Kaum zu glauben, Folks, ich war am Samstag zum ersten Mal in meinem Leben auf Schalke. Ja, man sagt „auf Schalke“. Mein Kumpel Fritz, der mich eingeladen hat, konnte mir das auch nicht erklären. Muss damit zusammenhängen, dass sie im Ruhrgebiet sowieso komisches Deutsch reden. „Kommt von den Polacken,“ sagt Fritz, dessen Urgroßvater selbst aus Polen nach Gelsenkirchen gekommen ist nach dem ersten Weltkrieg. Fritz und ich kennen uns seit der EM 2000 in Holland und Belgien. Damals waren wir noch beide aktiv und haben bei einem Match in Rotterdam Seite an Seite gegen die Holländer gekämpft – lange her. Jetzt sind wir alt. Als er hörte, dass ich jetzt Fortuna-Fan bin, schrieb er, ich muss zum Spiel nach Schalke kommen. Hab ich gemacht.

Fritz hat die ganze Zeit vom 4:1 beim Pokalspiel geredet. Wir standen in der Nordkurve, ziemlich weit oben und etwas seitlich von den Schalke-Ultras. Ich persönlich kann mit Ultras nichts anfangen, ich bin da mehr so auf der Oldschool-Seite. Mein Kumpel sagt, er hat sich über die vielen Jahre daran gewöhnt. Mir geht das Getrommel auf die Nerven. Bengalos find ich dagegen schön. Beides gibt es bei uns in England ja nicht. Bei uns wir geshoutet und gesungen. Bei uns sehen die Supporters aber auch anders aus. Wie Kerle. Die Ultras auf Schalke sind ja mehr so Bubis mit schnellen Schuhen. Fritz kennt viele von denen.

In unserer Ecke standen die älteren Lads. Die haben aber nicht supportet. Dafür viel Bier getrunken, sehr viel Bier. Ich persönlich halte das, was die da verkaufen, nicht für Bier – ich mag ja auch zuhause in Leeds kein Lager. Geschmackssache. Dann hat unser Dodi das erste Tor geschossen, aber der Referee hat Videobeweis gemacht, und dann galt der Treffer nicht. Da fingen die Schalke-Leute auf der Nordtribüne schon an zu schimpfen. Die alten Säcke um uns herum wachten auf als Dodi dann später den Strafstoß reinhaute. Und zur Pause haben die dann ihre eigene Mannschaft ausgepfiffen.

Fritz meint ja, dass die Fans das Recht haben, ihre Mannschaft auszupfeifen, wenn die scheiße spielt. Finde ich nicht. Und ich kennen das auch nicht. Bestimmt Tausend Spiele von United habe ich in Leeds und auswärts gesehen, nie haben wir die Spieler ausgepfiffen. Das sind ja unsere Jungs, die kann ich doch nicht auspfeifen. Fritz hat mir das dann erklärt, versucht jedenfalls. Also, sagt er, es geht um die Ehre. Die Kicker sollen doch glücklich sein, für Schalke spielen zu dürfen – das sei eine Ehre. Und wenn sie scheiße spielen, dann beschmutzen sie die Ehre. Oder so.

Ich glaub, wir Engländer verstehen was anderes unter Ehre. Klar, sagt Fritz, dieses Ding mit der Ehre, das kommt mehr so aus Italien. Da küssen die Spieler ja nach einem Tor auch gern das Vereinswappen auf dem Trikot. Und der Ultra-Stil kommt ja auch aus Italien. Deshalb. Kann ich alles nicht wirklich nachvollziehen. Ja, ja, ich weiß, auch bei unseren Weißen in Leeds spielen kaum noch Jungs aus der Stadt, sondern Spieler, die sie gekauft haben, die von irgendwo her sind. Die spielen da auch nicht wegen der Ehre, sondern für Geld. Wenn die unseren Stil kapieren, dann arbeiten die auf dem Platz – so wie unsere Väter in den Gruben und Fabriken gearbeitet haben. Die waren zwar auch stolz auf ihre Arbeit, aber das hatte nichts mit Ehre zu tun.

