit voll dabei sind? Etwas mehr als 17 Prozent Fehlpässe sind zum Beispiel ein guter (wenn auch nicht überragender) Wert. Zum Thema Konzentration gehört aber auch, ständig so wach zu sein, Fehler der gegnerischen Spieler schon im Ansatz zu erkennen und zu reagieren. Die Folge der enormen Konzentration sind die drei großen B: Balleroberung, Ballbehandlung und Ballbehauptung. In jeder dieser Disziplinen war die glorreiche Fortuna den Blauen jederzeit überlegen.

Fußball ist ein Mannschaftssport

Dabei ist der Verfall von Schalke 04 vom Vizemeister der Vorsaison zum potenziellen Absteiger ein Lehrbeispiel für die Perversion des modernen Fußballs. Denn recht eigentlich ist das Spiel mit dem getretenen Ball ein Mannschaftssport. Und eine Mannschaft ist eine Zweckgemeinschaft, die das Ziel hat, den Erfolg des Vereins, für die sie antritt, zu mehren. Das bedeutet, dass sich jedes Mitglied diesem Ziel unterordnet, dass jeder jederzeit für jeden einsteht, dessen Fehler ausbügelt und ihn so optimal wie möglich einsetzt – ohne auf den eigenen Vorteil zu achten. Haben wir damit soeben die Mannschaft des TSV Fortuna Düsseldorf 1895 der Erstligasaison 2018/19 beschrieben? Ja, so sieht’s aus.

Normalerweise ist es nicht unsere Art, genauer auf den jeweiligen Gegner einzugehen. Bei Schalke 04 als einem der letzten Traditionsclubs, der sie – genau wie Fortuna Düsseldorf – dafür entschieden hat, den Profifußball als eingetragener Verein zu betreiben, soll das anders sein. Denn dieser Verein, der vor Sentimentalität nur so trieft, obwohl er seit über 60 Jahren nicht mehr Meister wurde und ihm der letzte Pokalerfolg im Jahr 2011 nur dank eines hilflos unterlegenen Gegners zufiel, hat 2006 seine Seele an einen russischen Energiekonzern verkauft, sich damals mit den geflossenen Millionen entschuldet und die Kohle danach nur noch so rausgehauen. Obwohl man per Saldo seit 60 Jahren weniger Erfolge aufzuweisen hat als Wolfsburg, hält man sich für einen Spitzenclub und will partout mit den großen Jungs mitspielen. Und tat, was alle tun, die jede Menge Schotter ausgeben können: Man kaufte Spieler. Also, begabte und umworbene Spieler. Dazu einen jungen Trainer, der zuvor Wismut Aue vor dem Abstieg aus der zweiten Liga gerettet hatte. Und weil das in der Hinrunde nichts brachte, wurde der inzwischen sich verpisst habende Manager nochmal tätig. Das Ergebnis: Ein teurer Haufen guter Spieler, gespickt mit großen Talenten, aber ohne den Hauch eines Zusammenhalts. Das als Exkurs

Unerwartetes erreichen

Bei F95 sieht das ganz anders aus. Auch hier gibt es gute Spieler und Talente, aber eben nicht die Sorte, die vom unseligen Axel-Springer-Portal transfermarkt.de im Interesse der Spielerberater und -vermittler gehypt wird, sondern solide Jungs ohne große Flausen im Kopp, die kapiert haben, dass sie als Gemeinschaft Unerwartetes erreichen können. Das hat ihnen Trainer Funkel von Beginn an eingebläut, das haben sie verinnerlicht. Und so kommt es, dass die Fortuna in der laufenden Saison nur ein einziges richtig schlechtes Spiel gemacht hat – es war ausgerechnet das gegen den designierten Absteiger Nürnberg. Es gab beinahe grundlos verlorene Partien, solche, bei denen ein Schuss Naivität zur Niederlage führte und Spiele gegen Gegner, die am jeweiligen Tag einfach besser waren. Mit dem großen Sieg gegen die Hertha drehte sich die Sache: Die Jungs hatten gelernt, dass sie gegen jede andere Mannschaft bestehen, ja, jedes andere Team schlagen könnte.

Man kann auch sagen: Die Mannschaft ist gereift. Diese Reife zeigt sich einer gewissen Grundgelassenheit und in der Fähigkeit, die Konzentration hochzuhalten. Wie gesagt: Dies sind keine individuellen Stärken, sondern Folgen von dem, was man „team spirit“ nennt. Aber natürlich kann man auch individuelle Stärken und Schwächen erkennen und benennen. Gestern auf dem Gelsenkirchener Hallenhügel waren es fast nur Stärken. Einmal war Tormann Michael Rensing gefordert und genau in dieser Situation zeigte er eine seiner schönsten Paraden. Die Vierkette stand durchweg supersicher, wurde aber auch wenig gefordert. Weil die Coaches aber auch die Parole „Geduld“ ausgegeben hatten, verkniffen sich sowohl Kaan Ayhan, als auch die Außenverteidiger Nico Gießelmann und Matthias Zimmermann unnötige Offensivaktionen. Und Marcin Kaminski ist sowieso immer eine Bank in der Innenverteidigung.

