Als mir ein lieber, alter Kollege beim Heimspiel gegen Pauli kurz vor Anpfiff eine Nachricht schickte, er sei samt Tochter auch im Stadion, war ich verblüfft. Berthold (Name von der Redaktion geändert) geht zur Fortuna? Berthold, der sich bisher nicht für Fußball interessiert hat, und wenn, dann höchstens für die Nationalelf oder solch abseitige Vereine wie Eintracht Frankfurt, steht in der Kurve? Wo er mich noch vor gut anderthalb Jahren fragte, in welcher Liga die Fortuna gerade spielt. Meine Verblüffung wuchs, als er am folgenden Montag mit großer Dringlichkeit anrief, ob ich ihm zwei Karten für die Partie beim MSV besorgen könne.

Die mit der Arroganz der langjährigen Allesfahrerei gesalbten Anhänger werden jetzt verächtlich „phööö“ machen und kurz das Wort „Eventies“ knurren, aber ich habe mich – okay, mit ein wenig Misstrauen gewürzt – über Bertholds neue Begeisterung für F95 aufrichtig gefreut. Seien wir ehrlich: Bis auf ganz, ganz wenige Düsseldorfer haben wir doch alle irgendwann einmal angefangen, zur Fortuna zu gehen. Irgendwann sind wir zum ersten Mal „auswärts gefahren“. Irgendwann kam die Dauerkarte. Und irgendwann haben wir so viele Geschichten rund um den Verein unseres Herzens erlebt, dass wir einfach dazugehörten.

Eventies kommen und gehen

Eventies, um dieses böse Wort zu gebrauchen, das sind die Leute, die nur so lange der Fortuna treu bleiben, solange die Mannschaft erfolgreich ist. Das haben wir ja rund um den verkorksten Aufstieg 2012 in aller Tiefe und Breite erlebt. Wer erinnert sich nicht an ausverkaufte Spiele, an einen Zuschauerschnitt jenseits von 40.000? Aber, mal ehrlich, waren wir Fans, die wir schon in der dunklen Zeit, in der Phase davor oder gar in den großen Jahren der Pokalsiege dabei waren, nicht auch ein bisschen stolz darauf, dass die Fortuna in Düsseldorf wieder angesagt war? Dass die Kinder auf den Straßen nicht mehr in diesen blöden Trikots der Bayern, des BVB oder gar von BMG herumliefen, sondern stolz in Rot und Weiß mit dem F95 auf der Brust kickten?

Eigentlich stellt sich nur die Frage, warum die Düsseldorfer in dieser tollen Saison so spät erwachen. Die These, dass „die Leute“ nur kommen, wenn die Fortuna ein klasse Spiel nach dem anderen abliefert, trägt nicht, denn den potenziellen Zuschauern fehlen ja die Kriterien dies zu beurteilen – vor allem, wenn sie auf die Zusammenfassungen der Spiele in den diversen Fußball-TV-Formaten angewiesen sind. Nein, es wird einen Punkt geben, an dem diejenigen, die immer in die Arena gehen, etwas ausstrahlen, dass andere anzieht. Wenn dazu dann noch der Erfolg kommt, wenn die Medien positiv berichten und die glorreiche Fortuna Spitzenreiter ist, beginnen die „Eventies“ sich zu interessieren, ziehen in Erwägung, vielleicht doch mal zu einem Heimspiel zu gehen – vor allem, wenn ein in irgendeiner Hinsicht attraktiver Gegner am Start ist.

Attraktive Gegner

So kam es vor knapp zwei Wochen zu einer erfreulichen Zuschauerzahl von über 37.000. Immer noch finden viele nur mittelmäßig am Fußball (unterhalb der ersten Liga) interessierten Menschen den FC St. Pauli irgendwie hip & cool. Kaum ein anderer Club in der zweiten Liga hat ja auch ein solch klar definiertes Image, mit dem sich Leute identifizieren können – oder es total ablehnen. Die Hysterie rund um das Pokalspiel gegen Gladbach vor ausverkauftem Haus wies in eine ähnliche Richtung. Dass bei Partien gegen Sandhausen, Heidenheim und Aue keine 40.000 Zuschauer den Weg nach Stockum finden, nimmt nicht weiter wunder.