Die bilden sich ja auf Schalke viel auf den Bergbau ein, der ja gerade vorbei ist im Ruhrpott. Die singen immer dieses Lied und haben den Spielertunnel mit Plastik verkleidet, damit der aussieht wie so ein Streb im Bergwerk. Finde ich übertrieben. Mein Dad hat immer gesagt: Arbeit ist Arbeit, und Leben ist Leben. Fritz erzählt ja immer von seinem polnischen Urgroßvater, der Bergmann war. Von italienischen Bergarbeitern im Ruhrgebiet hat er noch nie gehört. Und da merkte ich, dass das alles bei den Schalke-Ultras nicht zusammenpasst.

Nach dem 2:0 für die Fortuna, wurden die Leute auf der ganzen Tribüne wütend. Besonders die Ultras. Die hatten sowieso schon ihre Fahnen aufgerollt und nicht mehr getrommelt und gesungen. Jetzt waren die nur noch am Brüllen. Also, wenn wir in England bei einem Spiel wütend werden, dann auf den Gegner und vor allem auf den Schiedsrichter. Dann das 3:0 und auch noch das 4:0. Je weiter unten die standen, umso mehr sind die ausgerastet. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die wollten alle mit diesem Rumgemache ins Fernsehen. Besonders natürlich die Vorsänger. Die finden sich ja wichtig und sind in Gelsenkirchen weltberühmt.

Dann ging der Schalke-Trainer zur Tribüne und hat so eine Handbewegung gemacht als wenn er sich entschuldigen wollte. Die Ultras haben gebrüllt wie eine Affenherde. Und Bierbecher geschmissen. Die alten Säcke in unserer Ecke, die waren da schon längst weg. Und dann sind die Vorsänger auf den Rasen zu den Spieler. Und die habe sich dann von denen beschimpfen lassen. Dem Captain haben sie dann die Binde abgerissen. Da musste ich lachen. Das sah so albern aus, so kindisch, als wenn Jungs von neun Jahren einen Kriegsfilm nachmachen. Fritz war das peinlich. „Komm, lass uns gehen,“ sagte er.

Im Fernsehen habe ich dann gesehen, dass diese Geschichte überall gezeigt wurde. Und in den Fußballsendungen durfte jeder Blödmann was dazu sagen. Sogar dieser Pocher, der ja angeblich Komiker ist. Warum der in einer Fußballsendung sitzt, weiß ich auch nicht. Der sagte zu der Sache mit der Binde, das sei too much – was Dümmeres habe ich dann von keinem mehr gehört. Ja, sagte irgendein anderer Blödmann, da muss man die Ultras verstehen. Und einer fragte ins Mikrofon, ob die Ultras im Fußball zu viel Macht haben. Dann hab ich ein bisschen gegoogelt und gefunden, dass es das mit der Binde in Italien schon vor vielen Jahren gab, da haben die Ultras den Spielern sogar die Trikots weggenommen. Wie bescheuert ist das denn? Die hätten das Wappen beschmutzt oder nicht verdient oder so. Hey, wo sind wir denn? Im Krieg oder beim Fußball?

Ein Kommentar

  1. Bei den Ultras bin ich bei Dir, Nick. Das gilt auch für unsere bei Fortuna. Die Kapitänsbinde haben die dem Schalker wegegneommen, weil sie diese nach der Vizemeisterschaft verteilt haben. Mit irgendeinem Spruch drauf, auch was mit Ehre, wenn ich das richtig in Erinnerung hab. Erst die Binde „verteilen“ und dann wieder abnehmen, finde ich auch ziemlich bescheuert. Kann ich mir bei unseren Ultras noch nicht vorstellen.

    Scheint so, als wäre der Fußball in England noch urwüchsiger, traditioneller als bei uns. Andererseits soll da ja alles so teuer sein (Eintritt z.B.), dass dann ja viel traditionelles weggefallen sein müßte. Für mich wäre es mal interessant, wie so die Unterschiede in beiden Ländern aus der Sicht eines Fans sind, der beide Seiten kennt. Ich weiss z.B. gar nicht, ob England auch eine Ultraszene hat. Im Stadion meine ich und nicht in der Kneipe (wegen der angeblichen hohen Eintrittspreise).