Der fortunistische Offensiv-Diamant

Ohne Kevin Stöger und Alfredo Morales antreten zu müssen, erschien zunächst als Nachteil. Aber wie der genesene Marcel Sobottka (übrigens Schalker Junge wie Ayhan…) und Aymane Barkok ihre Aufgabe als Sechser lösten, war absolut überragend. Auch diese beiden, die ja gern mal stürmisch mitmachen wollen, hielten sich so weit zurück, dass Risiken durch eventuelle Angriffe der Schalker gar nicht erst aufkommen konnten. Und davor dann ein fortunistischer Diamant der Offensivkraft: Käpt’n Oliver Fink, Benito Raman, Dodi Lukebakio und Dawid Kownacki! Man muss als F95-Freund von diesem Quartett einfach schwärmen: Da zeigt sich der alte Mann als unermüdlicher Kämpfer und Vorbild, da spielt der polnische Frischling so klug und sicher, da erkämpft der kleine Belgier Ball um Ball und da trickst der Schlaks seine Gegenspieler nach Belieben aus.

Und wenn man auf Basis dieser Lobeshymne die Partie zusammenfassen will, dann muss man einfach sagen: Die glorreichen Vier haben alle FÜNF Tore vorbereitet und vollstreckt, wobei Lukebakio, Raman und Kownacki etwas mehr Anteil daran hatten als Fink. Fünf Tore? Ja, die Fortuna hat auf Schalke fünf Tore erzielt. Eines davon wurde nach einem bescheuerten Eingreifen der Kölner Kellerkinder annulliert. Die Regel besagt, dass sich die VAR-Bande einschalten soll, wenn der Schiri auf dem Platz eine spielrelevante Szene möglicherweise falsch beurteilt hat. Zu den spielentscheidenden Szenen zählen auch Tore, bei den in Köln automatisch geprüft wird, ob u.a. ein Foul vorhergegangen ist. Falls ja, wir der Referee auf dem Platz darüber informiert, dass man im Keller was gesehen hat. Er kann sich das dann am Monitor angucken, muss aber nicht. Er kann dann seine Entscheidung revidieren, muss aber nicht. Nun haben die Leute in der VAR-Zelle ein vermeintliches Foul von Raman gesehen, der anschließend den Pass auf den späteren Torschützen Dodi spielte. Sagen wir so: Wäre daraus keine Bude entstanden, hätte kein Schiri der Welt auf Freistoß gegen Fortuna entschieden.

Bescheuerter Videobeweis

Um der Wahrheit der Ehre zu geben: Die ebenfalls von den Kölner Videoglotzern gefällte Entscheidung, ein Schalker habe im eigenen Sechzehner ein Handspiel begangen, wäre vor fünf, sechs Jahren auch so nicht entschieden worden. Über die Absurditäten dessen, was heute als strafbares Handspiel gilt, muss man nicht reden – aber, dass Verteidiger inzwischen zwanghaft die Arme hinter dem eigenen Rücken verschränken, damit ihr Tun ja nicht als Hand gewertet wird, macht die Sache lächerlich. Leider sieht es so aus, als habe die internationale Regelkommission in Aberdeen keine wirklich besseren Regelungen gefunden. Jedenfalls verhinderte ein Blauer ein mögliches Tor durch Dodi, der dafür den fälligen Strafstoß einnetzte.

In der ersten Halbzeit war Fortuna Düsseldorf, der Aufsteiger, den die handelsüblichen Experten vor der Saison zum klaren Absteiger gestempelt hatten, dem amtierenden Vizemeister in allen Belangen deutlich überlegen. Und das ist nicht bloß gefühlte Temperatur, sondern lässt sich durch jeden statistischen Wert, der gemessen wird, belegen. Bis auf ihren Keeper agierten die Gelsenkirchener hilflos, kraftlos und voneinander isoliert. Vermutlich hat dieser Hipster unter den Laptop-Trainern versucht, den überbezahlten Profis in der Kabine den Marsch zu blasen. Vielleicht sind die Typen, die sich mangels gemeinsamer Sprachkenntnisse untereinander kaum verständigen können, auch von selbst draufgekommen. Jedenfalls versuchten die Hausherren nach dem Wiederanpfiff offensiv zu spielen. Gleichzeitig sank deren bizarr hohe Fehlerquote, und die Flanken und Pässe kamen jetzt gelegentlich an.

So geht Kontern! So geht Einnetzen!

Da brannte es schon ab und an im fortunistischen Sechzehner, aber wieder: Die bis zu neun Düsseldorfer, die in solchen Situationen defensiv tätig wurden, taten das mit großer Ruhe und maximaler Konzentration. Nur ein einziges Mal bei einem milden Gestochere unmittelbar vor Rensing schienen die Herren in Rot ein bisschen den Überblick verloren zu haben. Die defensiven Aufgaben für die drei Jungspunde ganz vorne schienen auch klar definiert: Auf Balleroberung zu setzen, wenn die Schalker bei ihren Angriffsbemühungen mal hintenrum spielen mussten. Je müder die Gastgeber wurden, je größer ihr Frust über mangelnden Torerfolg, desto öfter ging dieses Rezept auf. Trainer dieser Bundesliga, schaut auf diese Fortuna – so geht Kontern!

