Wes Ungeistes Kinder die Verantwortlichen des Leverkusener Fußballclubs sind, lässt sich daran ablesen, dass sie die Partie gegen die glorreiche Fortuna in ihre Preiskategorie 1 einsortierten, was bedeutete, dass die billigste Sitzplatzkarte 32 Euro kostete. Weil die wenigen Stehplatztickets wie immer in kürzester Zeit vergriffen waren, standen die Anhänger der rotweißen Diva vor der Frage: Sich von Bayer abzocken lassen oder boykottieren? Derart viele Fortuna-Fans bissen in den sauren Apfel, dass dann doch alle Gästeplätze besetzt waren, was dazu führte, dass es bei der TV-Übertragung lange wirkte, als handele es sich um ein Heimspiel. Auch wenn die Heimfans nach dem Führungstreffer aufwachten und ebenfalls anfeuerten, behielten die Freunde der Fortuna akustisch weitestgehend die Oberhand. Und der Support blieb bis zum Schluss so stark, dass sich Trainer und Mannschaft anschließend ausdrücklich bei den Mitgereisten bedankten.

Die ja ohnehin bei allem, was in dieser denkwürdigen Saison rund um die Mannschaft passiert, eine wichtige Rolle einnehmen – man denke an die machtvolle Unterstützung auch nach sechs Niederlagen in Folge und man denke an den Aufstand rund um die missglückte Vertragsverlängerung von Friedhelm Funkel. Der und seine beiden Mitstreiter hatten gestern beinahe zum ersten Mal während der laufenden Spielzeit ernsthafte Sorgen rund um die Aufstellung. Tormann Michael Rensing fiel wegen Grippe aus, die tragenden Säulen Kaan Ayhan und Kevin Stöger fehlten wegen Gelbsperren, und dann erwischte es Jean Zimmer in der 27. Minute auch noch so schwer, dass er nicht nur ausgewechselt werden musste, sondern möglicherweise längerfristig fehlen wird.

Die volle Flexibilität

Aber die rotweißen Coaches sind inzwischen ligaweit für ihre Flexibilität in Systemfragen mehr berüchtigt als berühmt. So kam ein 4-2-3-1 ohne Rouwen Hennings und Marvin Ducksch, dafür aber mit Kenan Karaman zustande. Für eine Sturmspitze war der Mann mit der eigenartigen Frisur ganz schön viel unterwegs – die offizielle Statistik misst ihm mit 12,16 Kilometern die zweitweiteste Strecke nach der von Alfredo Morales zu. Dass er gleichzeitig eine der besten Zweikampfquoten auf den Rasen brachte, qualifiziert ihn zum heißen Kandidaten für den Titel „Fortune des Spiels“. Hätte, ja, hätte der gute Kenan ein Tor gemacht. Hat er aber nicht. Nur einer der insgesamt DREI Torschüsse der Herren in Weiß stammte aus seiner Kanone. Und damit ist ein Schlüssel zur Niederlage auch schon benannt: Wer nicht auf den Kasten schießt, kann keine Hütten machen.

Nun hatten die Schützlinge vom faltigen Neusser aber auch von Anfang an alle Füße voll damit zu tun, die Talenthorde der Chemiefabrik daran zu hindern, ihnen die Kiste vollzuhauen. Und das taten sie auch mit högschder Dischiplin und Konzentration. Nicht nur die Viererkette stand jederzeit goldrichtig, auch das defensive Mittelfeldduo machte seine Sache großartig. Gar nicht laut genug kann man zudem das Defensivverhalten des Dodi Lukebakio loben, der auf seiner Seite ständig seinen aufrückenden Bayer-AV begleitete und so auf die zweitbeste Zweikampfquote der ganzen Mannschaft kam. Die Idee, Niko Gießelmann als seinen Counterpart auf rechts zu installieren, roch ein bisschen komisch, hatte aber gerade in der Drangphase der Fortunen zu Beginn der zweiten Hälfte ihren Charme. Und beinahe wäre es der gute Niko gewesen, der in der 49. Minute den (na ja, halbwegs verdienten) Ausgleich erledigt hätte. Sein Schuss war aber zu ungenau.

