…du hast in den Zeiten der Seuche und des Lockdowns eine Menge falscher Freunde. Dabei handelt es sich einerseits um Konsumenten, die dein mögliches Wegsterben beklagen, und um Lokalpolitiker, die Angst vor verödeten Innenstädten haben. Ersteres ist oft verlogen bis heuchlerisch, zweiteres nur populistisch.

Überhaupt scheinen sich Bürger*innen und Politiker*innen unter Corona-Bedingungen Zustände zurückzuwünschen, die es schon vor der Pandemie nicht mehr gegeben hat. Wir erinnern uns an den Dezember 2015 als bekannt wurde, dass der legendäre Buchladen namens „Sternverlag“ auf der Friedrichstraße schließen würde. Hui, da flossen aber die Krokodilstränen. Menschen, die das Bücherparadies schon zehn Jahre lang nicht mehr betreten hatten, äußerten öffentlich ihre Betroffenheit. Hunderte Amazon-Besteller mimten Trauer.

Nein, Corona ist nicht der Mörder des Einzelhandels in den Innenstädten. Genauso wenig wie Amazon & Konsorten den kleinen Laden nebenan allein killen. Die Ursachen sind eher im galoppierenden Turbokapitalismus und der zugehörigen Gier der Immobilienbesitzer, Vermieter und Anleger zu suchen sowie in der schon viel zu langanhaltenden Ignoranz des Einzelhandels in Sachen Digitalisierung. Unternehmerisch zu agieren heißt im Handel vor allem, sich wandelnden Bedingungen anzupassen.

Schon einmal – vor gut 50, 60 Jahren – schien es den Ladengeschäften für Kleidung, braune und weiße Ware sowie Dinge des täglichen Bedarfs jenseits von Lebensmitteln an den Kragen zu gehen. Es war die Blütezeit des Versandhandels, als die Kataloge von Quelle, Neckermann und Otto noch auf jedem Beistelltischchen in jedem Wohnzimmer lagen. Oder noch früher als die großen Warenhäuser den kleinen Läden das Wasser abzugraben schienen. Oder wieder in den 70- und 80-gern, als Ketten ganze Einzelhandelssegmente überrannten. Immer waren es die mittelständischen Betreiber im Einzelhandel, die ihr Geschäft mit Leidenschaft für die jeweilige Produktpalette und Respekt vor den Wünschen der Kunden betrieben, die solche Krisen überlebten.

Beispiele für solch wirklich UNTERNEHMERISCHE Anpassungsfähigkeit gibt es auch aktuell in der Pandemie. Man denke nur daran, wie schnell nicht wenige Einzelhändler das Click-&-Collect-Prinzip der großen Möbel- und Baumärkte adaptiert haben oder wie viele Ladeninhaber Bringdienste für ihre Kunden eingeführt haben. Die besonders aktiven und kreativen Einzelhändler haben dabei das große Plus, das sie gegenüber Versendern haben, digitalisiert: die persönliche Beratung. So kann man mit der Inhaberin der Modeboutique des Vertrauens per Zoom über neue Klamotten chatten und sich die sogar vorführen lassen. Ein Buchhändler bietet seinen Stammkunden einen wöchentlichen Videostream mit seinen persönlichen Leseempfehlungen. Andere Einzelhändler haben ihre Rückgabe- und Umtauschmodalitäten vereinfacht und holen nicht gewünschte Ware sogar ab.

Das alles geht nur, wenn Unternehmer keine Angst vor dem Digitalen haben, sich eine nutzerfreundliche Website bauen (lassen), sich mit Messenger- und Videokonferenzsystemen vertraut machen und sich vor allem im Netz umschauen, wie es die Kolleg*innen woanders machen und damit erfolgreich sind. Vielleicht stellt sich für die eine oder den anderen am Ende sogar heraus, dass es überhaupt nicht sinnvoll ist, gierigen Vermietern immer mehr Kohle in den Rachen zu werfen, sondern den Laden in guter Lage zugunsten eines Lagers samt kleinem Büro jottwede aufzugeben, um von dort aus ihre Kund*innen mit digitaler Hilfe zu betreuen. Denn die Konsument*innen haben sich längst ans virtuelle Shoppen gewöhnt, würden es aber sicher mögen, wenn sie dabei von Händler*innen mit Sachverstand und Leidenschaft betreut würden.

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