Jeder Hundehalter in den Städten kennt den Effekt: Menschen mit gewissem Migrationshintergrund weichen dem Köter aus. Dann heißt es meist „Moslems haben Angst vor Hunden“. So entsteht ein Vorurteil, und kaum ein Nicht-Moslem macht sich die Mühe, einmal zu erforschen, wie es denn tatsächlich mit der Einschätzung der Hunde im Islam aussieht. Fragt man Mitbürger türkischer Herkunft, dann kommt die Antwort, Hunde seien unrein. Wer ein bisschen mehr in der islamischen Kultur zuhause ist, fügt an, ein Haus, in dem sich ein Hund aufhält, wird von den Engeln gemieden, sodass sich die Teufel (Dschinns) dort tummeln. Da ist es interessant, im Koran nachzuschlagen. Das ist leichter gesagt als getan – zumindest im Internet. Denn als jemand, der kein Arabisch kann, ist man auf Übersetzungen angewiesen. Aus Sicht strengstgläubiger Muslime sind Übersetzungen nicht bindend. Deshalb wird in traditionellen Koranschulen auch nur der Koran in arabischer Sprache gelehrt. Allerdings verfügt nur ein kleiner Teil der Lehrer über ausreichende arabische Sprachkenntnisse, sodass die Schüler häufig nur die Suren in Originalsprache auswendig lernen, ohne deren Sinn zu verstehen. Stattdessen bieten die Lehrer allerlei Interpretationen an. Viele davon sind nichts weiter als Legenden (Hadithe), die durch die Jahrhunderte mündlich weitergetragen wurden und in vielen Fällen mit dem Koran nichts, mit den kollektiven Vorurteilen einer Kultur aber viel zu tun haben. So scheint es auch mit dem Hund zu sein. Nur in der 18. Sure (Al-Khaf) wird überhaupt eine Töle thematisiert. In der 7. Sure (Al-Aáraf) dient er lediglich als Gleichnis: „Er gleicht daher einem Hunde: treibst du ihn fort, so lechzt er, und beachtest du ihn nicht, so lechzt er.“

In einer der verfügbaren deutschen Übersetzungen liest sich das so:

„22. Manche sagen: «(Sie waren ihrer) drei, ihr vierter war ihr Hund», und (andere) sagen: «(Sie waren) fünf, ihr sechster war ihr Hund», indem sie herumraten im Dunkel, und (wieder andere) sagen: «(Sie waren) sieben, ihr achter war ihr Hund.» Sprich: «Mein Herr kennt am besten ihre Zahl. Niemand weiß sie, außer einigen wenigen» So streite nicht über sie, es sei denn durch zwingendes Beweisen, und suche nicht Kunde über sie bei irgendeinem von ihnen.
23. Und sprich nie von einer Sache: «Ich werde es morgen zu tun»,
24. Es sei denn: «So Allah will» Und gedenke deines Herrn, wenn du es vergessen hast, und sprich: «Ich hoffe, mein Herr wird mich noch näher als dies zum rechten Wege führen.»
25. Und sie blieben dreihundert Jahre lang in ihrer Höhle, noch neun hinzugefügt.“
(Quelle: Heiliger Koran – 18. Sure „Al-Khaf“)

Nichts Negatives über Hunde

Eine offizielle englische Übesetzung liest sich wie eine Wort-für-Wort-Übertragung der zitierten deutschen Version. Noch einmal: An keiner anderen Stelle im Heiligen Koran ist ansonsten von Hunden die Rede. Nirgends wird behauptet, der Köter an sich sei unrein. Aus keiner Sure ergibt sich, dass die Engel Häuser mit Hunden meiden. Aber in den Hadithen. Dies sind Stories rund um Mohammed und seiner Gefährten. Im Islam haben solche Hadithe vielfach dieselbe, bisweilen sogar eine höhere Bedeutung für das Wertesystem. So basiert das islamische Recht (Schari’a) weitestgehend aufs Auslegungen der Mohammed-Legenden. Dieser Schatz an kurzen oder längeren Geschichten, besteht meist aus Aussprüchen, die per Hörensagen vermittelt wurden. Oft beginnt solch ein Text mit dem Satz, dass der Verfasser gehört habe, wie jemand erzählte habe, er habe gehört, Mohammed, ein Gefährte oder Weise habe etwas gesagt. Die kleinsten Hadithe-Sammlungen umfassen mindestens 1.700 solcher Texte. Und in diesen ist insgesamt fünf bis sieben Mal vom Hund die Rede.

