Mein erstes Auto war ein Fiat, und die zugehörige Autowerkstatt befand sich in einem Hinterhof der Lorettostraße in Unterbilk. Das war 1972, und diese kurze Durchgangsstraße zwischen Bilker Kirche und Polizeipräsidium war düster, hässlich und schmuddelig. So wie ganz Unterbilk damals. Zwar gab es an der Straße selbst und in den Nebenstraßen einige schöne Gründerzeithäuser, aber die sahen angeranzt aus und waren drinnen auf dem Stand der frühen Fünfzigerjahre. Deshalb wohnte hier eher Leute, die es nicht so dicke hatten, und in den Großbürgerwohnungen entstanden die ersten Studenten-WGs. Richtung Neusser Straße wurde es noch ein bisschen schmuddeliger, und das ganze Viertel bis runter zu Bundesstraße war bestückt mit mehr oder weniger verkommenen Gewerbebauten. Highlight der Lorettostraße war eindeutig der Supermarkt an der Ecke Düsselstraße, den es heute noch in seiner dritten oder vierten Reinkarnation dort gibt.

Für junge und ärmere Leute war die Straße attraktiv, weil die Mieten niedrig und die Innenstadt nicht weit war. In den Häusern gegenüber dem Polizeipräsidium am Jürgensplatz gab es noch richtige Altbauwohnungen mit dem Klo auf halber Treppe, beheizt mit Kohleöfen. Einer meiner Kommilitonen hatte 1975 dort eine Anderthalbzimmerwohnung und zahlte dafür 60 Mark Monatsmiete. Die WG, in der P. wohnte – eine Studienkollegin, zu der ich mich hingezogen fühlte und umgekehrt -, lag im ersten Stock des Eckhauses gegenüber vom Supermarkt und bestand aus insgesamt sechs Zimmer und einer Wohnküche. Dort war die Duschkabine untergebracht.

Der Aufstieg Unterbilks

Ehrlich gesagt: Kein Mensch nannte dieses Viertel damals „Unterbilk„. Wir nannten es überhaupt nicht. Es war einfach da und hatte nichts Anziehendes. Die große, umfassende Veränderung begann mit der veränderten Rolle des Düsseldorfer Hafens. Der bestand bis weit in die Siebzigerjahre hinein nicht nur aus dem Gelände auf der Lausward und den Hafenbecken, sondern zog sich noch bis fast zur Altstadt am unteren Rheinwerft hin. Die großen Fabriken im Hafen waren noch aktiv, und das einzige Besonders waren die Künstlerateliers an der Kaistraße. Anfang der Siebzigerjahre war der ehemalige Werbefachmann Hein Gericke aus einem winzigen Laden an der Neusser Straße in die Hallen einer aufgegebenen Fabrik gezogen, wo dann die Erfolgsgeschichte dieses Motorrad-, -kleidung und -zubehörkonzerns begann. Ansonsten hatten wir Studenten nur dann einen Grund, in den Hafen zu fahren, wenn wir einen Job bei einer der Firmen dort hatten. Von der Kaistraße aus gab es einen Gehweg längst einer Sandsteinmauer, ab dem Lahnweg parallel zur vielbefahrenen B1. Dort stand das VHS-Gebäude; direkt neben der Hochstraße als Verbindung zwischen der Rheinufer- und der Völklinger Straße in Richtung Südring.

Weshalb Loretto? Gute Katholiken dürften schnell auf die richtige Spur kommen, denn Der Name der Straße bezieht sich auf den italienischen Wallfahrtsort Loreto. Dort befindet sich die vermutlich zweitwichtigste Kirche der katholischen Welt, denn der Sage nach wurde das Heilige Haus von Nazareth, in dem angeblich Mara aufwuchs, dorthin gebeamt. Jedenfalls gilt Loreto als Standort dieses Heiligen Hauses und ist Ausgangspunkt eines besonderen marianischen Kultes. Zahlreiche Loreto-Kapellen in vielen Ländern wurden diesem Heiligen Haus nachempfunden und in Deutschland entstanden ab dem 16. Jahrhundert – oft als Mittel der Gegenreformation und vom Jesuitenorden gefördert – viele Loreto-Kapellen. Unter anderem eine in Bilk; exakt an der Stelle, wo sich heute diese hässliche Bilker Kirche befindet. Wann und wie das zweite T in den Namen gekommen ist, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.

