Nach zwei Jahren Zwangspause beglückte die Jazz Rally zum 28. Mal wieder Musikliebhaber:innen aus Düsseldorf und der Restwelt.

Bericht · Ein Kollege, selbst jahrelang aktiver Jazzer, fragte nach einem Gespräch über das diesjähriges Jazz-Rally-Programm: „Ist das überhaupt noch Jazz?“ und fügte nach einer kurzen Denkpause an: „Aber, egal…“ Wie einigten uns dann darauf, dass es ohnehin nur eine elitär-intellektuelle Übung sei, nach den Grenzen zwischen Jazz und dem Rest der populären Musik zu ziehen. Wo es dieses Jahr sowieso nur darum ging, endlich wieder mehr oder weniger fette Musik live hören zu können. Und da kam die 28. Düsseldorfer Jazz Rally gerade recht. Die zog in den Jahren vor der Covid-Pandemie regelmäßig eine Viertelmillion Menschen in die Altstadt und an die bis zu 30 Spielstätten mit oft mehr als 80 einzelnen Gigs. Ganz so viel war’s dieses Mal nicht. „Als wie im vergangenen September mit der Planung ernstmachten, war uns klar, dass wir voll ins Risiko gingen,“ sagte Thomas Kötter von der Destination Düsseldorf, der die Leitung der Sache von der leider verstorbenen Jazz-Rally-Legende Boris Neisser übernommen hat.
[Lesezeit ca. 7 min]

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Denn ob und unter welchen Umständen ein solches Festival angesichts der Pandemie überhaupt möglich sein würde, konnte im vergangenen Herbst kein Mensch vorhersagen. Fazit: Ja, die Macher:innen der Jazz Rally 2022 haben alles richtig gemacht, ihnen ist zu danken. Zentrale der ganzen Angelegenheit war wieder das Festivalzelt auf dem Burgplatz, das sich am letzten Abend unter der Regie von Jan Delay in einen brodelnden Kochtopf verwandelte – als habe es dieses miese Virus nie gegeben…

Zwischen Open-Air-Bühne und Festivalzelt

Leider, leider war es nicht möglich, die Freiluftbühne am Burgplatz wiederaufleben zu lassen, die seit Jahrzehnten drei oder gar vier Tage lang von Mittags bis in die Nacht musikalischer Magnet war und so die Rally-Besucher immer wieder anzog, um ein extrem abwechslungsreiches Programm zu genießen. Stattdessen hatte man eine Bühne auf dem Schadowplatz aufgebaut, was zumindest am Freitag und Samstag nicht so gut kam. Die Einkaufsfestung Kö-Bogen im Rücken und die Shopping-Massen auf der Schadowstraße vor sich, war es für die Musikant:innen oft nicht leicht, das Publikum auf der Insel dazwischen zu erreichen. Das ging vor drei Jahren mit der Bühne an der Johanneskirche deutlich besser.

Womit wir aber schon bei der Entdeckung dieser Jazz Rally sind: Am Samstag nahm die düsseldorferisch-kölsche Band Moody Monks die Menschen am Kö-Bogen anderthalb Stunden lang gefangen – ein hochmusikalische Truppe mit einer fantastischen Sängerin, tollem selbstverzapftem Material und großer Bühnenpräsenz. Da verpasste mancher Rally-Gast sogar das Vorkonzert von Jeff Cascaro im Zelt.

Das war schade, denn der in der Wolle gefärbte Jazz-Sänger brachte waschechten Jazz auf die Bühne. Überhaupt: Schon immer hatten es die Supporting Acts für die Hauptakteure an den Zeltabenden schwer. Dieses Mal hat man – zum Unmut etlicher Besucher:innen – im Programm nicht angegeben, wann der Gig des jeweiligen Hauptacts beginnt. Kenner:innen war klar: Wenn (zwangsweise) um 22 Uhr Schluss sein muss, wird die Vorabend um 20:30 Uhr abgelöst. Aber manche wussten es eben nicht und waren frustriert. Leider ergab sich gerade am Sonntagabend die Situation, dass deutlich mehr Leute vor dem Zelt auf Jan Delay warteten, als der herrlich tanzbaren Mucke des Hambuger NuHussel Orchestras zu folgen.

