Es ist ein Kreuz mit dem Karneval, denn der könnte im Prinzip schön sein. Die Nachbarschaft tut sich zusammen, um einen Wagen für den Zoch zu basteln oder um Kostüme anzufertigen, damit man als Gruppe mitlaufen kann. Und nach dem Rosenmontagsumzug wird gemeinsam gefeiert. Vielleicht war das früher mal so, aber wenn, dann eher im Kapellenstädtchen als in Düsseldorf. Denn das langlebige Vorurteil hat ausnahmsweise Recht: Während Fastelovend in Kölle auf der Straße stattfindet, hat man’s in der Landeshauptstadt mehr mit dem Lackschuhkarneval im Saal. Insofern ist die Popularität des hiesigen Rosenmontagszugs auch im Wesentlichen dem Fernsehen geschuldet. Würde der kölsche WDR sich nicht herablassen, auch den Zoch zwischen Rhein und Kö zu übertragen, gäbe es wohl nur eine lokale Veranstaltung minderen Interesses.

Ohne TV interessiert’s keine Sau

Dass aber der rheinische Karneval überhaupt und insgesamt den heutigen Bekanntheitsgrad erreicht hat, ist ohnehin eine reine Mediengeschichte, die viel damit zu tun hat, dass man in der Domstadt nach dem Krieg eine Rundfunkanstalt eingerichtet hat, um den Kölner daran zu hindern, sich dauernd benachteiligt zu fühlen. Nun war Köln ampfirsich keine Stadt mit auffälliger Kreativität, eher im Gegenteil: Bis zum zweiten Weltkrieg muss man Adenauer-City eher als kreuzkatholischen Industriestandort mit ausgeprägter Koofmich- und Handwerkerstruktur sowie bäuerlichen Vororten sehen. So sahen sich die WDR-Macher in den Kindertagen ihres Senders auch von akutem Programmmmangel bedroht.
Da brachte irgend so ein Immi – vermutlich ein Ostflüchtling – den Vorschlag, man könne doch dieses schwerlustige Volkstheater von einem gewissen Herrn Millowitsch abfilmen und versenden. Von da war der Weg zur Übertragung des Rosenmontagszugs nicht mehr weit.

Da außerdem die Rheinlandpfälzer kulturell so überhaupt gar nichts zu bieten haben, hievten die in den paritätischen Gremien vertretenen Mitglieder der dortigen Parteien flugs auch den jämmerlichen Mainzer Karneval in die Glotze. Weil das Versenden einer 11er-Rats-Sitzung aus Gonsenheim oder einem anderen Kaff wenig interessant gewesen wäre, kam ein schlitzpfiffiger Meeenzer auf die Idee, eine Gemeinschaftssitzung zu kreieren, die fortan unter dem Motto „Mainz wie es singt und lacht“ am Faschingsfreitag die Mattscheiben verschmutzte.

Meine Familie stammt samt und sonders aus dem Ostern und ist entsprechend anfällig für Karnevalsbräuche. Denn der gemeine Ostpreuße oder Pommeraner verband vor dem Krieg mit dem Rheinland ja bloß den blöden Göbbels, weil die Kunde vom bunten Treiben in den Sälen und auf den Straßen wohl kaum bis Stettin und Königsberg gedrungen war. Umso begeisterter waren die hier gelandeten Heimatvertriebenen bei ihren ersten Begegnungen mit dem Karneval.

Nur lachen reicht nicht zum mitmachen

Allerdings blieb dem Flüchtling zunächst nur die Rolle des Konsumenten. Schließlich hatte man die Karnevalsvereine, die Träger dessen, was hierzulande immer gern „Winterbrauchtum“ genannt wird (im Gegensatz zum Sommerbrauchtum, bei dem es um das Schützenunwesen geht…), sind, auch zur Abwehr artfremder Elemente gegründet und konstituiert. So ein Traditionsverein diente in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts vor allem dem Zusammengehörigkeitsgefühl. Der dumpf-sentimentale Kölner bedient sich dessen trotz seiner Anwesenheit in einer durch Zwangseingemeindungen zusammengefakten Millionenstadt immer noch und lässt es von völlig verblödeten Medien-Immis „kölsch Jeföööhl“ nennen.