Lobeshymne auf Käpt’n Fink

Was wäre in diesen Tagen ein Spielbericht ohne Lobeshymne auf Käpt’n Oliver Fink? Nur kann man die ständigen Anspielungen auf sein „hohes Alter“ irgendwann nicht mehr hören. Gut, dass er über entsprechende Fragen und Anmerkungen mit derselben Nonchalance hinweggeht wie der inzwischen gar „Opa“ genannte, 40-jährige Pizzaro. Mal ehrlich: Mit Vierzig stehen die meisten Männer in der Blüte ihres Lebens, und nur wenige haben in dem Alter einen nennenswerten Teil ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit eingebüßt. Mit einer entsprechenden genetischen Disposition, der Disziplin, die ein Berufssportler haben sollte, und der passenden, positiven Einstellung sowie dem Glück von ganz schlimmen Verletzungen weitestgehend verschont worden zu sein, sind Höchstleistungen auch jenseits dieser Altersgrenze kein Wunder. Die wesentliche Eigenleistung der „alten Männer“ besteht eben darin, ihr Leben über eine lange Zeit ganz und gar den Anfordernissen ihres Berufes unterzuordnen und ihren Teil zur körperlichen Fitness beizutragen. Dass er das offensichtlich getan hat, dafür muss man Oliver Fink loben.

Den Chef der Viererkette gab Andre Hofmann, der im Verbund mit Marcin Kaminski eine betonfeste IV bildete. Auf links lieferte Markus Suttner eine insgesamt nicht ganz überzeugende Leistung ab, die sogar ein bisschen am 0:1 schuld war. Nun hatte er es aber auch zunächst mit diesem Bellarabi zu tun, der allerdings schon in der 15. Minute verletzt raus musste. Der Ersatzmann erwies sich aber als genauso schnell und ballsicher, sodass der gute Mark dauerhaft seine liebe Müh und Not hatte. Die halbhohe Flanke ins Zentrum, die zum Tor für Vizekusen führte, hätten er und Gießelmann durch engeres Abdecken verhindern können. Dass er Torschütze in der Mitte dann auch noch Platz für zwei Hatte, um das Ding einzunetzen, machte das Entstehen des Tores zu einem Misserfolg mit vielen Fehlern.

Ganz gut im Griff

Als Aymen Barkok für den armen Jean Zimmer kam, veränderte sich das Gefüge auf der rechten Seite nicht unwesentlich, weil Matthias Zimmermann nun den Platz des Verletzten einnahm und der Neue nun rechts im defensiven Mittelfeld zu tun hatte. Wobei ab der 27. Minute ein etwas unübersichtliches Rochieren zwischen Barkok, Morales und Fink begann, das aus der ursprünglichen Formation ein etwas defensiveres 4-3-2-1 machte. So gelang es, die 04er nach deren Tor bis kurz vor der Pause daran zu hindern, ernsthafte Chancen zu generieren. Im Gegenteil: Dreimal erzeugte die Mannschaft in Weiß Kontersituationen, aus denen Chancen hätten werden müssen – an denen spürte man das Fehlen des Spielmacher Kevin Stöger am schmerzlichsten.

Als die beiden Teams wieder auf den Platz gekommen und der gute Schiri Schmidt die Pille wieder freigegeben hatte, konnte man den starken Willen des F95-Teams geradezu riechen. Die wollten a) den Ausgleich, um sich dann b) auch damit nicht zufrieden zu geben. Nun läuft es im Fußball aber nicht immer so, dass der stärkere Wille siegt. Manchmal ist eine Mannschaft am Spieltag einfach besser. Bayer 04 Leverkusen war gestern über die 90 Minuten gerechnet und in fast jedem Belang die bessere Mannschaft. Punkt. Was aber bei dieser Ballung an Talent nicht verwunderlich ist. Verwunderlich ist eher, dass die nicht viel weiter oben stehen – aber den Trainer, der es verbockt hat, haben sie ja geschasst.

Mutig, aber unterlegen

Wir alle haben in dieser Saison ja schon gesehen, was unsere Jungs mit Mut und Willen anrichten können. Dass trotz kluger Angriffsbemühungen und zwischenzeitlich beherztem Pressing an diesem Sonntag in Stinkweite des Leverkusener Autobahnkreuzes trotzdem nicht mehr herauskam, hat einen einfachen Grund: Die Chemotruppe ist grundsätzlich und war insbesondere gestern den Fortunen spielerisch in allen Belangen deutlich überlegen: Ballannahme, Ballbeherrschung, Passgenauigkeit und was es sonst noch alles gibt. Ab ungefähr der 70. – Benito Raman war schon, Dawid Kownacki noch nicht drin – stellten die Leverkusener größere Offensivaktivitäten weitestgehend ein und versuchten, die Pille rund um die Mittellinie in den eigenen Reihen zu halten.

Die Ungeduldigen unter den Fortunisten, die das Auswärtsspiel (zum Teil wegen der Kartenpreisabzocke) im Kreise von Mit-Fans im Vossen an der Hüttenstraße verfolgten, forderten unsere Jungs zu mehr Pressing auf. Aber wer die Partie bis dahin gesehen hatte, ahnte, was dann passieren würde – das Umschaltspiel, das Bayer 04 in anderen Spielen schon gezeigt hatte. Tatsächlich war bei Licht betrachtet das Risiko, mehr Buden zu kassieren, größer als das, die Partie noch einmal spannend zu machen. Die Sache also über die letzten 15, 20 Minuten ausplätschern zu lassen, war vermutlich die beste Entscheidung.