Erinnerungen: Wie soll man die Erlebnisse aus fast 30 Jahren Jazz Rally zusammenfassen? Am besten, in dem man die Gigs benennt, die einem persönlich in Erinnerung geblieben sind. Da ist das Konzert der legendäre Jazzkantine 1994 auf der Freiluftbühne auf dem Burgplatz (das Zelt kam später), der – dank Eintritt frei – voll war wie eine Sardinenbüchse. Oder, ebenfalls Open Air auf dem Burgplatz, das Zusatzkonzert von Nils Landgren an einem Sonntagmorgen um 11 Uhr vor kaum 100 Zuhörer:innen. Charly Antolini im G@rden (ca. 1998), erlebt in der ersten Reihe im Regen der Schweißtropfen dieses gnadenlosen Drummers. Die TV-Total-Band, die es vor ein paar Jahren im Schlösser-Saal so lange krachen ließ, bis das Publikum so erschöpft war wie die Band. Und, ein absoluter Höhepunkt, der Gig von Jan Delay mit seiner Band Disko No. 1 im LTU-Hangar im Jahr 2008 – ein schier endloser Abend vor einem grandiosen Sonnenuntergang über dem Rollfeld. [Rainer Bartel]

Trotz – in Relation zu den Vorgängern – deutlich reduzierten Angebots war es selbst den fleißigsten Fans bei Fußläufigkeit aller Locations natürlich nicht möglich, ALLES zu hören und zu sehen. Während der begnadete Jazz-Bassist Adam Ben Ezra am Freitag im Foyer der Bundesbank an der Berliner Allee ein durch und durch ungewöhnliches Solokonzert an den Grenzen zur Weltmusik zelebrierte, konnte man mit einer historischen Straßenbahn ein schicke Rundfahrt machen und sich mit Traditional Jazz unterhalten lassen.

Lokale Jazz-Held:innen wie Barbara Oxenfort, Rainer Witzel (übrigens künstlerischer Leiter der Jazz Rally), die Band Blue in Green, Philipp van Endert und die unverwüstliche Lous Dassen konnte man live erleben, dazu nur Kenner:innen bekannte Jazz-Truppen unterschiedlichster Stilrichtungen. Wie eine Besucherin am Sonntag prahlte: „Sieben verschiedene Konzerte habe ich geschafft.“ Damit dürfte sie einen Spitzenplatz in der Besuchertabelle einnehmen.

Stefanie Heinzmann hat sich so sehr gefreut

Als sie die erste Ansage machte, meinte Stefanie Heinzmann wörtlich: „Mir knittern die Zie.“ Und brachte damit ungewollt zum Ausdruck, dass ihr der erste Auftritt vor einer solchen Menge doch ein wenig Lampenfieber einflößte. Und wurde nicht müde, immer und immer wieder zu betonen, wie sehr sie sich freue und wie gut es ihr täte. Dabei wäre ihr Gig auch ganz ohne Worte für jedermann und jedefrau am Samstag im Zelt als Liebeserklärung an die Musik zu verstehen gewesen. Da muss die kleine Schweizerin mit der Rundbrille und den Stoppelhaaren gar nicht mit irgendwelche Hits glänzen, sondern kann sich ganz auf ihre phänomenale Soulstimme, auf ihre kongeniale Background-Sängerin und die großartige Band verlassen.

