Fortuna, das heißt Sichaufregen, Sichärgern, Sichfreuen, Euphorie und Depression, Meckern und In-den-Himmel-loben. Fortuna ist nie lauwarm, sondern immer leicht überhitzt, oft am Rande der Hysterie, und jedes F95-Team spielt sofort besser, wenn die Fans wegen einer Fehlentscheidung wüten oder weil ein gegnerischer Spieler einen der ihren gefoult hat. Das war so im Niedergang, das war erst recht so in den zehn Jahren Daueraufstiegs. Und jetzt haben zwei trübe Tassen im Vorstand das Sagen, die das Wort „Emotion“ vermutlich nicht fehlerfrei buchstabieren können. Da hat ein Vorstandsvorsitzender, der bisher als Marketingverwalter seine goldenen Brötchen verdient hat, die Stirn, öffentlich nach dem Leitbild der Fortuna zu fragen oder gar eine Umfrage anzudrohen. Ey, Kall, wo lebst du eigentlich? Mal auf der Süd gewesen? Mal im SCD-Bus auswärts gefahren? Mal auf Augenhöhe mit Fans geredet? Da ist das Leitbild mit allen Sinnen zu erfassen. Aus einer Flughöhe von 250.000-Euro-Jahresgehalt sieht man sowas nicht. Zumal wenn man einer der begnadetsten Phrasendrescher ist, den dieser Verein je erlebt hat. Die Lieblingsphrase dieses Mannes heißt „nachhaltig“. Ob er ermessen kann, wie nachhaltig er seit seinem Amtsantritt der Fortuna geschadet hat? Dem drögen Schulte muss man solche Vorwürfe nicht machen, bei dem reicht es, die handwerklichen Fehler aufzuzählen. Aber wer hat den Schulte denn haben wollen? Richtig, nach allem was man weiß, war es der Kall, der scharf auf den Emotionslegastheniker aus dem Sauerland war. Nach dem Motto: Gleich und gleich gesellt sich gern.

Was die systematische Herstellung einer Söldenertrümmertruppe in der Realität bewirkt, konnten das knappe Dutzend Fortuna-Freunde, die sich diesen trüben Nachmittag beim Fortunagucken im Vossen an der Helmholtzstraße versaute, durch schlichtes Abzählen errechnen. Als Ihr einigermaßen frustrierter Berichterstatter vor ziemlich genau zwei Monaten zusammen mit Stadion-DJ Opa an gleicher Stelle ebenfalls an einem Sonntag die Partie in Heidenheim sah, war die Kneipe gesteckt voll. Alle Tische mit Blick auf einen der drei Bildschirme oder die Beamer-Leinwand waren reserviert, und den erwähnten Herren blieb ein Winzstehtisch an der Stelle, die zuvor immer von einem Spielautomaten besetzt war. Durchs Vossen schwappte die Fortuna-Liebe, es wurde mitgefiebert, gestöhnt, gejubelt, debattiert und auf die launische Diva gesoffen, was der Zapfhahn hergab. Und heute? Elf Getreue, von denen einer sich die Zeit an seinem Tablet-Computer vertrieb, um das Elend nicht sehen zu müssen.

Das ist ein Trend, denn die kaum 25.000 Zuschauer beim letzten Heimspiel sprechen dieselbe Sprache. Noch vor einem halben Jahr war es schier unmöglich, mal spontan auf der Stehtribüne zugucken zu können. Jetzt klaffen riesige Lücken in allen Blöcken der Süd, sogar im 42er. Die Plätze direkt über dem Rasen sind fast leer. Und es steht zu befürchten, dass sich weniger als 20.000 Unentwegte das nächste Desaster beim Heimspiel gegen Absteiger VfR Aalen antun werden. Wenn es überhaupt 20.000 werden an einem Freitag um 18:30 – womöglich an einem schönen Maienabend, den man sich nicht vermiesen lassen möchte. Seit dem sinnlosen Rauswurf von Trainer Olli Reck hat sich die Stimmung in der Stadt spürbar gedreht. Wurde man als jemand, der auch alltags die Farben der Fortuna trägt, in den letzten Jahren oft und immer freundlich angesprochen, mehren sich nun die Leute, die einen nur noch mitleidig angucken. Ja, die Anzahl der Kinder, die irgendwelche Trikots irgendwelcher Erstligisten tragen, steigt deutlich an – zuungunsten von Fortuna-Trikots, versteht sich.