Die große Veränderung begann mit dem Bau des Rheinturms zwischen 1979 und 1982 und setzte sich fort mit der Eröffnung des neuen NRW-Landtags direkt neben dem Turm im Jahr 1988. Diese Bauwerke wirkten sich nachhaltig positiv auf das Viertel aus. Ganz im Gegenteil zur Rheinkniebrücke von 1969, die Teile von Unterbilk und Friedrichstadt mit der Schneise an der rechtsrheinischen Rampe schwer benachteiligt hatte. Die Eröffnung des Rheinufertunnels, der die B1 unter die Erde und so die Stadt wieder an den Fluss brachte, im Jahr 1993 beschleunigte den Prozess, der mit dem Bau des Stadttors bis 1998 so gut wie abgeschlossen war.

Gleichzeitig hatte sich der Hafen ohne viel planerische Eingriffe in das verwandelt, was heute allgemein „Medienhafen“ genannt wird. Ausgangspunkt war die Errichtung des WDR-Gebäudes unterhalb des Rheinturm im Jahr 1991, der eine Welle an Neubauten und Umnutzungen rund um das Hafenbecken am Zollhof nach sich zog. Letzte Bausteine dieser Entwicklung sind die Gehry-Bauten – offiziell „Neuer Zollhof“ genannt. Plötzlich waren einst eher unbeliebte Häuserblocks zwischen der Hammer und der Gladbacher Straße hip und cool. Und gerade an der Hammer Straße vom Zollhof an entstand eine eindrucksvolle Gastronomiemeile. Auf das Viertel rund um die Bilker Kirche und die Lorettostraße wirkte sich das alles zunächst wenig aus.

Der Bilbao-Effekt

Gerade die Gehry-Bauten lösten dann aber einen Bilbao-Effekt mit anschließender Gentrifizierung im Eiltempo aus. Konnte man noch 1998 ein Häuschen im Hinterhof an der Düsselstraße für unter 1.000 Mark mieten, schossen die Mieten für (sanierte) Wohnungen, Büros und auch Läden in die Höhe. Komischerweise blieb die Lorettostraße davon anfangs auch noch verschont, was dazu führte, dass bestehende Läden nach und nach von kreativen Menschen übernommen und genutzt wurden. Das zog wiederum rasch die Gastronomie an, die bald zum zweiten beherrschenden Faktor der Straße wurde.

Entscheidend für den heutigen Zustand war aber wohl die Gründung der Händlergemeinschaft Loretto360° im Jahr 2010, die aus dem langjährigen, freundlichen Miteinander der „altgedienten“ Lorettostraßen-Ladeninhaber entstanden ist und nicht nur mit regelmäßigen Aktionen und Festen auf die Straße aufmerksam macht, sondern auch darauf achtet, dass das spezielle Klima der Straße erhalten bleibt. So ist die Lorettostraße eben nicht einfach eine gentrifizierte Shopping-Meile – wie man sie in Vierteln, denen Ähnliches widerfahren ist, hat -, sondern ein über rund 15 Jahre organisch gewachsener Kleinkosmos mit einer ganz besonderen Atmosphäre, die eben nicht nur Hipster und Besserverdiener anzieht. Die Umgestaltung der Straße im Jahr 2007 und die Tatsache, dass die Bäume – im Gegensatz zu den Siebzigerjahren – die Straße zur Allee machen, haben ihr Übriges getan, aus dem einst hässlichen Entlein einen ziemlich hübschen Schwan zu machen.

Ein Kommentar

  1. Irgendwie muß man schon einen recht verklärten Blick auf die Lorettostrasse haben, um in ihr noch andere Dinge zu erkennen als eine gentrifizierte Shoppingmeile… neben der gentrifizierten Gastromeile selbstredend. Und das Publikum ist eben mittlerweile doch überwiegend ein Mix aus Hipster und Besserverdiener, vom Eck Bilker Kirche ganz zu schweigen. Die Ackerstrasse hat sich jedenfalls sowohl in Bezug auf die Infrastruktur als auch das Publikum einen deutlich gesünderen Mix bewahrt.