Wann immer Wahlen anstehen, gleiten die Parteien aus ihrem digitalen Neuland zurück in das Denken und Fühlen einer vor hundert Jahren notwendigen Form der Reklame. Dann werden nicht nur massenhaft Köpfe an Laternen und Bäumen aufgehängt, sondern die neutralsten Blickwinkel der Stadt mit optischer Umweltverschmutzung verstellt. Gemeint sind die sogenannten „Achtzehneintel“, vulgo: Großplakate.

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Als Mensch, der Außenwerbung entweder gar nicht wahrnimmt oder sich vor ihr ekelt, fragt man sich schon, ob es im Jahr 2020 tatsächlich noch Wähler*innen gibt, die sich in ihrer Kreuzentscheidung davon beeinflussen lassen, welche Partei, welche*r Kandidat*in die meisten und/oder schönsten Plakate in der Gegend herumstehen und -hängen lässt. Dass kleinere Wahlvereine – zum Beispiel dieser merkwürdige namens „Volt“ – sich dieses archaischen Mittels bedienen, ist nachvollziehbar, kommen sie doch sonst im öffentlichen Raum so gut wie nicht vor. Dass aber die seit Jahrzehnten sattsam bekannten Parteien (die ja irgendwie glauben, sie seien Volksparteien) zu Wahlzeiten quadratkilometerweise Papier bunt bedrucken lassen, ist in den Zeiten des allgegenwärtigen Internets kaum noch zu verstehen oder gar zu billigen.

Schlimmer noch: Angesichts der aktuellen Großplakate zur OB-Wahl 2020 fragt sich mancher, wer will hier eigentlich wen veräppeln? Sind es die Werbefuzzis, die ihre Auftraggeber mit Absicht lächerlich machen? Oder die Wahlkampfleiter*innen, die ihren Wähler*innen nicht zutrauen, sich jenseits von grinsenden Visagen eine Meinung zu bilden? Für Ersteres spricht die Qualität der Plakate im Hinblick auf halbwegs modernes Marketing. Und auf diesen Aspekt hin haben wir die Achtzehneintel der vier aussichtsreichsten Kandidat*innen unter die Lupe genommen.

Thomas Geisel - wer viel macht, macht auch viel falsch (eigenes Foto)

Thomas Geisel – wer viel macht, macht auch viel falsch (eigenes Foto)

Thomas Geisel – bloß nix mit der SPD!

Der aktuelle Amtsinhaber inszeniert sich als Macher und will deshalb um Himmels willen nicht mit seiner Partei in Verbindung gebracht werden. Er begründet das damit, dass die Wahl eine*r Oberbürgermeister*in ja schließlich eine Personenwahl sei. Man kann es aber auch so interpretieren, dass er sich von den jämmerlichen 15,24 Prozent bei der Europawahl 2019 nicht runterziehen lassen will. Vielleicht zeigt es aber auch umgekehrt an, dass die hiesigen Sozialdemokraten nicht besonders dicht gestaffelt hinter ihrem Kandidaten stehen. Grund genug hätten sie, denn der in der schwäbischen Wolle gefärbte Industriemanager hat viel zu oft an seiner Partei vorbei Entscheidungen getroffen und in letzter Zeit ein paar Fettnäpfe betreten, die seinen Genossen mehr als peinlich waren.

Dass zwischen Thomas Geisel und die Düsseldorfer SPD etliche Festmeter Papier passen, zeigt auch die Tatsache, dass er sich einen Unterstützerkreis herbeigequasselt hat, deren Insassen*innen zwar irgendwie lokalprominent sind, aber bis dato weder politisch, noch besonders sozialdemokratisch auffällig geworden sind. Mal im Ernst: Promis um sich zu scharen, ist ja irgendwie RTL2. Man könnte sich den Thomas und seine Zujubler*innen auch ganz gut im Promi-Big-Brother-Container vorstellen.

Jedenfalls verzichtet der regierende OB auf jeden Hinweis auf die Partei, der er bis auf ein paar Jahre zu Beginn seiner Macherkarriere nie so wirklich gedient hat. Stattdessen gibt es Fotos von Herrn Geisel im Kreise von Vertreter*innen von dem, was die Reklametreibenden für „normale Bürger*innen“ halten. Versehen mit einer Bauchbinde im „Make America Great Again“-Stil in merkwürdiger Typografie und einem völlig misslungenen Logo namens „tg“. Vor den Slogans auf den Großplakaten kann man als Liebhaber*in der allerschönsten Stadt am Rhein teilweise richtig Angst kriegen.