Das Duo infernal macht also kaputt, was vor allem die aktiven Fans seit 2002 aufgebaut haben. Und das mit Argumenten, in denen das Unwort „Professionalisierung“ gern vorkommt. Ey, möchte man, rufen, dann professionalisiert doch mal die Kommunikation des Vereins, das Merchandising, ja, das Marketing ganz allgemein. Wo sich doch Dr. Kall unwidersprochen „Marketingfachmann“ nennen lässt, wo er doch immer nur ein Verwalter war. Stattdessen interpretiert Sportvorstand Schulte das Zauberwort dadurch, dass er ein bindungsloses Söldnerheer zusammenkauft und dann auch noch öffentlich behauptet, er tue doch alles zum Wohle des Vereins. Fort mit dem!

Und das Spiel?
Man geht ja als langjähriger Anhänger des deutschen Fußballmeisters von 1933 immer mit einem von nur zwei möglichen Gefühlen in ein Spiel. Entweder freudig erregt und optimistisch, oder mit der Haltung „Gibt ja eh wieder nix“. Heute stellte sich das bei Ihrem Beobachter beides nicht ein. Nach der systematischen Fußballverödung vom vergangenen Wochenende wollte er nur eins: Ein spannendes Spiel. Und wurde wieder enttäuscht. Dieser Effekt lässt sich nicht an den real kickenden Spielern festmachten, dieser Effekt ist systemtisch – man könnte ihn auch das Kall-Schulte-Syndrom nennen, das den alten Manni-Breuckmann-Spruch „Leute holt die Antidepressiva raus, die Fortuna spielt“ wieder aufleben lässt.

Will man die Niederlage doch an einzelnen Söldner festmachen, dann muss man den Herrn Schmitz zum Vollversager der Partie erklären, weil er bei allen drei Toren der Fürzchen falsch stand. Dann muss sich der Herr Liendl aka ML10 fragen lassen, was ihn dazu motiviert, sein unzweifelhaft vorhandenes Talent so systematisch zu vergeuden. Ein Herr Pohjanpalo muss sich fragen lassen, ob er wirklich glaubt, dass seine Stolperei für eine Fußballkarriere reicht. Wenn der Herr Bomheuer in der Defensivreihe der sicherste Mann war, dann ist das eine Bankrotterklärung für den Rest. Herr Fink feierte offensichtlich seinen neuen Vertrag und war dem Spiel gegenüber merkwürdig indifferent. Beim Ihlas ist zu befürchten, dass die Teilnahme an der Trümmertruppe ihm ein Trauma beschert. Was denkt sich eigentlich dieser Herr Halloran, wer und wo er ist? Lumpi, ja, Lumpi spielte, was Lumpi ebenso spielt – völlig unabhängig von den Typen, die um ihn herum auch Rot tragen. Ob Herr Unnerstall den Frust, dem man ihm bei der Fortuna systematisch und grundlos verschafft hat, je wird überwinden können. Herr Tah wird ein ordentlicher Zweitliga-IV bleiben, egal wo er antritt. Axel brachte eine Art wütenden Schwung in die Sache, der aber an seinen Mitspielern wirkungslos abprallte. Bei Herrn Schauerte wünscht man sich, man möge ihm so eine Moderationskarte mitgeben, auf der steht: „Ich bin ein Außenverteidiger. Ich soll außen verteidigen.“ Jemanden vergessen? Egal…

Dass der Buyo sich mordsmäßig über seinen ersten Sieg in dieser Amtszeit bei der Spvvg freute, geht okay angesichts einer wirklich harmlosen Mannschaft, die man eigentlich hätte an die Wand spielen können. Und vermutlich hat die Fortuna diese Loser-Truppe vor dem Abstieg gerettet. Könnte sein, dass sie auch Aalen am kommenden Freitag ein Erfolgserlebnis beschert und so die Sechzger in den wohlverdienten Abstieg treibt. So könnte man die Saison ja eigentlich abhaken, hätte die ganze Scheiße seit dem Spätherbst eben nicht derart langfristige Folgen, die sich jetzt schon in aller Nachhaltigkeit abzeichnen. Deshalb noch einmal: Schulte und Kall – fort mit euch!

2 Kommentare

  1. Die lokale Presse haben sie aber noch im Griff, die Professionellen.

    • Rainer Bartel am

      Wie, „lokale Presse“ gibt’s noch? Wer soll das sein? Die RP-Einheitsredaktion, die alles füllt, was noch Papier bedruckt in dieser Stadt?