Wenn beim türkischen Gemüsehändler meines Vertrauens am Fürstenplatz bunte Kalender ausliegen, weiß ich: Bald ist Ramadan. Denn auf diesen Blättern sind für die Tage des Fastenmonats die Uhrzeiten für die Pflichtgebete sowie für Fajr (Morgendämmerung) und Maghrib (Abenddämmerung) minutengenau angegeben. Das Fasten beginnt jeweils an Fajr und endet mit Maghrib. Die Familie, die den Laden betreibt, ist sehr gläubig, das habe ich in vielen Gesprächen erfahren, und der Ramadan ist für sie die heiligste Zeit. Nun bin ich selbst überhaupt nicht religiös aufgewachsen und habe mich mit dem Erwachsenwerden entschieden, keiner Religion zu folgen. Mir machen streng religiöse Menschen Angst. Sehe ich junge Männer Dreiviertelhosen oder Kaftanen, mit langen Bärten und einer Takke auf dem Kopf, ist mir das etwa so unheimlich wie katholische Priester in Soutane. Vollverschleierte Muslima machen mich so wütend wie vollverschleierte Nonnen. So gesehen sind mit Menschen muslimischen Glaubens erst einmal nicht mehr oder weniger sympathisch als strenggläubige Katholiken oder Protestanten. Ich kann auch mit dem Begriff „Multikulti“ wenig anfangen, weil ich in meinem Leben noch nie in einer Gesellschaft gelebt habe, in der sich NICHT verschiedene Kulturen gemischt haben. Insofern sind die Leute vom Gemüseladen einfach nur meine Nachbarn.

So alle Menschen, die in meinem Viertel wohnen, arbeiten und rumlaufen. Ganz gleich welcher ethnischer Herkunft die sind, welche Tönung ihre Haut hat, welcher Religion sie anhängen und wie gut sie Deutsch sprechen. Das ist der alte Spanier, dem ich seit mehr als einem Dutzend Jahren ständig begegne, wenn er mit optimistischen Lächeln und strammen Schritt über die Ringelsweide zum Südpark strebt, wo er einen Kleingarten bewirtschaftet. Kennengelernt haben wir uns wegen Pina, unserer spanischen Windhündin, die bei ihm Heimatgefühle auslöste. Nach eigenen Angaben lebt der Mann seit fast 40 Jahren in Düsseldorf – aber sein Deutsch ist so schlecht, dass ich immer Mühe habe, seinen Geschichten zu folgen.

Im Nachbarhaus mit städtischen Sozialwohnungen leben Familien aus verschiedenen Ländern Schwarz- und Nordafrikas, aus Russland, aber auch aus Deutschland. Menschen, die leider im selben Haus wie ich wohnen, reden von den Bewohnern nur als von „dem Gesocks“ – so viel zum Thema „Alltagsrassismus in der Mitte der Gesellschaft“. Die vielen Kinder aus dem Haus nebenan spielen gern und laut im Hof und auf der Straße, was einen anderen Nachbarn stört. Ich liebe die Geräusche spielender Kinder und freue mich immer, dass die mit und ohne Ball rumtoben anstatt vor der Playstation zu sitzen.

Gehe ich mit dem Hund durch den Südpark treffe ich natürlich andere Hundehalter, nicht wenige davon stammen aus Russland oder Polen. Auch das sind meine Nachbarn. Genau wie die vielen Menschen im Viertel, die in Folge der Kriege in Jugoslawien zu uns gekommen sind – also aus Serbien, Kroatien, Bosnien, Montenegro, Mazedonien und Albanien. Und natürlich Gino, der zusammen mit seinen vielen Verwandten die wunderbare Pizzeria am Fürstenplatz betreibt. Dass auch Italiener, Spanier, Portugiesen und Griechen früher mal scheel als Fremde angesehen wurden, ist längst vergessen. Als meine Cousine Roswitha in den frühen Sechzigerjahren den sizilianischen Frisör Toni heiraten wollte, gab es eine lange Familienkrise – heute würde man nur lachen.

Juli 2010: Stoppt die Anti-Islam-Hetze!

Juli 2010: Stoppt die Anti-Islam-Hetze!

Tatsächlich tun sich die Bürger – ob besorgt oder nicht – offensichtlich am schwersten mit Muslimen. Dabei ist diese inzwischen extrem weit verbreitete Ablehnung noch relativ neu. Erst die anschwellende Propaganda der diversen rechtspopulistischen, rechtsradikalen und rechtsextremen Gruppen, die Mitte der Neunzigerjahre begonnen hat, ist für diesen anti-islamischen Rassismus verantwortlich. Und es ist ein definitiv ein Ost-West-Problem. Ich kann mich an weit verbreitete Vorurteile gegen „die Türken“ in den Achtzigerjahren erinnern, aber dabei ging es nur selten um die Religion, sondern um das Fremde dieser anderen Kultur.