Stephan Keller - der Onkel Doktor als Kinderschreck (eigenes Foto)

Stephan Keller – der Onkel Doktor als Kinderschreck (eigenes Foto)

Dr. Stephan Keller – wenn Farbfotos irgendwie grau aussehen

Verharrt man mal so um die fünf Minuten still vor einem Großplakat des CDU-Kandidaten für das OB-Amt, setzt eine Zeitreise ein. Man fühlt sich versetzt in die Epoche, als Oberbürgermeister noch nicht mit albernen Fahrradhelmen durch die Gegend karriolten oder sich im Lacoste-Polohemd zwischen Altstadtgänger mischten, sondern noch das waren, was man „Honoratioren“ nennt. Nun ist das bläuliche Oberhemd ja ohnehin ein Markenzeichen der männlichen Christdemokraten, der gedeckte Anzug auch, und wenn es das mimische Talent nicht hergibt, dann sieht solch ein Kandidat nicht seriös aus, sondern bestenfalls verklemmt.

Der Düsseldorf-Rückkehrer Keller, von dem Leute, die ihn kennen sagen, er sei nett, sollte vielleicht den Fotografen verklagen, der ihn für die Kampagne abgelichtet hat. Vielleicht würde der vor Gericht aber entgegnen, er können Menschen gut aussehen lassen, aber Gesichtsoperationen fielen nicht in sein Ressort. Nun kann keiner was für seine Visage, aber mit dem Fähnchen „kindergerecht“ zu wedeln und dann wie ein böser Onkel aus der Wäsche zu gucken, ist ausgesprochen kontraproduktiv. Und als wäre die Distanz des Kandidaten zu seinen potenziellen Wähler*innen noch nicht groß genug, haben ihm die „Kreativen“ das Führen seines Doktortitels verordnet. Nach dem Motto: „Ätsch, ich hab promoviert, und der Geisel nicht.“

Zu vermuten steht, dass die Copytexter beim Entwerfen der verschiedenen Claims für die Großplakate sich im kollektiven Drogenentzug befanden, denn: uninspirierter, unkreativer geht nicht. Wobei Formeln wie „Staufreies Düsseldorf“ bei einem Mann, der in seinen Kölner Jahren in diesem Punkt nach überwiegender Meinung der Kölner*Innen versagt hat, die Grenze zur Realsatire tangieren, wenn nicht überschreiten.

Stefan Engstfeld - ein grünschwarzer Hipster (eigenes Foto)

Stefan Engstfeld – ein grünschwarzer Hipster (eigenes Foto)

Stefan Engstfeld – die besten Ja-Aber-Sprüche der Neuzeit

Auch der Kandidat der Grünen (der bei den Sympathisanten der grünliberalen Wirtschaftspartei definitiv nicht die Wunschkandidatin war…) distanziert sich von seiner Partei … aber nur ein bisschen. Immerhin bappt auf den Großplakate immer eine hohle Sonnenblume in einer weniger wichtigen Ecke. Dafür sieht er auf den Fotos aber auch aus wie sich verwirrte Menschen, die die Grünen immer noch für irgendwie „links“ halten, einen typischen urbanen Grünwähler vorstellen. Also einen Hipster, der voll auf Ökologie abfährt, allerdings auf einem E-Fahrrad zu einem Preis, von dem sich Otto Normalfamilienvater einen gebrauchten SUV für sich und seine Bagage leisten kann.

Sich mit einem T-Shirt mit Designer-Aufdruck unterm konservativen Sakko ablichten zu lassen, passt immerhin volle Kanne zu den Werbesprüchen auf den Plakaten, die allesamt das Ja-Aber-Prinzip repräsentieren. Wobei man sich schon das gesamte Gehirn ondulieren lassen muss, um die Sentenz „Wachstum für Bäume! Und Wirtschaft!“ verkraften zu können. Eigentlich könnte der liebe Stefan auch sagen: „Ja, Bäume sind was Tolles, weil Bio. Aber wenn ich nicht für die Wirtschaft bin, gibt es kein Schwarzgrün.“ Oder: Das Drama der paarungswilligen Grünen, die nicht mehr an die Sozen glauben. Diese Haltung mit dem Generalslogan „Stefan Engstfeld traut sich was“ zu untertiteln grenzt an Dummverkaufung der Wähler*innen.