Das vergehende Lachen - made by Tilly

Das vergehende Lachen – made by Tilly

Tatsächlich hatte der Ostflüchtling in den ersten Nachkriegsjahren ebenso wenig eine Chance auf aktives Mittun im Karneval wie -sammerma- der Türke bis in die Achtzigerjahrn des zwanzigsten Jahrhunderts. Heute ist das anders. Im gleichen Maße, in dem sich Migranten in den Handels- und Handwerksklüngel hineinwühlen, werden sie auch als aktive Karnevalisten akzeptiert. Wie gesagt: Meine ostdeutsche Familie fand Karneval klasse, und weil Onkel Harald als erster einen Fernsehapparat hatte, versammelt sich die ganze Mischpoke am Karnevalsfreitag an der Collenbachstraße, um bei Schnittchen und Getränken den Mainzer Karneval anzugucken. Die Häppchen waren übrigens ein Highlight der Veranstaltung, weil Tante Gerda eine begnadete Köchin war (um auch ihr mal ein Denkmal zu errichten). Ansonsten sah man sich paar Tage später – die Herren verkleidet durch das Tragen eines lustigen Hutes und einer Papernelke im Mantelknopfloch – den Rosenmontagszug in echt an, um anschließend mit dem Verzehr von einigen Berlinern die tollen Tage ausklingen zu lassen.

Handwerk hat goldenen … Humor

Im Rheinland, jedenfalls so weit es vom organisierten Karneval befallen ist (was nicht durchgehend zutrifft – einzelne Enklaven am Niederrhein haben bloß das Sommerbrauchtum…), werden Aufträge für Handwerksbetriebe offezjell auch immer ausgeschrieben. In der Realität aber eher nicht. Man beauftragt den Bauunternehmer, den Installateur, Elektriker und Dachdecker, den man kennt, mit dem man schon mal dat eine oder angere Bierschen jedronke hätt. Und wo trinkt man mehr Bierchen zusammen als beim Karneval und rund um die Schützenfeste? Richtig. Wer in den Wirtschaftskreislauf einer Stadt wie Köln oder Düsseldorf einsteigen will, also nicht qua Familje (mindestens dritte Jeneration ansässich!) dazugehört, der kann nicht umhin, in mindestens einem Karnevalsverein Mitglied zu werden. Mittlerweile trifft das eben nicht mehr nur für Handwerker zu. Alle modernen Dienstleister (Anwälte, Steuerberater, Werbefuzzis etc.) können auf lokales Geschäft nur hoffen, wenn sie mitmachen.

Venetia Angela (rechts im Bild)

Venetia Angela (rechts im Bild)

Geklüngelt wird aber nicht bloß auf dieser niedrigen Ebene. Dass die Tochter des verstorbenen Düsseldorfer OB Joachim Erwin nicht nur mal Karnevalsprinzessin war, sondern auch dem so genannten „Venetienclub“ vorstand und von ihrer Frau Mama den Vorsitz des „Fördervereins Düsseldorfer Karneval e.V.“ übernommen hat, ist kein Zufall. Wie überhaupt die Verbindung der Hille Schüßler mit dem Joachim Erwin geradezu modellhaft für den Weg eines Aufsteigers in die Düsseldorfer Society steht. Erwin war Flüchtlingskind aus Thüringen, Hille Schüßler Sproß eines seit Generationen am Ort ansässigen Clans.

Tatsächlich trifft sich traditionell im Karneval, was katholisch-konservativ ist. In diesem Zusammenhang wurden bis weit in die achtziger Jahre Konstellationen der Ratspolitik im karnevalistischen Umfeld ausgekungelt. Die in Düsseldorf und Köln (wegen der industriellen Vergangenheit beider Städte) eigentlich sehr starke SPD hat bereits seit den fünfziger Jahren einen eigenen, hermetischen Karnevalsfilz angerührt. So gibt es bis auf den heutigen Tag Vereinen, in denen kein Soze Mitglied werden könnte, während es andererseits Clubs gibt, die CDUlern verschlossen sind. Und die Grünen, die dürfen überhaupt erst seit fünfzehn, zwanzig Jahren mittun…

Das ist nicht lustig

Für alle Menschen, die nicht in den Karneval hineingeboren sind und/oder ihre Kindheit in einer Stadt ohne Straßenkarneval aufgewachsen sind, liegt ein großes Missverständnis nahe. Eigentlich sind es sogar zwei Missverständnisse. Erstens: Karneval ist nicht lustig. Zweitens: Zu Karneval muss man sich nicht ins Koma saufen.

