Porträt · Thilo Kürten betreibt seit gut 30 Jahren seine Werkstatt, zunächst in der Nähe des Marienhospitals, heute findet man Geigenbau Kürten in einem der Innenhöfe an der Schwerinstraße, auf dem kreativen Teil der Straße. Da wo man sich bei Da Forno sein Eis holt, bei Varia Vardar nach Büchern und schönen Dingen stöbert oder sich im legendären Café A-Gogo mit Freunden trifft. Er findet, der Geigenbau wird viel zu sehr mystifiziert, denn nach Thilo Kürten handelt es sich auch bloß um ein Handwerk. Konrad Buck hat im Mai ein längeres Gespräch mit ihm geführt, das wir hier dokumentieren. [Lesezeit ca. 9 min]

Unterstützt TD! Dir gefällt, was wir schreiben? Du möchtest unsere Arbeit unterstützen? Nichts leichter als das! Unterstütze uns durch das Abschließen eines Abos oder durch den Kauf einer Lesebeteiligung – und zeige damit, dass The Düsseldorfer dir etwas wert ist.

Eigentlich bin ich Wuppertaler, aber schon seit 40 Jahren Wahl-Düsseldorfer – und das sehr gern. Zwischendurch habe ich fünf Jahre in den Niederlanden gelebt, war dort Geselle bei Stam Vioolbouw in Utrecht. Nach Düsseldorf bin ich wegen meiner Geigenbauerlehre gekommen, und es war klar, dass ich hierher wieder zurückkehren würde. Ich hatte mich in eine Südkoreanerin verliebt, die damals in den Niederlanden Geige studiert hat. Inzwischen sind wir schon lange verheiratet und haben beide unser Leben der Musik gewidmet – sie Geige spielend, ich Geigen bauend und restaurierend.

Die Lehre zum Geigenbauer dauert drei bis dreieinhalb Jahre. Es folgen fünf Jahre Gesellenzeit und dann die Meisterprüfung, die aus einer fachtheoretischen Prüfung und dem Bau einer kompletten Geige besteht. Seit der Abschaffung der Meisterprüfung gibt es keine neuen Geigenbaumeister mehr, das ist vorbei. Meisterprüfungen gibt es nur noch in Bereichen, in denen man die Gesundheit anderer Menschen gefährden würde; als Gerüstbauer müssen sie Meister sein, als Geigenbauer nicht.

Feinarbeit an einem Restaurationsobjekt (Foto: Konrad Buck für TD)

Feinarbeit an einem Restaurationsobjekt (Foto: Konrad Buck für TD)

Um ehrlich zu sein: Wir bauen auch nur wenige neue Instrumente, den meisten Umsatz mache ich mit der Restauration. Es gibt einige Kollegen in der Stadt. Jeder versucht seine Nische zu finden. Manche verdienen hauptsächlich am Verleih von Instrumenten für Schüler, das wäre mir zu langweilig. Außerdem kann man nur billige China-Geigen verleihen, zum Beispiel für 20 Euro im Monat, da kann man keine wirklich guten teuren Geigen anbieten. Mit dem Verleih kann man sich ein ordentliches Basiseinkommen sichern. Wer gleich hunderte Leihverträge hat, muss sich ums Auskommen nicht sorgen – die Kollegen, die das machen, sind auch gut durch die Corona-Krise gekommen. Für mich wäre das nichts, ich sehe mich eben doch als Handwerker.

Eigentlich ist es nicht schlecht, wenn man selbst spielen kann. So wie Pankratius Reber, der einzige namhafte Geigenbauer, den es in Düsseldorf je gegeben hat. Der hat hier im 18. Jahrhundert ein paar Jahre gewirkt, bevor er dann nach Mainz weitergezogen ist. Der war im hiesigen Orchester fest angestellt. Ich wollte immer gern eines seiner Instrumente besitzen. Der hat wohl ein ziemlich großes, flaches Modell gebaut. Ein Kunde von mir besaß eines, aber der wollte es nicht abgeben. Schade… Düsseldorf ist überhaupt keine bedeutende Stadt für Instrumentenbauer. Da gab es im 17. Jahrhundert noch einen gewissen Martin Kaiser, einen Lautenmacher, der auch Celli gebaut hat, aber der war auch nur kurz hier, bevor er nach Venedig gegangen ist.