Der alte Mann und das Tor

Reden wir kurz über das Torwart-Dilemma der glorreichen Fortuna. Zu Beginn der Spielzeit sah es so aus, als hätten Funkel & Co. zwei ebenbürtige Keeper an der Hand. Dann machte der 801-Spiele-Mann Michael Rensing zur Nr. 1. Raphael Wolf durfte nur beim Pokalspiel in Koblenz ran und hätte vermutlich auch die folgenden Pokalpartien bestritten. Stattdessen verletzte er sich – wie sich eigentlich jetzt erst zeigt – sehr, sehr schwer. Inzwischen ist sein Einstieg ins ernsthafte Training nicht absehbar. Zu allem Überfluss ist auch die nominelle Nr. 3, der außerordentlich begabte Tim Wiesner, dauerverletzt. Deshalb musste Jannik Theißen, eigentlich einer der beiden in etwa gleichberechtigten Tormänner der Zwoten, immer wieder als Ersatz auf die Bank. Und das alles zieht einen Rattenschwanz nach sich, weil in der Zwoten mit Maduka Okoye de facto nur noch ein planmäßiger Torhüter am Start ist und dort nicht selten der kaum 18-jährige Justin Möllering aus der U19 aushelfen muss. In diesem Licht betrachtet war es mehr als klug, Jaroslav Drobny nachzuverpflichten. Ja, sich einen alterfahrenen Torwart zu holen, war mit einiger Sicherheit die beste Entscheidung. Erstens, weil bezahlbare Topkeeper nicht zu haben waren, und zweitens, weil das Reinholen eines weiteren Langfristkonkurrenten für Rensing, Wolf und Wiesner das Gefüge hätte zum Wanken bringen können.

Nun hat man dem guten Drobny ja nicht zu Unrecht mindestens eine der vier Bude auf Schalke zugerechnet und ihm vor allem Langsamkeit und eine gewisse Hüftsteifigkeit vorgeworfen. Also sahen viele in der gestrigen Besetzung des Hüttenwarts ein Risiko. Sagen wir es klar: Am ersten Tor durch die Gastgeber konnte er nullkommanix ändern, beim zweiten sah die Sache je nach Kameraeinstellung ein bisschen anders aus. Letztlich zeigten aber die Aufzeichnungen, dass Drobny optimal reagiert hat und den Ball gar nicht in irgendeine andere Richtung hätte abwehren können. Positiv für ihn schlagen vor allem zwei Rettungstaten zu Buche, die nicht jeder Erstligatormann so hingekriegt hatte.

Abstiegskampf braucht auch Geduld

Nein, diese Niederlage ist nicht schlimm und tut nicht einmal besonders weh. Zumal alle Mitbewerber um den Ligaverbleib treu und brav im Sinne unserer wunderbaren Fortuna gespielt haben. Tabellarisch hat sich nach diesem Spieltag schlicht und einfach nichts geändert. Sicher, mit einem Auswärtssieg hätten die Rotweißen den 11. Platz erobern können, aber das wäre auch eher eine kosmetische Sache gewesen. So aber verweist alles auf das kommende Heimspiel gegen den Glubb aus Nürnberg. Ein Sieg gegen den mit neuem Sportchef und neuem Trainer versehene Traditionsclub könnte den Abstieg fast schon zum gelutschten Drops machen.

Wie es aussieht könnten in der Spielzeit 2018/19 schon 33 oder 34 Punkte zum Klassenverbleib reichen. Heißt im Klartext: Nur noch acht (oder neun). Das sollte selbst dann machbar sein, wenn keine weitere Überraschung gegen eine der Spitzenmannschaften mehr gelingt. Andererseits werden Dortmund, Bayern, Gladbach, Wolfsburg, Frankfurt, Hertha und Bremen auch nicht jedes Mal in den Spielen gegen F95 einen solchen Sahnetag ziehen wie Pillekusen gestern.

Ein Kommentar

  1. Bernwart Lockwart am

    The Sound of the TV-Übertragung ist ja auch immer abhängig von der Positionierung der Mikrofone.
    Mich persönlich würde mal interessieren wo diese denn in den jeweiligen Stadien üblicherweise aufgebaut werden. Meine persönliche Vermutung: Bei den Konservenclubs vor dem Gästeblock, bei den anderen entweder vor der Heimkurve oder tatsächlich irgendwo mittig.