Dass der Hund unrein sei, bezieht sich vor allem auf diesen Spruch:

„Ibn Abbas, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete: Der Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: ‚Die Engel betreten keine Wohnung, in der sich ein Hund oder ein Bild (eines Menschen oder eines Tieres) befindet.'“
(Quelle: Sahih Muslim Nr. 3929)

Nirgends findet sich eine Begründung, aber in allen Hadithe-Sammlungen taucht der Text mehrfach auf. Dafür werden Frauen, Hunde und Esel als gebetsverhindernd beschrieben. Ebenfalls zuungunsten des Vierbeiners geht der Spruch aus, der besagt, dass wer einen Hund hält, dafür täglich die Hälfte seiner guten Taten abgezogen bekommt. Es sei denn, der Köter sei ein Jagdhund oder diene der Bewachung der Schafe. Ganz so schlimm kann es mit der Unreinheit des Hundes aber nicht bestellt sein, betrachtet man folgende Anekdote: Ein Typ (in anderen Hadithen ist es eine Hure) sieht, wie ein Hund verzweifelt an einer schlammigen Pfütze leckt, weil er durstig ist. Der/die Held/in klettert in den Brunnen und füllt seinen Schuh mit Wasser. Und lässt den halbverdursteten Hund daraus trinken. Kommt Allah vorbei, sieht das, erklärt es für gottgefällig und vergibt dem/der Held/in seine Sünden.

Hochgeschätzte Jagd- und Hütehunde

Wir lernen also, dass der Hund nicht ins Haus gehört, sonst aber okay ist. Viele andere Regeln – unter anderem die, dass man eine Schüssel aus der ein Hund gegessen oder getrunken hat vor dem Gebrauch durch Menschen sieben Mal zu waschen hat – zählen zu den notwendigen Hygienevorschriften für das Leben in der Wüste. Bekannt war den Wüstensöhnen, dass Hunde Überträger des Bandwurms sind, man also beim Kontakt mit dem Hund vorsichtig sein sollte. Deshalb darf laut der Hadithe ein Jäger das vom Hund geschlagene Wild auch nur dann essen, wenn der Jagdhund nicht davon gefressen hat.

Es sind also der Hüte- und der Jagdhund, die im Islam Anerkennung finden. Der Jagdhund der arabischen Länder ist aber der Windhund, vor allem der marokkanische Sloughi. Dementsprechend hoch ist die Wertschätzung, die marokkanisch-stämmige Mitbürger dem Windhund zollen. Unterwegs mit dem Galgo wird man oft gefragt: „Ist das ein Sloughi?“ Keine Rede davon, dass der Hund unrein sei.
Angeregt durch die neue, empfehlenswerte Hundezeitschrift Dogs, die in der Ausgabe 7/2007 über Sloughis berichtete, forschte ich rund um die Legende vom Hund, der 309 Jahre lang die Höhle bewachte, nach. Diese Sage bezieht sich offensichtlich auf die 18. Sure (Al-Khaf). Dass die fünf oder sieben Typen in der Höhle sich aber dorthin geflüchtet hatten oder gar muslimische Märtyrer waren, ergibt sich aus dem Korantext genauso wenig wie die Aussage, der Hund habe die Leute bewacht. Eine Hadithe zum Thema gibt es übrigens nicht. Trotzdem hat der felltragende Hüter einen Namen: Kitmir, der auch als El Hor (Der Reine) bezeichnet wird und in Marokko und Algerien sogar auf Briefmarken abgebildet ist.

Aber es kommt noch doller: Denn eine der christlichen Legenden zum Siebenschläfertag ist eine Kopie der Sage von Kitmir und den Märtyrern. Oder ist es umgekehrt? Hat der Autor der 18. Sure aus dem „Theodosius de situ terrae sanctae“ abgeschrieben? Man weiß es nicht…

Sicher ist nur, dass viele Muslime Hunde fürchten oder nicht mögen, ohne dies anders begründen zu können als mit dem Satz „Der Hund ist unrein“.

[Zuerst erschienen in der Rainer’schen Post vom 21.04.2008]

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