850 Häftlinge, aber die JVA bietet keine Möglichkeiten, einen Haupt- oder Realschulabschluss nachzumachen. Das gleiche gilt für einen Lehrbrief.“ Reiner Spiegel ist Gefängnispfarrer aus Überzeugung. Er hat in seinem Leben nichts anderes gemacht, als Gefangene innerhalb und außerhalb der Mauern zu begleiten. „Heute werden Integrations- und Alphabetisierungskurse oder Deutsch als Fremdsprache von der VHS oder privaten Trägern angeboten. Eigentlich nichts dagegen einzuwenden. Aber was gibt man den Häftlingen am Ende in der Hand? Sie bekommen eine Teilnahmebestätigung! Diese Kurse kosten viel Geld. Aber was ist das Ergebnis? Kein Zeugnis, keinen Lehrbrief, den der Häftling nach Ablauf der Haft dem Arbeitgeber vorlegen könnten.“

Bedauernd fährt er fort: „Eine sinnvolle Beschäftigung, genau das ist es, was wir uns für die Gefangenen wünschen. Aber wenn ich die Situation in der JVA Düsseldorf betrachte, sind wir diesem Ziel seit dem Umzug aus der Ulmer Höhe nicht einen Schritt nähergekommen. Im Gegenteil, wir haben uns davon weiter entfernt.“ Er seufzt: „Ein schönes, neues Gebäude. Dagegen war die Ulmer Höhe ein Loch. Aber die Wege sind weiter geworden. Dazu eine Unmenge neuer Vorschriften! Sinnigerweise haben die meisten von ihnen mit Brandschutz zu tun.“

Personalmangel im Bereich Wachpersonal

Spiegel erklärt, dass die Häftlinge von den Aufsehern in die entsprechenden Arbeits- und Schulungsräume verbracht werden müssen. „Ein Gefangener, der außer Plan zum Arzt oder ins Krankenhaus muss, muss begleitet werden. Diese Begleiter fehlen im normalen Betrieb. Die Zuführung der Häftlinge zu den jeweiligen Bildungs- oder Freizeitangeboten klappt nicht. Die Folge: Die Kurse fallen aus. Die Gefangenen bleiben in den Zellen und haben im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu tun. Das gleiche Problem bei den Ehrenamtlern: Wieviel mehr könnten wir machen! Wir scheitern an organisatorischen Vorschriften, vor allem aber an fehlendem Wachpersonal.“

Resozialisierung als wichtigste Aufgabe des Strafvollzugs

„Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient dem Ziel, Gefangene zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (§ 1 StVollzG NRW).“ Was sich hinter diesem Paragraphen verbirgt, liest sich auf der Website der JVA Düsseldorf dann wie folgt: „Der Gesetzgeber nimmt an, dass viele Strafgefangene (noch) nicht fähig sind, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, sie aber diese Fähigkeiten im Vollzug der Freiheitsstrafe erwerben könnten (Resozialisierung).“

Wie die Resozialisierung erreicht werden soll, erfährt der interessierte Leser mittels einer neun Punkte umfassenden Auflistung von „Behandlungsangeboten“. Es ist die Rede von Therapie (Gewaltprävention, Suchtbehandlung, psychologischer Betreuung) und Freizeitgestaltung. Des Weiteren werde der Häftling mittels „differenzierten beruflichen oder schulischen Aus- und Weiterbildungsangeboten und in arbeitstherapeutische Maßnahmen“ auf das Leben in Freiheit vorbereitet. „Ja, das steht auf der Internetseite, aber Realität ist eine andere.“ Spiegels Meinung über die Verlautbarung auf der Anstaltsleitung fällt wenig schmeichelhaft aus.

53 Plätze für schulische Ausbildung im Pädagogischen Zentrum

Von der Anstaltsleitung der JVA bekomme ich nach schriftlicher Anfrage zu dem Thema folgende Stellungnahme: „Bei vorliegenden Voraussetzungen kann eine Verlegung in eine andere, zuständige Haftanstalt erfolgen. Grundsätzlich werden Inhaftierte für Schulabschlüsse bis zur Fachhochschulreife ins Pädagogische Zentrum (PZ) in der JVA Werl verlegt. Für schulische und berufliche Maßnahmen gibt es im NRW Justizvollzug eine Strukturierung der Zuständigkeiten.“ Das Pädagogisches Zentrum umfasst, sofern der Eintrag auf der Internetseite aktuell ist, 53 Plätze in der Schule (Haupt- und Realschulabschluss und Abitur) sowie um die zwanzig Lehrstellen in drei Berufszweigen.

Als ich Herrn Schneider in seiner Eigenschaft als Pressesprecher und Freizeitkoordinator auf das doch offensichtlich krasse Missverhältnis von 53 Schulplätzen gegenüber 850 Häftlingen allein in der JVA Düsseldorf anzusprechen versuche, beruft er sich auf seine 30-jährige berufliche Laufbahn im Strafvollzug. Es habe sich doch so viel verbessert. Als ich mehr darüber wissen will, betrachtet er das Telefonat als beendet und verweist auf seine schriftliche Stellungnahme.

Häftlings-IQ höher als der des Bevölkerungsdurchschnitts?

Spiegel kommentiert das Ganze wie folgt: „Eine JVA ist wie ein Schiff auf hoher See, das, egal wie, sein Ziel erreichen will. Wir haben eine neue Chefin und ihr Ziel ist die heile Fassade. Sie wird der Öffentlichkeit gegenüber niemals zugeben, wie viele der ‚Behandlungsangebote‘ ausfallen, wie gering die Anzahl der Häftlinge ist, die zur schulischen Ausbildung nach Werl verlegt werden; dass eine Verlegung, wenn überhaupt, erst nach monate- oder sogar jahrelanger Wartezeit erfolgt; dass während der Untersuchungshaft generell nicht verlegt wird und so weiter…“

Auch in punkto Arbeitsplätzen beschönige die Anstaltsleitung, so Spiegel. „Die Beschäftigungslage der Inhaftierten ist rückläufig. Firmen, die früher im Knast produzieren ließen, vergeben heute an Billiglohnländern.“ – „Vielleicht 20 maximal 30 Prozent aller Inhaftierten teilen die vorhandenen Arbeitsplätze unter sich auf. Der Rest hat nichts zu tun“, stellt Spiegel fest. „Wollen Häftlinge keine Schulausbildung machen? Sind sie dazu intellektuell nicht in der Lage?“ will ich von ihm Spiegel wissen. Er lacht bitter. „Natürlich wollen sie. Ein Mensch, der solange eingesperrt ist, will etwas Sinnvolles tun. Verwehrt man ihm das, kommt er auf dumme Gedanken. Er dealt, macht krumme Geschäfte, er nimmt Drogen.“ Auch davon, dass Häftlinge dumm seien, will Spiegel nichts wissen.
„Laut Untersuchungen verfügen Kriminelle über einen höheren IQ als der Bevölkerungsdurchschnitt. Schließlich haben viele von ihnen, wenn auch mit krimineller Energie, ein Geschäft“ betrieben … bis sie geschnappt wurden.“

Kommentare sind gesperrt.