Einig wie selten war der deutschen Medienwald bei der Beurteilung der merkwürdigen Pokalauslosung im Ersten Deutschen Fernsehen am vergangenen Mittwoch: Dass das Gebaren des Alexander Bömmes angesichts von Schmähgesängen gegen gegnerische Vereine zumindest deplatziert war. Für uns Fans war aber die ganze Veranstaltung deplatziert. Was über Jahrzehnte in seiner dfb-lichen Betulichkeit in der Sportschau Kultcharakter genoss, sollte wohl in Richtung Emotionen inszeniert werden. So lud man Vertreter der „unterklassigen Vereine“ ein, dem öden Event vor Ort im Reutlinger Stadion an der Kreuzeiche beizuwohnen. Wer auch immer das ausgebrütet hat, wird schon seit Längerem keinen Fußballplatz unterhalb der Ersten Kommerzliga und der Europäischen Protzwettbewerbe mehr besucht haben. Spiele der zweiten, dritten oder vierten Ligen werden diese Leute nur aus den Zusammenfassungen auf DSF kennen, und von Fußballkultur haben sie keine Ahnung. Sonst hätten sie gewusst, dass spätestens bei der Kugel mit RB Leipzig Hassgesänge abgehen. Und vielleicht geahnt, dass bei Erwähnung der Stuttgarter Kickers der SSV-Reutlingen-Mob steil geht.

So ließen sie den guten Bömmes, der ja als Zwischenmoderator und Interviewer bei Groß-Sport-Übertragungen eine gute Figur gemacht hat, ins offene Fanmesser laufen. Erfahrung hat der EX-Handballprofi in Sachen Fußball ja nur durch seine Mitarbeit an der Frauen-WM und in der Sportschau. Authentisch wollte man es haben, aber dann doch nicht sooo authentisch. Allein schon den in Reutlingen ebenfalls nicht sonderlich beliebten Landeshauptstadtclub in Gestalt des farblosen Ex-Nationalschwaben Karlheinz Förster sowie die Tennistante Petkovic dorthin zu stellen, muss als Ausdruck maximalen Unverständnisses von dem verstanden werden, was die Fußballkultur ausmacht. So ging denn auch der endlose Event bös in die Hose, was dem guten Bömmes in seiner kompletten Ahnungslosigkeit über die Befindlichkeiten der Fans einen ziemlichen Scheißesturm und sehr negative Kritiken der Medienschreibfinken eintrug. Und das ist – wie beschrieben – doch einigermaßen ungerecht.

Es gibt aber eine andere Lesart der Sache. Dass der DFB und die ARD gemeinsam austesten wollen, in welchem Maße die nun schon mehrfach erwähnte Fußballkultur abgetötet ist. Vielleicht hat man sich da am Aktuellen Sportstudio orientiert, wo Samstag für Samstag Erstligakunden in teuren Merchandising-Leibchen verschiedener, teils erbittert miteinander verfeindeter Clubs friedlich beieinander sitzen. Natürlich sind das nicht „die Fans“ dieser Vereine! Und, nein, die sind nicht so lethargisch, weil sie gemeinsam sportlich-fair den Fußball lieben, sondern weil sie – wieder muss die erwähnt werden – mit der Fußballkultur nichts zu tun haben. Die Medienschaffenden haben aber im Verbund mit den gehirnwaschenden Medien über die Jahre versucht, den Begriff „Fan“ umzudeuten. Das wird immer deutlich, wenn irgendwelche Sprech- und Schreibfinken angesichts von dem, was sie „Krawalle“ und „Ausschreitungen“ nennen, davon reden, das seien ja keine Fans, sondern bloß Randalierer.

Fans im Verständnis des Soccer-Entertainment-Businesses sind die Kunden, die satt Kohle zahlen, um sich einen schönen, ruhigen Nachmittag oder Abend in einer moderneren Event-Arena zu machen, bei dem hübsches Gekicke auf grünem Rasen den Haupt-Act bildet – neben der Kinderbespaßung, dem Genuss des Catering-Angebots und dem Shopping von Merchandising-Artikeln. Emotionen soll es auch geben. Und zwar dann, wenn die Stadionregie dies anordnet. Oder oben auf der Anzeigetafel in den Reklamespots. Kann sein, dass die Macher des DFB (Ja, es gibt da auch Macher neben den grauen Herrn aus der Schneise) sich von dem haben blenden lassen, was sich inzwischen rund um die Gigs ihrer A-Auswahl in den Veranstaltungs-Locations so tut. Dort ist der „moderne Fan“ bereits in der Mehrheit. In der großen Mehrheit. In so großer Mehrheit, dass die Mehrheit der Alt-Fans Nationalmannschaftsspiele mittlerweile meidet wie der Netzer seinerzeit das Laufduell.