Und so geht Einnetzen! Das 2:0 durch Kownacki: Wie lässig war das denn! Ein Zuckerpass, lang und flach, von Raman erreicht den neuen Stürmer, der auf den Tormann zuläuft, links ansetzt und die Pille dann in die rechte Ecke lupft. Wun-der-bar. Das 3:0 durch Raman: Dodi zieht drei Gegner auf sich und passt im exakt richtigen Augenblick quer auf den Kollegen, der aufs Tor zuläuft und im exakt richtigen Augenblick scharf abzieht und das Ding in die obere rechte Ecke zimmert. Das 4:0 durch Kownacki: Usami war in der 76. Minute für den ausgelaugten Raman gekommen und setzte in der 84. Minute zu einem seiner Hämmer aus dem Halbfeld an; der junge Torwart der Schalker kann das Ding abwehren, aber es fällt Kownacki vor die Füße, der sanft einschiebt.

Das Gesellenstück

Wenn die ersten zehn Spiele der Saison (es wurde ja dauernd von „Lehrgeld“ geschrieben…) die Lehrzeit der Fortuna 2018/19 waren, dann kann man die Partien 11 bis 23 als Gesellenzeit betrachten – mit diesem Jahrtausendsieg gegen Schalke Null-Vier als Gesellenstück. Okay, nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich – denn am Ende der Saison wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht das Meisterstück stehen – aber ziemlich sehr hochwahrscheinlich auch kein Abstieg. Und wir alle können sagen, wir seien dabei gewesen.

3 Kommentare

  1. Mann, was für ein Spiel. Ich hatte in unserer Tippgemeinschaft ein 1:1 gewählt, weil ich so naiv gewesen war zu glauben, Schlacke 04 würde nach der Pleite in Mainz eine Reaktion zeigen. Haben sie auch im Ansatz versucht, aber unsere Truppe hat dermaßen abgeklärt dagegen gehalten, dass man nicht glauben konnte, es spielt ein vorhergesagter Absteiger in Schalke.

    Es gab ja auswärts schon ein paar Highlights unserer Fortuna, aber so wie ich gestern unsere Wohnung und das ganze Haus zusammen gebrüllt habe, ist das auch nicht bei dem Punkt in Bayern passiert.

    Ja, S04 war richtig, richtig schlecht. Trotzdem muss man das ja erst mal ausnutzen können. Und das hat Fortuna richtig gut gemacht, die Tore 2 und 3 geile Spielzüge und schnelle Konter, Kandidaten für das Tor des Monats.

    In der Nachbetrachtung des Spiels auf Sky und im Sportstudio wurde das viel zu wenig biss gar nicht gewürdigt. Das Thema war nur Scheiße 04 (ja, das muss ich in diesem Zusammenhang aus Verärgerung mal sagen, obwohl ich diese Verunglimpfung im Sport überhaupt nicht mag), man konnte als unabhängiger Zuschauer den Eindruck gewinnen, F95 hat nur gewonnen, weil die mit den blauen Shirts so schlecht waren.

    Na ja, im Doppelpass heute, den ich wegen Funkel ausnahmsweise geguckt habe, wurde das mehr als wett gemacht. Sogar der Schiri bekam seit Fett weg, auch wegen der merkwürdig unterschiedlichen Herangehensweisen an Situation im Vergleich zum Auswärtsspiel in Gladbach („Elfer“ zum 1:0).

    Alles in allem, boah ey Fortuna, so begeistert wie in dieser Saison war ich schon lange nicht mehr. Das entschädigt für manches Zweitliga Jahr seit dem Abstieg 2013. Rechnerisch sind wir noch nicht durch, aber das dauert nicht mehr lange. Man kann also so langsam schon mal für das berüchtigte zweite Bundesliga Jahr planen. Wird mindestens so schwer, wie dieses.

    Bin mal gespannt auf den 11.03., da ist ja auch noch eine Rechnung offen.

  2. Seit gestern, später Nachmittag, stammeln wir nur „0:4“ vor uns hin. Ein unglaublicher Sieg! Leider in den Medien vollkommen unterbewertet. Stattdessen sieht man nur diesen weinerlichen, jämmerlichen Trainer der Schalker mit seinem Hundeblick und deren miserables Team. Wenig zu lesen oder zu hören davon, wie großartig unsere Mannschaft gespielt hat, von der ersten bis zur letzten Sekunde ein taktisches Konzept meisterhaft umgesetzt hat.
    Ich mache mir keine Sorgen mehr um den Abstieg, aber auch wenig Illusionen, dass wir in den nächsten Wochen bei den nächsten harten Brocken weiter so jubeln werden. Was aber vollkommen ok ist.

  3. Ich gucke Fortuna seit 1963.
    Das war makellos.
    War perfekt.
    Unvergesslich.
    Man muss sich schlicht verneigen.

    Wir sind tatsächlich wieder da …