Die früheste Erinnerung an einen Fußballlegionär, die ich habe, ist die an Albert Brülls bzw. seinen Wechsel zum FC Modena im Juli 1962. Wir hörten es im Radio, aber unser Vater konnte uns auch nicht genau erklären, worum es ging. Denn die Fußball-Bundesliga gab es ja erst ein paar Wochen später. Also wussten wir es nur so, dass ein Spieler aus seinem Verein aus- und in einen anderen Verein eintrat, um dort zu kicken. Mit der Einführung der Bundesliga kamen dann der Vertrags- und der Lizenzspieler, die legal Geld fürs Pöllen kassieren durften, wobei Vertragsspieler dies nur im Nebenerwerb neben einem ordentlichen Beruf tun durften. Mit anderen Worten: Profikicker gab’s nicht. Also wurde besagter Brülls durch seinen Wechsel nach Italien zum Profi. Heute sind alle Spieler der oberen drei Ligen zwangsweise Lizenzspieler und nach geltenden Statuten Berufsfußballer. Das bedeutet, dass sie mit dem jeweiligen „Verein“ einen Vertrag abschließen, in dem festgelegt wird, dass sie für diesen „Verein“ zu kicken haben und dafür gewisse Bezüge erhalten. Außerdem wird die Laufzeit des Vertrags vereinbart. So ist es noch heute, aber die Bosman-Entscheidung von 1995 änderte fast alles.

Und zwar weil der Europäische Gerichtshof entsprechend des Grundsatzes von der freien Wahl des Arbeitsplatzes entschied, dass Spieler nach dem Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit ablösefrei wechseln können, wohin sie wollen. Das wurde vorher anders gehandhabt:

Bei jedem Spielerwechsel in der Fußballbundesliga muß über die Höhe von drei Zahlungen verhandelt werden: über eine Ablösesumme, die der den Spieler erwerbende Verein an dessen bisherigen Verein zu zahlen hat; ein Handgeld, das der Spieler erhält, und das Spieler-Jahresgehalt.
Die Ablösesumme soll die in den Spieler investierten Ausbildungs- und Förderungskosten ausgleichen und wird zwischen verkaufendem und kaufendem Verein ausgehandelt. Ihre Höhe bemißt sich am Interesse des alten Vereins an dem Spieler und dessen Marktwert. Sie ist der Höhe nach unbegrenzt. Mit dem Handgeld wird der Spieler am Umsatz seines Verkaufs beteiligt. Es beträgt jeweils bei einem Zwei-Jahres-Vertrag ein Fünftel der Ablösesumme. Um zu verhindern, daß ein Verein durch die Forderung astronomischer Ablösesummen einen Spielerwechsel blockiert, ohne den Spieler ausreichend zu entschädigen, hat der Fußballbund festgelegt, daß auch bei Nichtzustandekommen des Transfers der alte Verein das sich aus seiner Ablöseforderung ergebende Handgeld zahlen muß. Das Gehalt wird zwischen Verein und Spieler frei ausgehandelt. [Quelle: Spiegel 09.06.1977]

Transfer statt Wechsel

Ein Verein – ohne Anführungszeichen, denn damals handelte es sich bei (fast) allen Teilnehmern der Bundesligen um echte Vereine und keine ausgelagerten Spielbetriebs-GmbHs – konnte also den Wechsel eines Spielers woanders hin blockieren. Was auch gern und oft geschah. Weil das aber nur innerhalb des Geltungsbereichs des DFB galt, wechselten blockierte Kicker eben ins Ausland. Und weil das kompliziert und bei begehrten Spielern auch kostspielig war, hielt sich die Zahl der Transfers in relativ engen Grenzen. Das wichtigste Druckmittel eines wechselwilligen Spielers gegenüber dem ihn blockierenden Club war die nachlassende Motivation. Damals hieß es immer: Lass den gehen, bei uns reißt der sich kein Bein mehr aus. Geld spielte dagegen kaum eine Rolle – 1990/91 wurden von allen Vereinen der ersten Bundesliga zusammen zum ersten Mal mehr als 40 Millionen DM für Transfers ausgegeben. Transfererlöse spielten als Säule der Spielbetriebsfinanzierung praktisch keine Rolle. Die Fälle, in denen klamme Clubs ihre Superstars für satt Kohle innerhalb der deutschen Ligen an einen reichen Verein verkauften, summieren sich zwischen 1962 und etwa 1992 auf nicht einmal 800. Außerdem sprach man bis zum Bosman-Urteil immer noch vom „Wechsel“ und nicht vom „Transfer“.