Thilo Kürten in seiner Geigenbauwerkstatt (Foto: Konrad Buck für TD)

Thilo Kürten in seiner Geigenbauwerkstatt (Foto: Konrad Buck für TD)

Um ein gut klingendes Instrument bauen zu können, muss man jede Menge Erfahrung, viel Gespür und ein gutes Ohr haben; außerdem ein paar physikalische Kenntnisse. So kann man abschätzen, wie aus diesem Stück Baum ein gut klingendes Instrument wird. Die Methoden und auch die Geschmäcker sind zum Glück unterschiedlich, sonst würden ja alle Geigen gleich klingen und gleich aussehen.

In den letzten 20, 30 Jahren ist der Geigenbau weltweit auseinandergegangen wie eine Schere, wie in der Gesellschaft auch: Es gibt immer mehr Arme und ein paar ganz Reiche. Da findet man in Rumänien und auch China ganz, ganz viele Geigenbauer, die Instrumente bauen, die ganz okay sind; und die werden immer billiger. Eine Geige plus Kasten und Bogen aus China kriegt man inzwischen schon für um die 100 Euro. Kann man sich denken, dass die Instrumente nicht wirklich dolle sind – aber immerhin kriegen die das hin. Das sind quasi die Armen…

Ausbessern des Lacks auf der Geigendecke (Foto: Konrad Buck für TD)

Ausbessern des Lacks auf der Geigendecke (Foto: Konrad Buck für TD)

Und dann ist da auf der anderen Seite eine Elite, so etwas wie die Stars unter den Geigenbauern. In Deutschland gibt es einen – keine Namen jetzt! –, beim dem liegt der höchste Preis für ein Instrument bei 63.000 Euro. Den Preis kriegt der nur dank guter Eigen-PR. Und die Kunden denken: Wenn das so teuer ist, dann muss es ja super sein. Vermutlich klingt eine solche teure Geige einigermaßen gut, aber wohl nicht besser als eine für 10.000 Euro. Aber, die Kunden sind so fasziniert vom Namen und vom Preis, dass die Schlange stehen. Da muss man sich über eine Künstleragentur bewerben, damit man eine solche Geige kaufen darf. Das finde ich pervers.

Und dann sind da noch die vielen Kollegen, gute deutsche Handwerker, die vielleicht nicht so gut im Marketing sind, bei denen kriegt man Meistergeigen für 3.000 Euro, von einem Geigenbaumeister hergestellt – die sind dann auch noch froh, wenn sie überhaupt 3.000 Euro kriegen. Es ist wie überall im gehobenen Handwerk: Es gibt nur noch sehr teuer und eher billig, die Mittelklasse bricht einfach weg.

Was die Unterschiede zwischen einer Geige für 100 Euro, einer aus der Drei-bis-zehntausend-Klasse und dem Superinstrument für 63.000 Euro sind? Na ja, aus einer 100-Euro-Geige kommen Töne raus. Die werden in Billiglohnländern von angelernten Leuten arbeitsteilig gefertigt. Zum Beispiel das Schneiden des F-Lochs. Das ist eine ziemlich öde Arbeit, da muss man mit einem ganz feinen F-Loch-Schnitzer immer wieder nachschneiden. Man hat eine selbstgemachte Schablone und schneidet und feilt nach. Dann tränkt man es mit Leim, damit das Holz stabiler wird, und dann wird nochmal nachgearbeitet. Ich habe gesehen, wie das in China gemacht wird. Da sitzt eine alte Dame im Schneidersitz auf dem Boden, hinter ihr eine große Halde an Geigendecken. Sie hat ein Stecheisen, die Löcher sind schon vorgebohrt, und sie sitzt den ganzen Tag und hackt die Löcher aus. Wo unsereins einen halben Tag dran sitzt, macht sie pro Tag Hunderte im Eiltempo und bei einem Stundenlohn von einem Euro.
Die Geigenbauer der Mittelklasse machen nichts anderes als die Showstars des Geigenbaus, betreiben aber nicht diese massive Selbstvermarktung.

Im Hintergrund: Mitarbeiterin bei Restaurationsarbeiten (Foto: Konrad Buck für TD)

Im Hintergrund: Mitarbeiterin bei Restaurationsarbeiten (Foto: Konrad Buck für TD)

In Ruhe betrieben, dauert der Bau einer Geige rund einen Monat. Wenn man mit Maschinen draufgeht, wird die Holzstruktur viel stärker beansprucht und es werden Zellen zerstört; wird dagegen von Hand aufgebohrt und gefeilt, passiert das nicht. Die Decke ist immer aus Fichte, der ganze Rest aus Ahorn. Auch der Steg und die Schnecke, nur die Wirbel nicht, die sind aus Hartholz. Ahorn hat sich in Sachen Tonqualität hervorragend bewährt.