Ganz, ganz viele Zuhörende waren mit dem Oeuvre der Sängerin eh nicht vertraut und waren mehr oder weniger aus Neugierde gekommen. Vermutlich hat Stefanie Heinzmann nach diesem grandiosen Auftritt ein paar Hundert Fans mehr. Das liegt nicht nur an ihrem Gesangskönnen, sondern an allem, was sie singend und fast immer tanzend ausstrahlt. Da wirkt nichts inszeniert oder auf Showeffekt gebürstet, das kommt einfach ehrliche, emotionale Musik irgendwo aus dem Umfeld des Planeten R’n’B. Wobei: Als nach ein paar Songs zwei Monsterkonfettikanonen das Publikum mit übergroßen Papierkreisen überschüttete, war auch die Freude der Anwesenden groß.,

Vermisst: Button-Bummeln
Samstag-Nachmittag in der Altstadt. In den Gassen bauschen sich Jazz Rally-Banner unter blauem Himmel. Darunter drängt sich eine bunte, rummelige Mischung. Bücherbummler von der Kö treffen auf Scharen von vermutlichen 9-Euro-Städte-Touristen und die üblichen verkleidete Cluster von nervigen Junggesellen-Abschieden. Beobachtung: Abstand halten gelingt am besten mit möglichst vielen Einkaufstüten in beiden Händen.
Wie viele Jazz-Fans unter den Besuchern sind, ist nicht auszumachen. Früher konnte man sie am Button identifizieren. Man grinste sich zu auf dem Weg zum Zelt, zur nächsten Bühne oder Kneipe. Ein tolles Konzept, konnte man doch die meisten Veranstaltungen zu einem für Jazz-Festivals geringen Obolus nach Lust und Laune besuchen und wie die Jazzer bei der Jam Session, spontan einsteigen ins musikalische Geschehen. Button-Bummeln – wurde von vielen vermisst beim Wiedereinstieg der Jazz-Rally. [Inge Hufschlag]

Jasmin Tabatabai jagt Rehe

„Leise flehen meine Lieder“ – mit Franz Schuberts Ständchen eröffnet Jasmin Tabatabai ihr Konzert am frühen Pfingstsonntag-Abend. Seufz, aller Neuanfang ist schwer: „Schön, dass Sie der Jazz Rally die Treue gehalten haben“, freut sich Thomas Kötter, Geschäftsführer der Destination Düsseldorf mit Blick auf die überschaubare Anzahl der Zuhörer im Robert-Schumann-Saal. Es sind, wie bei Schubert, die Silbertöne, die die Schauspielerin und studierte Musikerin Jasmin Tabatabai, trifft, auch beim Publikum.

Jasmin Tabatabai bedankt sich fürs Zuhören

Jasmin Tabatabai bedankt sich fürs Zuhören

Vielseitig und mutig interpretiert sie Reinhards Meys „Männer im Baumarkt“ ebenso wie Hildegard Knefs eigentlich in deren unnachahmlichen brüchigen Melancholie hingesungenen Cole Porter-Songs („Sei mal verliebt“ „Das haut mich nicht um, aber du“). Bei Cole Porter punktet ja jeder Interpret allein mit den genialen deutschen Texten, die – nicht nur Tabatabai – besser findet als die amerikanischen. Ganz bei sich ist die Deutsch-Iranerin dann beim Titelsong ihrer 3. CD „Jagd auf Rehe“, auch hier einfühlsam begleitet vom exzellenten Quartett des Schweizer Saxophonisten David Klein. Ein persisches Liebeslied, das von Liebesleid handelt. Dagegen soll Jagen helfen. Er oder Sie spielt keine Rolle. Tabatabai: „Im Persischen brauchen wir kein Gendern“ – Sonderapplaus.

An „Schlafen gehen“, ihr klassischer musikalischer Schlusspunkt des Kinderbuchautors Martin Auer, war beim treuen Publikum aber noch nicht zu denken so kurz vor dem Höhepunkt der Jazz Rally: Jan Delay.