Sprachlich ist das ein gewaltiger Unterschied! Wechseln ist eine aktive Tätigkeit des betroffenen Spielers („Ich wechsle zu AS Rom“); das Wort „Transfer“ steht dagegen ganz allgemein für das Übertragen materieller oder ideeller Werte. Und so wird das auch verstanden: Ein „Verein“ überträgt das Nutzungsrecht an einem Spieler an einen anderen. Der Kicker ist zur Ware geworden – wie der Sklave auf dem römischen Sklavenmarkt.

Der menschliche Wert

Der Einschnitt durch die Bosman-Entscheidung war so gewaltig, dass sich auch das Denken der Fans änderte. Vorher sagte kein Freund des getretenen Balls zu seinen Kumpels: Ey, den müssten wir holen! Wenn es zu einem Sensationswechsel kam, nahmen die Fans das mit Freude zur Kenntnis. Bestenfalls wurde – und das auch schon (fast) immer – über die Aufstellung debattiert. Aber auch die Methodik der Trainer war noch nicht darauf ausgerichtet, sich einen passenden Kader zusammenkaufen zu lassen. Spektakuläre Spielerkäufe wurden vom Präsi getätigt, um den Fans was zum Bewundern zu geben – und der Coach musste damit klarkommen.

Und dann kamen die Soccer-Simulationen für den Computer. Die orientierten sich in der Anfangszeit voll und ganz an den amerikanischen Ligasportarten. Der Hauptteil des Spiels befasste sich mit der Zusammenstellung eines Kaders auf der Basis von statistischen Werten, die im Programm für jeden Spieler hinterlegt waren. Die simulierten Spiele waren dann reine Rechnerei: Hatte Jupp 1.712 Defensivpunkte und Udo 2.122 Offensivpunkte, errechnete das Programm unter Einbeziehung eines Zufallsfaktors das wahrscheinlichste Ergebnis. Wer die „besten“ Spieler ergattert und die richtige Balance zwischen Abwehr und Angriff gefunden hatte, wurde Champion. Und das prägte das Denken der Fußballfreunde massiv.

Und deshalb beginnt pünktlich mit dem Ende einer Saison der tägliche Transfer-Terror in den sozialen Medien. F95-Fan Felix M. stellt dann z.B. die steile These auf, dass nur dann ausreichend Dauerkarten verkauft würden, wenn der Verein tolle Spieler „einkauft“ – als ob irgendwer die Bestellung der DK von der exakten Zusammensetzung des Kaders abhängig machen würde. Viele fordern, „der Vorstand“ solle mal „so richtig Geld in die Hand nehmen“ – als ob man bei der Fortuna damit nicht sehr, sehr schlechte Erfahrungen gemacht werden. Sascha C. sehnt sich nach Spieler, die schon mal bei der Fortuna waren, Christoph K. möchte jede Menge Kicker von den Absteigern kaufen. Namen werden gehandelt, und jeder ist dank des Springer-Mediums transfermarkt. de ständig auf dem Laufenden.

Was aber weniger bekannt ist: Die dort und woanders veröffentlichten Gerüchte, aber auch die genannten Beträge sind zu einem Großteil falsch und werden von Vereinen und Spielerberatern bewusst lanciert, um Einfluss auf die tatsächlichen „Preise“ zu nehmen. Bar jeder Grundlage sind alle sogenannten „Marktwerte“, die nicht auf der Basis tatsächlich getätigter Transfers beruhen. Wenn beispielsweise gewisse Medien den Marktwert eines Spielers hochsetzen, weil der für die DFB-Auswahl nominiert ist, dann ist das bloß Spekulation. Apropos: Das Transfer-Theater heutiger Tage hat eigentlich weniger Ähnlichkeit mit einem Sklavenmarkt, als vielmehr mit der Zockerei an der Börse – Aufpumpen und Zerplatzen von Blasen inklusive.

2 Kommentare

  1. A.Flamme am

    Sklavenmarkt
    WITZIG lieber R.Bartel
    so möchte ich auch Sklave sein!

    2 Stunden am Tag arbeiten. Na ja mit Trainingslager, Spielvorbereitung 5 Stunden. Als Sklave zwischen 20.000 Euro und !.000.0000 Euro im Monat. Bei einem Wechsel zwischen 20 % und 75 % von der Ablöse mit Verdienen. Ablösefrei 6 RICHTIGE im Lotto.

    • Rainer Bartel am

      Demnächst gibt’s hier mal die Lebensgeschichte eines dieser hochbezahlten Sklaven, die nur zwei Stunden am Tag arbeiten müssen – damit auch Ihre naive und sozialneidische Sichtweise ein paar Risse bekommt.