So wie gut 90 Prozent der Fußballfans inzwischen Spiele mit FCB-Beteiligung nur gucken, um die Scheißbayern verlieren zu sehen, so freut sich dieselbe Restmenge der Fußball-Oldschooler auf Niederlagen des Nationalteams, das ja jetzt „Die Mannschaft“ heißen muss. Mit diesem Markenwahnwitz, der dem Vernehmen nach auf Anregungen dieses Herrn Bierhoffs zurückgeht, hat der DFB die Brücke zu den Fußballfans endgültig abgebrochen. Es ist nichts weiter als der propagandistische Versuch, diese Truppe wechselnder Kicksöldner, unreifer Ballmillionäre und karrieregeiler Schrumpfhirne als Gruppe im Elf-Freunde-müsst-ihr-sein-Gedanken hochzusterilisieren. Samy Drechsel, der Kabarettist, der den Fußball ernsthaft geliebt hat, rotiert ohnehin schon seit spätestens 2006 in seiner Gruft angesichts dieser Perversion. Wo doch in „Der Mannschaft“ untereinander ungefähr so viel Solidarität herrscht wie in einem Trupp Handelsvertreter im Hardselling-Sektor.

Nun ist ja dieser Herr Bierhoff nicht nur diplomierter Kaufmann, sondern Sohn eines ehemaligen Spitzenmanagers der RWE und damit fit in Sachen Marktwirtschaft und Kapitalismus. Vermutlich hat er in seinen 25 Semestern Fernstudium auch mal was von Markenbildung gehört. Und weil dieser Herr Bierhoff in keinster Weise irgendwie mit der Fußballkultur verbunden ist, hat er gedacht: Jau, machen wir auch. Und vermutlich für teuer Geld eine Beraterherde engagiert, die dann „Die Mannschaft“ ausgebrütet haben. Das ahnungslose Tribünenvieh in Köln bei der viel zu niedrig ausgefallenen Niederlage der DFB-Auswahl gegen Team America wurde gezwungen, eine monströse Blockfahne mit der neuen Marke und dem zugehörigen Bild emporzuhieven. Optisch werden die üblichen Kicksöldner im Stil von Gladiatoren dargestellt, damit auch das Männerhormon angesprochen wird.

Mit dieser Markenerfindung haben die DFB-Fuzzies dem Fußball wie wir ihn kennen und lieben, den Gnadenstoß verpasst. Und so die Agonie beendet, die mit der kaum erträglichen Kommerz-WMimeigenenland 2006 begann. Nun isser tot, dieser Fußball, und ab sofort müssen wir Fans uns an diesem DFB, an dieser DFL schon gleich gar nicht und vor allem nicht an den übergeordneten kriminellen Vereinigungen abarbeiten – weil wir damit nichts mehr zu tun haben. Ab jetzt dürfen wir davon ausgehen, dass zahlreiche Spiele nicht so ausgehen, wie es das sportliche Zufallsprinzip will, sondern die Ergebnisse sich langfristiger Drehbücher unterordnen, mit denen a) künstlich Spannung entlang alter Der-Ball-ist-rund-Mythen erzeigt und b) die Oldschool-Fans aus den Stadien der oberen drei Ligen entfernt werden sollen. Widerstand scheint zwecklos, Wohlverhalten scheißegal. Lasst unsere Spiele beginnen…

6 Kommentare

  1. A propos Sportstudio: Ich frage mich seit Jahren, ob der Sender nicht(nach welchen Auswahlkriterien auch immer) Trikots an diverse Zuschauer verteilt.

    Fußball selbst kann man nicht totmachen. Mehr Zwote, TuRu und/oder Rather SV, SC West gucken, dann stimmt das Feeling auch vom Gefühl her wieder:-)

    • Rainer Bartel am

      Ja, Herr Raf, das ist eine denkbare, sinnvolle, schöne und praktizierbare Lösung, die Beerdigung des Fußballs in den oberen Ligen zu ignorieren.
      Eine andere ist es, einfach gar nicht mehr zu versuchen, als Fan nach den Regeln des modernen Fußballs zu spielen, sondern jetzt einfach die Sau rauszulassen, um so die Spaltung des Fußballs in das Soccer-Entertainment-Business mit wohlerzogenen Zuschauerkunden und dem Oldschool-Fußball mit seiner eher raubatzigen, proll-betonten und bisweilen asozialen Kultur voranzutreiben. Also: Mehr Pyro, mehr Platzstürme, mehr Fanmärsche…

  2. Soweit ich weiss pflegen die Fans des SSV Reutlingen und des VfB Stuttgart ein durchaus freundschaftliches Verhältniss zueinander. Was dann auch die Abneigung gegen die Stuttgarter Kickers erklärt (zumal die Blauen ein halbes Jahr nach Reutlingen ausweichen mussten, wir wissen ja auch, wie das ist, wenn man „Fremde“ im Stadion hat…)
    Ansonsten kann ich diesen Artikel nur unterschreiben.

    • Rainer Bartel am

      Der Grund für die Aversion gegen die Degerlöcher ist klar. Aber in Reutlingen gibt es – wie fast überall außerhalb Stuttgarts in B-W – eine starke Abneigung gegen die Landeshauptstadt. Ob das auch den SSV und den VfB betrifft, weiß ich allerdings wirklich nicht.