Nein, nicht nur mein Kumpel Berthold hat dieser Tage die Fortuna für sich entdeckt. Plötzlich werde ich von Freunden, die schon lange nicht mehr bei Spielen unseres Vereins live vor Ort angesprochen. Ob ich Karten für die Südtribüne besorgen könne, ja, jetzt für das Spiel gegen Bielefeld am Freitag. Andere, die weit weg in der Diaspora leben und früher regelmäßig kamen, erscheinen auf einmal wieder an ihrem Stammplatz im Block. Firmen beschaffen wieder Tickets als Goodie für ihre Mitarbeiter. Und das Interesse wächst auch bei denjenigen, die nie im Stadion waren und auch nie hingehen würden. Eine Nachbarin, die mich noch 2013 nach jedem Spiel fragte „Na, wie ist es ausgegangen?“ und das in den letzten vier Jahren nicht mehr tat, hält mich auf einmal wieder an der Haustür auf, fragt nicht nur das Ergebnis ab, sondern will mit mir über das Spiel diskutieren.

2012er-Euphorie wird einmalig bleiben

Zugegeben, der Hype war 2012 deutlich heftiger. Da stand aber der Aufstieg am Ende eines stetigen Weges von der vierten Liga bis zu den legendären Relegationsspielen gegen die Hertha. Schon der Aufstieg 2009 hatte eine gut 25 Jahre lang nicht erlebte Euphorie in der Stadt ausgelöst, und allen schien klar, dass es weiter gehen würde. Diese Zuversicht, diesen Rausch – wie es ein hochaktiver Fan kürzlich nannte – wird die Fortuna aller Wahrscheinlichkeit nie wieder erleben dürfen. Deshalb herrscht in Sachen Aufstieg immer noch eine gesunde Skepsis – auch bei den Düsseldorfer, die es nicht so mit dem Fußball und eigentlich auch nicht mit der Fortuna haben.

2 Kommentare

  1. Bilker Mädchen am

    Unvergessen der Mai 2009 gegen Bremen II. Supersonniger Tag, ich stand wie immer mit ner Fläsch Bier am Fortuna-Büdchen und habe mir die euphorischen Massen zu Rad, zu Fuß und im Auto angeschaut, die an diesem Tag für eine ausverkaufte Hütte gesorgt haben. Ich hatte Pippi in den Augen, weil ich mich so gefreut habe, dass die ganze Stadt Fortuna war. Auch nach dem Spiel in der Altstadt….ich weiß nicht, ob ich das SO schon einmal erlebt habe.
    Und ich ahne so ein bisschen, wie es am Sonntag des letzten Heimspiels gegen Kiel aussehen wird.
    Ähnlich, ganz ähnlich.
    Und ich freue mich dann auf deinen Bericht und die dazugehörigen Fotos.

  2. kogolastro am

    Jaja, es fängt langsam an, das Britzeln. Erst gehst du mal mit Freunden, dann allein mit Familie. Freust dich, wenn du Karten bekommst für ein bestimmtes Spiel. Sagst „wir“, wenn Fortuna gewinnt. Und wunderst dich, dass Leuten auffällt, dass du „wir“ sagst. Irgendwann bist du stolz auf deinen schönen, neuen, roten Mitgliedsausweis. Weil dir klar wird, dass du eins gemeinsam hast mit Bürgern dieser Stadt, die alle auf ihre Art wunderbar einzigartig, schwierig, klasse, beschämend, schön oder schaurig sind: Fortuna. Du summst die Hymnen, hoffst auf Punkte, fragst Nachbarn, bist du auch da heute.