Meine Ex-Schwägerin entstammte einer sehr österreichischen Familie, deren Insassen sich immer so ein bisschen nach Sissi und Kaiser Franz Joseph anhörten. Dort aß ich meinen ersten Tafelspitz mit Apfelkren, ein Fleischgericht, das ich zuvor nicht kannte. Dann geriet mir das Rezept in Vergessenheit, und um ehrlich zu sein, öfter als zwei- oder dreimal habe ich einen solchen Tafelspitz nicht zubereitet. Auch, weil mich geärgert hat, dass in den Rezepten über die Garmethode und -dauer immer einigermaßen nonchalant hinweggegangen wird. Denn, das Stück Rind (oder Kalb) perfekt hinzubekommen, ist alles andere als trivial.

Das ist beim typischen Apfelkren ganz anders. Kren sagen die Ösis zu Meerrettich (so wie sie Karfiol zu Blumenkohl sagen, und andere merkwürdige Ausdrücke für essbare Produkte verwenden, und die klassische Beilage zum Tafelspitz besteht eben nur aus frischgeriebenem frischen Meerrettich und frischgeriebenem säuerlichen Apfel. Dazu später mehr. Ansonsten kann und sollte man eine weitere Sauce und Kartoffeln und Serviettenknödel zu diesem gekochten Fleisch reichen.

Die Zutaten (für 1 kg Fleisch):

1 ~ 1,2 kg Tafelspitz vom Rind oder Kalb
2 ~ 3 Markknochen
optional: 1 Beinscheibe vom Rind
3 ~ 4 dicke Möhren
1/2 Sellerieknolle
2 Porreestangen
optional: 2 Petersilienwurzeln
1 große Zwiebel
Salz, Pfefferkörner, Nelken, Pimentkörner, Wacholderbeeren, Lorbeerblätter
1 säuerlicher Apfel
1 frischer Meerrettich derselben Größe
Zitronensaft
optional: Zucker

Die Zubereitung.

Nicht jeder Metzger hat dieses Stück immer vorrätig; oft muss es bestellt werden. Es handelt sich um das Schwanzstück, also den hintersten Teil des Muskels, der den Kuhschwanz ans Wedeln bringt. Der ist also quasi dreieckig bzw. läuft spitz zu; und er hat einen recht deutlichen Fettdeckel. Oft wird der Tafelspitz gleich ohne diese Schicht angeboten. Aber: Beim Garen bringt das Fett zusätzlichen Geschmack – also besser dranlassen; die Esser können das Fett von den Scheiben selbst abschneiden. Übrigens: Im Ergebnis wird sich Tafelspitz vom Rind oder Kalb wenig voneinander unterscheiden; das Kalbfleisch ist einfach schneller gar und insgesamt feiner.

In den meisten Anleitungen heißt es, man solle den Tafelspitz in gesalzenem Wasser oder Brühe kochen. Das ist Unfug: Am besten schmeckt er, wenn er in einer selbstgezogenen Rinderbrühe gegart wird. Also kochst du zunächst – gern schon am Vortag – ein ordentliche Brühe aus Markknochen. Die musst du sorgfältig abspülen und solltest sie anschließend kurz mit kochendem Wasser überbrühen. Halbiere die ungeschälte Zwiebel und röste die Schnittflächen schwarz an. Nimm jeweils die Hälfte von Möhre, Sellerie und Lauch und schneide sie in grobe Stücke. Bestücke ein Gewürzei oder -säckchen mit 10~15 schwarzen Pfefferkörner, 2 Gewürznelken, 5~8 Pimentkörnern, 5~8 Wacholderbeeren und 3~4 Lorbeerblättern. Setz die Knochen in kaltem, gut gesalzenem Wasser (mindestens 4 Liter) auf, wirf die geröstete Zwiebel hinein und häng den Gewürzbehälter ein. Lass die Sache einmal stark aufkochen und schöpf dabei das aufsteigende Eiweiß, das sich als grauer Schaum zeigt ab. Reduzier die Hitze so, dass die Brühe leicht wallend kocht. Gib ihr ungefähr 2,5 Stunden. Gib dann das Gemüse hinzu und lass die Brühe 1 weitere Stunde kochen. Hol dann Gewürzei/-säckchen, das Gemüse und die Knochen raus. Lass die Brühe abkühlen und gieß sie dann durch ein Sieb, das du mit einem Seihtuch (ich nehme eine unbenutzte Stoffwindel) ausgelegt hast. Schmeck sie – besonders im Hinblick auf Salz – ab. Stell die Brühe dann beiseite bzw. über Nacht in den Kühlschrank.