Karneval ist nicht lustig, aber manchmal ziemlich anstrengend

Karneval ist nicht lustig, aber manchmal ziemlich anstrengend

Wer sich schon mal den Tort angetan hat, die WDR-Übertragung des Kölner Rosenmontagszugs in voller Länge verfolgt und dabei den Kommentaren der Sprecher gelauscht zu haben, der wird Punkt Eins locker bestätigen können. Denn was da aus der Spucköffnung des offezjell von den Vereinen abgestellten Kommentators quillt, ist eine Mischung aus uninteressanten biografischen Details irgendwelcher Suffköppe auf den Wagen und einem geradezu grotesken Pathos. Da ist permanent die Rede von „herrlischen Wagen“ und „präschtijen Fußjruppen“. Da wird vorgebetet, wie viele Arbeitsstunden ein Vorstadtverein in das Basteln blöder Pappköpp investiert hat. Und da wird jeder denkbare Herrenwitz auf völlig unkomische Weise als Vorurteil präsentiert. Wie – spätestens seitdem der geniale Westfale Manfred Breuckmann, ja, DER Breuckmann, den Düsseldorfer Zoch nicht mehr auf seine unnachahmliche Weise kommentiert – überhaupt gilt, dass auch eine gut programmierte Maschine den Kommentar sprechen könnte, denn mehr Worthülsen gehen nicht. Scheint die Sonne, heißt es, dass „sich dä Petrus den Narren gnädij jezeicht hätt“. Die billigen Bonbons, die ins Volk geschleudert werden, heißen „Wurfmaterial“, und die Nennung der Gesamtmenge ist obligatorisch. Wie überhaupt Schwanz-, äh, Zuglänge, Wagenzahl und weiteres statistisches Material den Kern der Besprechung bilden.

Gerade in Düsseldorf scheint die überwiegende Mehrheit der anreisenden Provinzler der Ansicht zu sein, Karneval bedeute „Saufen bis der Arzt kommt“. Während der Eingeborene sich an sein lecker Alt hält und ab Altweiber (Donnerstag) täglich außer freitags (da ruht der Straßennarr) von morgens bis zum Schlafengehen in einen angenehmen Rausch trinkt, der ab und an mit einem Killepitsch befeuert wird, haut sich der gemeine Ruhrgebietsknalli den Schnaps literweise in die hohle Birne und kriegt spätestens nach zwei Stunden Anwesenheit im karnevalistisch besetzten Gebiet nichts mehr mit. Irgendwer hat ja auch vor gefühlten 30 Jahren propagiert, Straßenkarneval wäre Party. Und da Menschen unter einer gewissen Altersgrenze ja meinen, ein Recht auf Party haben, und sich darunter vor allem Alkohol- und Drogenkonsum vorstellen, finden sich die ersten halbtoten Trinker bereits am Altweiberdonnerstag so gegen eins. Einer soll, will man den Aussagen eines Rotkreuzmannes glauben, nach dem Aufwachen sieben Stunden nach der Anlieferung gesagt haben, er wisse gar nicht, was los sei, er habe doch noch nicht mal eine ganze Flasche Wodka eingenommen…

Du sollst misch lieben für 3 tolle Tage

Und so riecht die Stadt ab Donnerstagabend bis Montagnacht durchgehend nach Kotze. Und nach Männerpisse. Denn scheinbar halten einige Schwanzträger den Karneval für eine Zeit, in der nicht nur die geltenden Gesetze außer Kraft sind, sondern in der auch die minimalen Regeln des guten Benehmens obsolet sind.

Und tschüss...

Und tschüss…

Komischerweise sind die tollen Tage aber auch die Zeit, in der die Damen ähnlich reagieren. Okay, die sieht man seltener an Mauern pinkeln – wiewohl öffentliches, weibliches Urinieren in den städtischen Parkanlagen auch zum Karneval gehört. Zweitens hauen sich die Frauen während der Karnevalstage den Alkohol auch völlig unkontrolliert in den Kopp. Und drittens versuchen gerade die weniger schönen Exemplare dieser Menschheitshälfte ihre jährliche Sexbilanz während des Karnevals aufzubessern.

Nun kann Frau bekanntlich auch im Vollrausch, wohingegen der Rüde durch den steigenden Promillespiegel doch eher an der Erektion gehindert wird. Und das ist der Grund dafür, dass im Karneval viel weniger gevögelt wird, als der Außenstehende glaubt. Ist vielleicht aber auch besser so…

[Zuerst erschienen in der „Rainer’schen Post“ am 15.02.2010]

Ein Kommentar

  1. Herrlisch, danke! Könnt ich mir noch jut ein paar weitere Seiten lang geben.