Wann immer ich das Tu-Wort „Pesern“ verwende, ernte ich diesen Hä?-Blick, dieses völlige Unverständnis, diese Ratlosigkeit angesichts einer völlig fremden Mundart. Tatsächlich handelt es sich um eine extrem wichtige Vokabel meiner Kindheit, denn ich habe gern gepesert. Das heißt: Mit dem Feuer gespielt. Das war natürlich verboten, aber irgendwie kam man immer an ein paar Zündhölzer und ein paar Kerzen. Und wenn man dann unten im Hof oder drüben in den Trümmerhäusern eine geschützte Ecke gefunden hatte, konnte man allerlei Materialien einem Brenntest unterziehen. Als ich dann an dem Alter von fünfzehn oder so die Mansarde allein für mich hatte, fanden die heißen Experimente gern auf dem Gang der Dachbodenverschläge auf nacktem Beton statt. Und noch ein wenig später wurde das Pesern Teil meiner künstlerischen Aktivitäten.

Ausgehend von der Tatsache, dass Klebstoffe, vor allem Uhu und Patex prima brennen, applizierte ich diese Substanzen auf mit dicken Farbschichten versehenen Blättern und ließ sie abbrennen. Die Spuren gaben dem jeweiligen Bild dann den letzten Schliff. Aber Pesern, darunter fiel auch schon dieses Herumspielen mit brennenden Kerzen, das Abknibbeln von herabgetropftem Wachs, der dann wieder oben ins Flüssige befördert wurde. Ja, auch das sinnvolle Kürzen eines zu langen Dochts hieß bei uns schon Pesern. Natürlch war es die Mutter, die diesen Begriff in unseren Sprachgebrauch einführte. Denn die stammte aus Ostpreußen, woher auch das Wort Pesern kommt. Der Duden sagt zur Herkunft:

Herkunft: zu ostniederdeutsch pesern, pösern, posern = mit Feuer spielen, aus dem Slawischen, vgl. polnisch po?ar = Brand, Feuersbrunst [Quelle: Duden.de]

Und so verstanden Verwandte wie Tante Thea und Onkel Walter jederzeit, was gemeint war, wenn uns die Eltern das Pesern verboten. Am schönsten war aber, wenn Onkel Paul dieses Wort aussprach, denn der hatte den ostpreußischen Zungenschlag, der ohne zugehöriges Vokabular und angepasste Grammatik ja weder Dialekt, noch Mundart ist, über den Krieg und die Flucht gerettet und wusste, die erste Silbe zu betonen und ein wenig in Länge zu ziehen, um die zweite Silbe dann mit leicht angerolltem R nachzuschießn. „Solls doch nich pesern!“ sagte auch schon Opa Ernst, ebenfalls Ostpreuße und Lebensgefährte der Stiefoma oben im nordfriesischen Oster Schnatebüll bei Leck. Der hatte eine ganz irrationale Angst vor Feuer und ließ es nicht zu, dass im Hause Kerzen verwendet wurden: „Wofier haben wir denn teuer Strom?“ war sein Argument. Mag sein, dass ihm das Wort „Pesern“ noch nach Feuersbrunst klang, also nach einem Unglück – eben wie im polnischen Wortstamm.

Natürlich liebten auch meine Kinder das Pesern. Und weil Eltern es der Brut in der herrschaftsarmen Erziehung der Achtzigerjahre nicht versagen wollten, ritualisierten wir das Spiel mit dem Feuer. Jedes Kind bekam eine blecherne, runde Tarte-Form und durfte so halbwegs ungefährlich mit Kerzen und Streichhölzern spielen. Was beide gerade im Winter auch oft und gern und intensiv betrieben. Wenn dann nach einer gewissen Zeit alles brennbare Material zu einem Klumpen verschmolzen war, wurde der vom Blech gelöst und entsorgt. Neue Kerzen traten an die Stelle der dahingeschiedenen Kollegen. Zumindest mein Sohn blieb immer jemand, der gern pesert. Das qualifiziert ihn vor allem zum Hauptbrandmeister am Grill und Kontrolleur von Lagerfeuern und ähnlich gelagertem kontrollierten Abbrennen vin Zeug. Und natürlich haben die beiden das Wort Pesern in ihren Wortschatz integriert und werden es, so hoffe ich, auch an ihre Kinder und Enkel weitergeben. Apropos: Ich freue mich schon jetzt, mit meinen zukünftigen Enkeln ordentlich zu pesern…

[Foto: Peter Becker „Candles in the dark“ via Wikimedia]

2 Kommentare

  1. kassandra am

    Die Leidenschaft des Peserns scheint auch vererblich zu sein: Einer deiner Neffen pesert bei der Weihnachtstafel mit seinen 31 Jahren heute noch. Da werden auch schon mal Kronkorken von Bierflaschen in die aufgeweichte Kerze eingearbeitet. Oder Dekomaterial abgefackelt. Und die schönste Zeit war damals in unserem Garten: Alle Kinder aus der Nachbarschaft, auch Cousin und Cousine verheizten unter Anleitung in einer alten Zinkbadewanne sämtliche Gartenabfälle oder sonstiges brennbares Material. Pesern macht einfach Spaß!