Merkwürdige Idee, diese Combo ausgerechnet in der voll bestuhlten Tonhalle auftreten zu lassen, denn deren Musik regt fast durchweg zum Zappeln an. Also erhoben sich bereits bei der zweiten Nummer zwei mutige Menschen im 1. Parkett und animierten so den Rest des erheblich gemischten Publikums, das dann den Rest der fast auf die Sekunde genau 80 Minuten (eine Stunde plus 20 Minuten Zugabe) dauernden Show im Stehen verbrachte. Auch wenn die Familie Durham bisher vorwiegend dem Rockabilly zugeordnet wird, hat sie uns gestern doch eine grandiose Reise durch rund 60 Jahre populäre Musik beschert. Dabei bleiben Mutti Ingrid an den Bässen und Papa Graeme an der Gitarre die einzigen Konstanten, denn die Geschwister selbst wechselten an den Instrumenten durch. Tatsächlich spielen alle drei Gitarre, Keyboards und Schlagzeug – jeder auf seine Art, jeder auf hohem Niveau. Die großgewachsene Kitty im Harlekin-Catsuit glänzte zudem an der Mundharmonika und blies den Boogie wie es sonst nur ganz altgediente Bluesmusiker können. Frechdachs des Trios ist Daisy im schwarzglänzenden Lederhosenanzug, die gegen Ende wie das Tier aus der Muppetshow das Fell ihrer Snare zerkloppte. Wohingegen Lewis ganz Charmeur alter Schule ist, ein Traditionalist, sozusagen.

Das merkte man nicht nur seiner Kleidung, seinem Auftreten und seinem musikalischen Wirken gestern an, das belegt auch sein inzwischen legendäre Home-Studio, das komplett mit Tonstudiotechnik der Fünfziger-, Sechziger- und frühen Siebzigerjahre bestückt und frei von jeglicher Elektronik ist. Vermutlich ist die Rockabilly-Zuordnung auch darauf zurückzuführen, dass der Sound auf den Alben der Familie immer nach den Tagen vor Woodstock, ja, eher nach der Ära von Gene Vincent und Carl Perkins anhört. Anscheinend will sich die Band von diesem Image lösen und hat das Stilspektrum erheblich verbreitet. So wird der Jamaikaner Tan-Tan als Spezialgast auf die Bühne geholt, wo er die Geschwister an der Trompete bei zwei astreinenSka-Stücken begleitet.

Wenn Daisy in die Tasten haut, hat das immer was von Sly Stone und Stevie Wonder, sodass auch schonmal ein wenig Funk-Feeling aufkommt. Und der aktuelle Hit „Bye Bye Baby“ könnte von 1962 stammen. Während Kitty, Daisy & Lewis anfangs – also als Teenager – vorwiegend Cover geboten haben, überwiegt nun eigenes Material im Stile vergangener Tage. Aber ein-, zweimal klangen Die Lieder wie ganz aktueller Pop aus der R’n’B-Schiene. Egal was die da spielten, alles ist von höchster musikalischer Qualität, teils virtuos und immer volle Kanne engagiert. Dass dahinter aber auch eine ungeheure Professionalität und Disziplin steht, bewies das Timing: Der erste Set dauerte beinahe bis auf die Sekunde genau eine Stunde, die Zugabe trotz einer langen Improvisation von Lewis an der Gitarre exakt 20 Minuten.

Ganz offensichtlich steht ein prima Promotion- und PR-Team hinter der Gruppe, denn an der Geschichte der Familie wurde über die Jahre gefeilt, damit sie stromlinienförmig wird. In Wahrheit ist es durchaus nicht so, dass Mutti quasi aus der Not heraus mitspielen musste und Vati die Bühne scheut. Genauso gut kann es sein, dass die Berufsmusiker Graeme Durham und Ingrid Weiss (Ex-Drummerin der Raincoats) sich das drei Wunderkinder herangezüchtet, sie quasi von Geburt an mit der Musik von 1950 bis 1920 gefüttert und von klein an an die Instrumente gebracht haben. Aber die offizielle Version ist natürlich viel schöner. Und letztlich ist es auch egal, weil Kity, Daisy & Lewis nebst Papa und Mama den begeisterten Zuschauern in der wunderbaren Tonhalle einen höllisch guten Abend bereitet haben.

Und wer sich ansehen und anhören möchte, was die Familie gestern gespielt hat, schaue sich das Video vom Auftritt im Mai in Berlin an – die beiden Gigs waren fast vollkommen identisch:

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