Jede Menge alte Geigen (Foto: Geigenbau Kürten)

Jede Menge alte Geigen (Foto: Geigenbau Kürten)

Die Saiten erzeugen den Ton. Sie brauchen einen Resonator, damit es gut klingt. Man kann die Saiten natürlich auch über eine Kloschüssel spannen… Entscheidend ist aber die größtmögliche Resonanz. Je mehr es gibt, desto mehr Obertöne lassen sich erzeugen, und dann hat man eine Fülle wie bei einer Orgel. Sie können ja bei der Orgel einen einfachen Sinuston spielen, und je mehr Flöten man bei dem gleichen Ton dazu nimmt, je mehr Register man zieht, desto mehr Substanz hat man. Wenn man das ausmisst, ist es gar nicht lauter, aber es scheint lauter und voller, weil ganz viele Obertöne dabei sind.
Das macht das Timbre von einem Instrument aus; der Kammerton A klingt auf der Flöte anders als auf einem Cello oder einer Geige oder einem Klavier. Bei der Geige gibt es einen Riesenvorteil: Bei einem Streichinstrument kann man den Ton während des Spielens durch ein Vibrato modulieren und lange halten.

Faktoren, die die Tonerzeugung einer Geige bestimmen sind:

  • Modell: groß, klein, schmal oder hoch gewölbt – das macht viel aus;
  • Holzbeschaffenheit: Stärke – zu dick schwingt nicht, zu dünn klingt zuerst gut, wird aber irgendwann pappig, weil kein Widerstand da ist. Der Klügere gibt ja nach, also gibt das Holz nach, und der Ton kommt nicht zurück. Das ist die Helmholz-Resonanz, sie erzeugt die tiefen Töne, die kommen aus den F-Löchern rausgepumpt, darum hat ihre Größe natürlich Einfluss darauf, wieviel rauskommt: wenn es zu viel rauslässt, zu dunkel, oder zu wenig, zu hell. Der Boden, der führt beim Spielen die Pumpbewegung aus; Ist er zu dünn, dann gibt der dem Druck der Decke, die mit dem Boden durch den sogenannten „Stellstock“ verbunden ist, zu sehr nach. Wenn der Boden zu dick ist, gibt er gar nicht nach. Nur mit viel Erfahrung kann man da die richtigen Verhältnisse schaffen.
  • Lack und Oberflächenbehandlung: Beides ist sehr wichtig, weil sie mit entscheidend für die hohen, die höheren Töne sind. Denn deren Abstrahlung geht über die Flächen. Deshalb ist es übrigens kein Blödsinn, wenn ein Klavier hochglanzpoliert wird; das sieht nicht nur toll aus, sondern es strahlt auch mehr ab, je glatter die Oberfläche ist.

Insgesamt gibts hunderte Parameter, die für den Ton wichtig sind: Die Stegwand oder die Henkelsaite zur Befestigung des Saitenhalters am Instrument. Da experimentieren wir seit Jahren mit der Frage, welches Material wie den Ton verändert. Oder der Stachel: Stahl, hohl, Titan, Karbon… Bei jedem Instrument muss man, wenn man wirklich optimale Ergebnisse erzielen will, immer wieder ausprobieren. Kleinste Nuancen verändern den Ton und machen es dann aus, ob das Instrument optimal resoniert.

Worauf man beim Bau einer richtig guten Geige achten muss? Auf die Materialauswahl, also gut resonierendes Holz (Zu schwer bei gleicher Masse ist schlecht, man spürt das am Gewicht der rohen Hölzer, die klingen träger), gleichmäßiger Lauf ist von Vorteil, wenn also nicht viele Holzfehler drin sind. Dann das Modell: Für einen, der vor allem Barockmusik spielt, würde ich ein Stainer-Modell aus der Barockzeit nehmen. Und wenn ich einen hätte aus der russischen Schule – die mögen den dunkleren Ton –, dann würde ich ein Guaneri-Modell nehmen.

Eine Geige entsteht (Foto: Konrad Buck für TD)

Eine Geige entsteht (Foto: Konrad Buck für TD)

Dass eine Geige etwas taugt, sieht man schon an der Patina, und natürlich an der Machart, also wie fein sie gearbeitet ist. Man muss die verschiedenen Schulen des Geigenbaus unterscheiden können. Grundsätzlich ist alles aus dem Italienischen um ein Vielfaches mehr wert als alle anderen. Danach kommen die Franzosen, dann direkt deutsche, österreichische, tschechische und englische Geigenbauer. Es gab viele Geigen- und Lautenmacher, die kamen aus der Gegend von Füssen, und die sind dann im 17. und 18. Jahrhundert ausgewandert; einige nach Neapel, andere nach Venedig oder nach Rom. Hat man das Instrument eines Füssener Top-Geigenbauers aus dem 18. Jahrhunderts, zahlt man vielleicht 30.000 Euro dafür; wenn dieser Geigenbauer aber in Italien war, kann man gleich eine Null dranhängen. Die Preise für antike Geigen aus Italien sind immer sechsstellig.