Wie man ja überhaupt im Verhältnis von Christentum und Islam in Europa immer und sehr sorgfältig zwischen Religion und Kultur unterscheiden muss. Gerade der Katholizismus hat die mediterranen Kulturen ganz erheblich geprägt – aber nur auf der Nordseite des Meeres. Nordafrika, also der Maghreb, war und ist islamisches Kulturland – wie es auch die Türkei über Jahrhunderte war. Weil Kemal Atatürk seine Nation an Europa heranführen wollte, betrieb er die Säkularisierung des Landes. Was die AKP und Erdogan seit Jahren tun, ist nichts weniger als die Ent-Kemalisierung der Türkei. Dabei war es den Türken über gut 80 Jahre gut gelungen, ihre islamisch geprägte Kultur zu bewahren ohne zum Gottesstaat zu werden. Ja, die Türken in Deutschland haben uns hier die türkische Kultur nähergebracht, ohne in irgendeiner Weise zu versuchen, uns ihren Glauben aufzuzwingen.

Was viele der aufgeklärten und nicht-religiös denkenden Menschen an islamischen Bräuchen so massiv stört, gab (und gibt) es auch so oder so ähnlich in den mediterranen Kulturen – von Spanien über Italien bis Griechenland. Das Zwangsverheiraten der Töchter war bis vor wenigen Jahren auch in den katholischen und den griechisch-orthodoxen Regionen an der Tagesordnung. Die Unterdrückung der Sexualität ist auch in diesen beiden Religionen Grundprinzip und hat in den genannten Mittelmeerländern zu ganz ähnlichen Verhaltensmustern der Testosteronopfer geführt, die wir heute als typisch für muslimische Jungmänner betrachten. Das Problem sind die Religionen, nicht die Kulturen oder ethnischen Besonderheiten.

Insofern ist meine Sympathie für die türkische Familie mit dem Gemüseladen auch gespalten. Die wunderhübsche Tochter steht vorwiegend hinter der Kasse, und geht offensichtlich nicht (mehr) zur Schule. Die beiden Söhne werden systematisch zu Chefs erzogen, während ihre Schwester außer dem Kassieren noch für den Tee für die Männer und gelegentlich das Essen zuständig ist. Dabei handelt es sich um eine kluge junge Frau, von der ich aus Gesprächen mehr über den Ramadan weiß als ich je gelesen habe. Deshalb habe ich ihr gestern auch „Ramazan mübarek“ gewünscht und werde ihr und ihrer Familie am Ende des Fastenmonats auch ein fröhliches „Eid mübarek“ zurufen.

6 Kommentare

  1. Das Maskottchen am

    Es gibt auch emanzipierte, tief religiöse Muslima und muslimische Familien.

  2. Maximilian am

    zum letzten Absatz, würde ich gerne einen Kommentar loswerden. Das Phänomen, dass die ganze Familie in das Tagesgeschäft eingebunden wird, ist nicht nur auf „den türkischen Laden an der Ecke“ beschränkt. Auf anderen Ebene findet es überall in unsere Gesellschaft statt. Der Bauer möchte sein Land an den Sohn weitergeben und die ganze Familie muss mit anpacken. Der Mittelständler aus der Industrie drängt seine Kinder zum BWL Studium um das Traditionsunternehmen in der Familie zu halten. Im Beitrag höre ich eine unterschwellige Kritik an dieser Praxis, die ich etwas kurz gedacht finde. Den Stolz von Familienunternehmen sollte man nicht unterschätzen und eine Chance für unsere ganze Gesellschaft. Ansonsten sind wir irgendwann überflutet von Internationalen Powerunternehmen. Als bitte weiter so….

  3. Rainer Bartel am

    Guter Punkt, kann da nur zustimmen.
    Mir ging es auch nur um die Ungleichbehandlung von den Söhnen und der Tochter…

  4. Am Rosenmontag 2016 wurde der Karnevalsumzug abgesagt, aber Kurden haben gegen 18 Uhr auf der Immermannstraße demonstriert. Man trifft auf Kurdendemo, wenn man am Konrad-Adenauer-Platz umsteigt. Und man sieht sie auf dem Johnannes-Rau-Platz, wenn man eigentlich zum Frankreichfest gehen möchte. Anscheinend gehören Kurdendemos zu Düsseldorf. Aha.