War das ein Spiel? Bin so froh, dass ich in Düsseldorf geblieben bin. Wollte eigentlich dieses Wochenende Sheila in Leeds besuchen. Aber so war besser. Meine Kumpels in Block 3 waren vollzählig anwesend. Zum ersten Mal nach der Ferienzeit. Wie immer war ich der einzige, der nicht im Sommerurlaub war. Jedenfalls hatten vor dem Anpfiff alle was zu erzählen. Ingo sprach über die neuen Spieler, besonders über Kujovic, den findet er klasse. Öppes berichtete davon, wie viele Typen ihn wegen einer Pokalkarte angehauen haben. Holger war noch ganz begeistert vom Spiel in Sandhausen, und Peter schwärmte vom Spiel bei der TuRU. Nur der Bernd, der wollte unbedingt was vom Urlaub auf Sardinien erzählen. Wir ließen ihn nicht. Denn F95 hat immer Vorfahrt.

Ein paar Tage vorher habe ich vom Chefred ein neues Wort gelernt: „Kiez“. Haben am Telefon lange drüber diskutiert. Im Englischen wäre das am ehesten die „Neighbourhood“ oder einfach die „Hood“, wie irgendwelche Testosteron-Rapper sagen. Und ich dachte immer, Kiez gäbe es nur in St. Pauli, und es wär was mit Nutten. Na ja, sagte der Chefred, bisschen verhipstert ist der Begriff inzwischen schon. Und dass er ihn selbst nicht verwenden würde. Ich mag das Wort, weil es sich ja anhört wie Leeds, nur mit K. Und auf Leeds lass ich ja nix kommen. New Wortley ist das Viertel, in dem ich großgeworden bin. Siehst du, meinte der Chefred, „Viertel“ ist schon ganz nah dran an Kiez. Meistens aber ist ein Stadtteil oder ein Viertel nicht gleich ein Kiez. Manchmal sind es bloß ein paar Häuserblocks bei einem Platz oder einem Park oder einer U-Bahnstation. Okay, dann wären vielleicht die Straßen rund um die Town Street mein Kiez, also der Town-Street-Kiez.

Das Besonders an einem Kiez, lernte ich, ist, dass er eine besondere Atmosphäre hat, irgendwie… Und dass sich die Leute so ziemlich alle kennen. Bei uns kannten sich zumindest alle Lads, und wer nicht für United war, der wurde nicht alt im Kiez. Wenn wir loszogen zum Spiel, fuhren wir mit dem Bus zur Church in Holbeck und gingen die letzte halbe Meile zu Fuß. Manchmal waren wir mehr als 50 Kumpels aus dem Kiez – von den alten Männern über unsere Dads bis zu den jungen Burschen wie ich auch mal einer war. Natürlich kannten sich diese Fünfzig alle untereinander. Aber wir kannten auch alle, die auf dem Stand bei uns standen, und auch die Jungs aus der Nähe. Und das war eine verdammt bunte Mischung.

Vielleicht wird Fortuna mein Kiez hier. Inzwischen kenn ich ja die zehn, zwölf Kumpels aus dem Block 3. Aber ganz viele andere Leute, die da oder nebenan Dauerkarte haben. Man grüßt sich, und dann erzählt mir zum Beispiel der Peter: Der da eben genickt hat, das ist übrigens der Sowieso, der ist Jugendtrainer bei Eller 04, strenger Typ, aber bei den Jungs sehr beliebt. Und die dünne Blonde, das ist die Wirtin vom Ofeneck in Lichtenbroich. Klar, dass einer von meinen Leute auch den anderen was über mich erzählt. Und so wird das Ganze zum Kiez. Und weil es beim Fußball ist und in Düsseldorf, also im Rheinland, sitzen da die verschiedensten Leute zusammen – verschiedenes Alter, verschiedene Berufe, aus verschiedenen Ländern, manche mit viel Geld, manche mit nicht so viel Geld. Und alle lieben die Fortuna.

Vermutlich ist es das, was einen Kiez ausmacht, dass die Leute ihren Kiez lieben und sich nicht vorstellen können, woanders zu sein. Okay, ich kann mir immer noch vorstellen, lieber zu United zu gehen als zu F95, aber ich kann mir nicht vorstellen, irgendeinen anderen deutschen oder englischen Club außer diesen beiden zu lieben. So viel steht fest.

[Anmerkung des Chefreds: Auf dem Titelbild ist Nick mit drauf – weil ja immer gefragt wird, wer das ist und wie er aussieht…]

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