Jan Delay neckt Düsseldorf

Jan Philipp Eißfeldt ist eine Rampensau der besonderen Sorte, festivalerfahren und mit allen Wassern der Publikumsmotivation gewaschen. Das war schon in den ersten Minuten seines Auftritts vor der genialen Band mit dem blöden Namen Disko No. 1 und den fantastischen Background-Sängerinnen, die als Deladys firmieren müssen, zu spüren. Erstens nahm er gefühlt zehnmal das Wort „Düsseldorf“ in den Nuschelmund, zweitens erwähnte er mehr als beiläufig, dass er die Tage zu vor bei Rock im Park und Rock am Ring (dort vor 40.000 Menschen) aufgetreten sei und sich frage, ob das Düsseldorfer Publikum ihm ein „Rock in Düsseldorf“ bescheren könne.

Um es vorwegzunehmen: Ja, es konnte. Es gab Phasen, da übertönte der enthusiastische Lärm der Anwesenden locker die Ansagen des Herrn Delay. Mitgesungen wurde immer wieder laut und nicht allzu falsch, sodass der Jan das Grinsen kaum noch aus dem Gesicht bekam. Wo er sich doch öffentlich fragte, was er überhaupt auf einem Jazz-Festival verloren habe. Das Philosophieren über diese Frage zog sich durch den Abend wie ein Faden aus seiner himmelbauen Sporthose. Da erklärte er kurz Reggae zu seiner Sonderform des Jazz, und bei einer grandiosen Rock’n’Roll-Nummer konnte er sich den Hinweis darauf, dass die Jazzer im Publikum es möglicherweise nicht mögen würden, nicht verkneifen.

Türlich, türlich spielte er sich durch die bekannten Songs seiner Diskografie und mischte ein paar Stücke aus dem aktuellen Repertoire hinein. Beim Nena-Cover „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ hätte er sich das Singen auch sparen können, das übernahm das zahlende Kollektiv unter dem fein geschwungenen Zeltdach. „Diesen Auftritt hätten wir dreimal ausverkaufen können,“ meinte Thomas Kötter; tatsächlich lungerten bei Jan Delay deutlich mehr Zuhörer:innen ohne Ticket trotz leichte Regens draußen vorm Eingang herum, um wenigstens die Mucke aufnehmen zu können. Im Getümmel wurde dann auf Befehl des Vorsängers gehüft, dass die Platten im Zelt sich gefährlich bogen.

Wie leider inzwischen oft üblich beendete Jan Delay die Setliste schon nach einer knappen Stunde, um in den Zugabenteil überzugehen, der den Inhalt des Zettels endgültig zum Brodeln bracht. Und keine einzige Person im Hexenkessel stellte sich die Frage: „Ist das überhaupt Jazz?“

2 Kommentare

  1. Und noch nicht einmal aufgeführt ist das Konzert der Musiklegende Trilok Gurtu. Auch er nicht der puristische „Jazzer“, sondern Musiker, der überall auf der Welt seine Inspiration aufgesogen hat. Aus seiner Heimat Indien, aus Afrika („der wahre Jazz kommt aus Afrika“), Kollaborationen mit Legenden wie Charlie Mariano zusammen in der deutschen Rockband Embryo. Ob Latin oder zusammen mit Annie Lennox von den Eurythmics. Zusammen mit Joe Zawinul Mitbegründer von Weather Report. Und, und, und… Und so kam ich gegen 20:00 Uhr ins Hotel Nikko und stutzte wegen der geringen Besucherzahl. Aber das brachte mir wenigstens noch einen Platz in der ersten Reihe. Die meisten Zuschauer kamen dann erst kurz vor Konzertbeginn. Der Saal wurde also doch noch voll. Und keiner wurde enttäuscht. Bombenstimmung und ein Sound, der einem die Ohren übergehen ließ. So mag ich meine Jazz Rally.
    Legenden, Klassiker und Newcomer.
    Und nächstes Jahr gerne wieder mit Button und der Gelegenheit zum „Jazz-Bummel“.

    • Rainer Bartel am

      Das Konzert von Trilok Gurtu haben wir leider, leider nicht geschafft. Deshalb vielen Dank für den Hinweis auf diesen großartigen Musiker!