Eigentlich ist es ja die Aufgabe für Wahlkampagnenmacher*innen, den*die von ihnen beratene*n zur Marke zu machen, ihm*ihr ein Profil zu geben und dafür zu sorgen, dass er*sie nicht bloß wiedererkannt wird, sondern man sich was unter ihm*ihr vorstellen kann. Setzen: Sechs! könnte man den behandelnden Kreativen zurufen, die sich mit der schwierigen Aufgabe herumschlagen mussten, den netten, ganz gut vernetzten und umtriebigen Stefan auch denen wählbar zu machen, die nicht in einem der Brauchtümer unterwegs sind und als Zuwanderer eben keinem der berühmten Düsseldorfer Kreise angehören.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann - wenn Düsseldorf die einzige Eigenschaft ist (eigenes Foto)

Marie-Agnes Strack-Zimmermann – wenn Düsseldorf die wichtigste Eigenschaft is (eigenes Foto)

Marie-Agnes Strack-Zimmermann – das muss düsseln, aber kräftig

Das größte Problem der Grafikdesigner mit dieser Kandidatin war, dass man sie nicht mit unrasiertem Gesicht à la Krischi Lindner zeigen kann, weil da eben nichts zum Nichtrasieren vorhanden ist. Also müssen alle anderen Merkmale der FDP-Plakate in den Zeiten des Mannes, der seine Partei stimmenanteilmäßig wieder dahin bringt, wo sie hingehört, stimmen. Nun ist es in der Papierwerbung schon nicht mehr wirklich Mode, mit schwer gephotoshoppten Schwarzweißfotos zu hantieren; aber, macht nix – Hauptsache anders als die anderen. Allerdings sind die Achtzehneintel für die bekennender Großmotorradfahrerin gar nicht schwarzweiß, sondern präsentieren sich in einer Art silbergrau – passenden zur Haarfarbe der Lokalheldin, die sich ernsthaft Chancen ausrechnet.

Hätte sie auch, wäre sie nicht in einer Unter-10-Prozent-Partei, denn in Düsseldorf ist die geborene Düsseldorferin, die wir Düsseldorfer verdient haben, bekannt wie eine 62-jährige Dame im kunterbunten und wetterfesten Biker-Anzug. Das mit der Marke nehmen ihre Berater*innen verdammt ernst und sind auf die bescheuerte Idee gekommen, ihr das Kürzel MASZ als Logo zu verpassen, wo sie in Düsseldorf doch jede*rmann*frau nur Strazi nennt. Und das ist durchaus liebevoll gemeint, denn die Frau ist meinungsstark und weicht dabei wohltuend oft von den neoliberalen Dumpfsprüchen ihrer „Parteifreund*innen“ ab. Auch ihr lokalpolitisches Wirken riecht so gar nicht nach FDP, was man als großes Kompliment sehen muss.

Sie uns aber als die Düsseldorferin zu verkaufen, die wir Düsseldorfer*innen verdient haben, bewegt sich so weit neben der Spur, dass es nicht einmal Spaß macht, darüber Witzchen zu produzieren. Im Gegenteil: Dieser Slogan ist peinlich, weil nur allzu durchsichtig wird, dass er sich gegen den – manche sagen: schlecht integrierten – Schwaben auf dem OB-Stühlchen richtet. Da kann der gebürtige, in Ratingen aufgewachsene Kollege Engstfeld nur müde lächeln, während der in Aachen geborene Dauerpendler zwischen der Landeshauptstadt und dem Domdörfchen erstmal überlegen muss, ob er auch gemeint ist.

5 Kommentare

  1. Holger Hering am

    Es gibt Leute in dieser Stadt, die sind hoch intelligent und hoch gebildet. Die schaffen es, dass sogar die Presse in Hinz und Kunz über sie schreibt.

    Ich dagegen bin komplett unwichtig und ich frage mich als gebürtiger Düsseldorfer lediglich, wann werden die drei Lämpchen vor der Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz mal wieder dem Zweck zugeführt, wofür sie gedacht waren.

    Sind die einfachen Sachen in dieser Stadt für manche Leute möglicherweise wirklich viel zu einfach?

  2. B.Lockwart am

    Sehr schön auch die Plakate der FDP Kandidaten die sehr bemüht versuchen ihre Partei nicht zu erwähnen.

  3. Günther A. Classen am

    „(…) massenhaft Köpfe an Laternen und Bäumen aufgehängt (…).“

    Da sieht man ja schon die Köpfe rollen – in 18 Eintel natürlich. ;-)))

    Oder sind einfach nur die revolutionären Pferde mit dem bekennenden frankophilen Chefred sprachlich lustvoll durchgegangen (rhet.).

    Alle haben ordentlich ihr 18/1-Fett wegbekommen. Aber gibt es da nicht noch eine weitere, nicht ganz unwichtige kleine Fraktion ziemlich links im Stadtrat?
    Zu klein für Großplakate? Oder vermeintlich zu klein für einen schlanken Kommentar in DIN A 1?