Ich restauriere auch Bögen. Bogenmacher ist ein eigener Beruf, davon gibts nicht so viele wie von den Geigenbauern. Die sind alle in Bubenreuth bei Erlangen konzentriert. Und sie können nicht für jede Bogenbehaarung – so der Fachbegriff – nach Bubenreuth fahren, deshalb wird bei Geigenbauern viel selbst repariert. Nur neue Bögen bauen, das machen wir nicht.

Auch Geigenbögen werden restauriert und aufgearbeitet (Foto: Geigenbau Kürten)

Auch Geigenbögen werden restauriert und aufgearbeitet (Foto: Geigenbau Kürten)

Unsere Spezialität ist die Restauration und der Verkauf alter Instrumente. Die müssen nicht superteuer sein, aber eine Geschichte erzählen und eine schöne Patina haben. Solche Instrumente werden beim Altern einfach schöner. Das fasziniert mich am meisten. Zurzeit restaurieren wird mit sehr viel Aufwand eine Geige aus dem 18. Jahrhundert. Das ist wirtschaftlich nicht besonders interessant, die wird nicht superteuer zu verkaufen sein, aber sie ist ein dolles Instrument, das ziemlich kaputt war, was man aber erhalten sollte. Mit antiken Instrumenten befasse ich mich seit meiner Ausbildung am meisten, nicht nur mit der Restaurierung, sondern auch mit Versicherungsgutachten, Wertschätzungen, Zuschreibungen und so weiter.

Ich kann ja auch ein bisschen Geige spielen. Nach 8 Jahren Geigenunterricht meinte mein Lehrer seinerzeit: Also Musik studieren würde ich an deiner Stelle nicht, werde doch Geigenbauer. Vielleicht hatte er auch unsere Hobelbank im Keller gesehen… Inzwischen lasse ich natürlich lieber meine Frau spielen. Die kann das besser.

3 Kommentare

  1. Es ist ein Vergnügen den Geigenbaumeister Thilo Kürten wiederzutreffen, bei dem ich vor wenigen Monaten eine böhmische Geige des 19. Jahrhunderts gekauft habe, die ein bischen ähnlich ist wie dieser kleine Artikel hier: kein Schnickschnack, keine Mystifizierungen, nicht einmal ein „echter Falsch-Zettel“ im Instrument, dafür aber KLANGSUBSTANZ, die ich noch gar nicht ganz erforscht habe. Mit einem Wort: Ich habe Geigenbau Kürten bereits vorgemerkt für den Kauf eines passenden Bogens. Denn auch ich habe mich über CHINA-Geigen geärgert! Ja, eine absolut billige Billiggeige aus Rumänien, habe ich höchstpersönlich in Einzelteile zerlegt und im Mülleimer entsorgt, damit sie nie wieder musikalischen Schaden anrichtet! Denn ich wehre mich gegen die ZERSTÖRUNG der „musikalischen Breitenkultur“ – und stimme Ingolf Turban zu, dem aufgefallen ist, daß Musikunterricht flächendeckend AUSFÄLLT – obwohl ich selbst jetzt nicht wüsste, was ich am heutigen Gymnasium in NRW verloren hätte mit meinem abgbrochenen Musiklehrerstudium. Well,, hier in Neuss gibt es keine „Hausmusik-Szene“ -die ich dann aber im Bayerischen Fernsehen finde, also im „innerdeutschen Ausland“ -, damit ich nicht ganz auf den Hund komme! Ich fasse zusammen: Seit 1989 stirbt die ungarische Zigeuenrmusik in Ungarn aus und mit meiner neuen Kürten-Gegie habe ich soeben eine eigenständige Version von Brahms „Ungarischer Tanz no.4“ erstellt und bei der Nationalbibliothek abgeliefert. . Der MEISTER würde sagen: Ist das richtige WERKZEUG da, kann man auch was schaffen! In diesem Sinne verbleibe ich also im MUSIKALISCHEN WIDERSTAND gegen die ZUSTÄNDE und gegen unsere gotterleuchtete Regierung, die es wahrscheinlich nicht besser weiss – und nichts dafür kann!

  2. Ronald Steinert am

    Gut Beschreibung des Handwerks, informative Bilder. Großartiger Artikel. Mehr davon.
    Bin selber (E-) Gitarrist, aber höre gerne auch andere Musik.