Hol das Fleischstück rechtzeitig aus dem Kühlschrank, es sollte zu Beginn der Prozedur Zimmertemperatur haben. Schneide das restliche Gemüse und servierbereite Stücke. Leg den Tafelspitz in die kalte Brühe und lass beides einmal stark aufkochen. Dreh dann die Hitze so herunter, dass die Flüssigkeit sanft siedet. Und jetzt kommt’s: Je nachdem, ob du Rind oder Kalb genommen hast und je nach der dicksten Stelle des Stücks dauert das Garen unterschiedlich lang, wirklich sehr unterschiedlich. Ein übergarter Tafelspitz sieht nicht nur mies aus, sondern wird furztrocken. Angestrebt wird, dass der Kern (wie bei einem Steak medium rare) rosa bleibt, also saftig. Bei einem 1-kg-Kalbsstück wird das schon in knapp über einer Stunde so sein, bei einem Rindstafelspitz von 1,2 kg oder mehr aber mindestens 90 Minuten, wenn nicht zwei Stunden. Fragt sich, ob und wie man feststellen kann, dass das Ding perfekt ist. Antwort: Gar nicht. Die genannten Tricks laufen fast alle ins Leere. Klar kannst du mit einem Holzspieß ins Fleisch stechen und prüfen, ob der Spieß schön feucht ist – aber mach das mal bei einem Stück, das in Brühe schwimmt.

Meine Lösung lautet: Kerntemperatur kontrollieren! Ja, das geht. Du kannst dein Bratenthermometer nämlich auch in einem Brocken installieren, der in Flüssigkeit schwimmt! Das geht aber nur mit Geräten, bei denen Messfühler und Anzeige per Kabel miteinander verbunden sind – die Dinger, die ihre Skala direkt an der Nadel haben, funktionieren nicht. Der Messfühler muss zudem richtig angebracht werden. Und zwar etwa einen Daumenbreit entfernt von der dicksten Seite und so, dass die Spitze des Fühlers wirklich exakt zentral zum Durchmesser zu liegen kommt. Die perfekte Kerntemperatur bei einem Tafelspitz vom Rind liegt bei 65° – bei Kalb weiß ich es nicht, weil ich es noch nicht ausprobiert habe. Trotz Thermometer darf die Brühe nur sanft sieden, und du musst das Gemüse nach Gefühl hinzufügen, weil es ja maximal 20 ~ 25 Minuten braucht. Hat der Tafelspitz das Ziel erreicht, holst du ihn raus, schlägst ihn fest in Alufolie ein und lässt ihn im auf ca. 60° vorgeheizten Rohr ruhen.

Übrigens: Es gibt zwei nette Varianten der Zubereitung. Du kannst den Tafelspitz vakuumieren und so in der Brühe garen. Dann gibt er keinen Geschmack an die Flüssigkeit ab, und das Risiko, dass er trocken wird, ist geringer. Optimal – sagen Experten – wird der Tafelspitz nach der Sou-vide-Methode, für die du aber einen Sou-vide-Kocher oder -Stab brauchst. Habe ich nicht, hab ich bisher auch noch nicht gebraucht.

Frischen Meerrettich gibt es nicht immer und nicht überall. Meerrettich aus dem Glas geht nicht wirklich. Und der Apfel muss wirklich säuerlich bis sauer sein. Den schälst und entkernst du, um ihn anschließend auf einer Apfelreibe zu Mus zu machen, in das du ständig ein wenig Zitronensaft gibst, damit das Zeug nicht braun wird. Schneide vom Meerrettich ein Stück ab, das ungefähr so groß wie der Apfel ist, und reibe ihn dann mit der feinsten Seite der Kastenreibe in das Apfelmus hinein. Schmeck das Ergebnis mit Salz (evtl. auch ein wenig Zucker) ab. Achtung: Apfelkren schmeckt nur frisch, muss also kurz vor dem Verzehr zubereitet werden; den Rest kannst du in die Tonne tun.

Und was wird mit der Brühe? Solltest du keine zweite Soße oder eine Meerrettichsoße statt des Apfelkren planen, seihst du sie nach dem Garen des Tafelspitzes erneut ab und frierst sie ein. Gut passt eine Schnittlauchsoße, die auf einer Mehlschwitze beruht, die du mit der heißen Brühe anrührst. Ist die gut durchgekocht und ein wenig abgekühlt, rührst du ordentlich Schlagsahne und die Röllchen einer guten Handvoll Schnittlauch ein. Schmeck mit Salz und Pfeffer ab. Nach demselben Muster geht eine Meerrettichsoße, wobei du den frischgeriebenen Meerrettich erst ganz kurz vor dem Servieren unterrührst, weil sonst das Aroma rasch schwindet.

Reste vom Tafelspitz kann man prima kalt essen oder gewürfelt als Suppeneinlage verwenden.

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