Machen wir uns nichts vor: Sandhausen war der glorreichen Fortuna insgesamt überlegen. Und trotzdem hat F95 knapp zu Recht gewonnen. Der winzige Unterschied hat einen Namen: Raphael Wolf. Und dass nicht nur, weil er einen – zugegeben extrem schwach geschossenen – Strafstoß nicht nur abwehrte, sondern hielt, sondern weil er weitere zwei Hundertprozenter (einer davon vom eigenen Kollegen) zunichtemachte sowie in diversen Situationen allein durch sein Stellungsspiel Chancen der Sandhäuser beeinträchtigte. Welches Glück hat die Fortuna, diesen wunderbaren Tormann, den sie in Bremen nicht mehr wollten, verpflichten zu können! Machen wir uns außerdem nichts vor: Genau solche Spieler, die über die Saison betrachtet die beste Leistung ihrer Karriere bringen, braucht man um aufzusteigen. Und damit kommen wir zum zweiten Mann des Spiels in der Mannschaft, die in blöden Karnevalstrikots (Sind wir eigentlich sowas wie der Äff-Zeh?) auflaufen mussten:

Jean Zimmer! Der kurze Blonde schafft es immer und immer wieder und ganz allein aus sich heraus, Räume zu schaffen, in denen sich der fortunistische Sturm entfalten kann. Und im Gegensatz zu gewissen anderen Außenverteidigern im rotweißen Kader grätscht er bei Bedarf in der Defensive weg, was wegzugrätschen ist. Das schafft er durch eine konstante Konzentration, ein gutes Auge, sehr gute Technik am Ball und seine enorme Geschwindigkeit. Als ob Speed das Geheimnis des Erfolgs wäre, glänzen zwei weitere Kollegen in Sachen Schnelligkeit: Benito Raman und seit Neustem Genki Haraguchi. Ja, dieses Trio ist schnell wie der Blitz.

Geschwindigkeit ist nicht alles

Was Speed anrichten kann, zeigte sich schon in der ersten halben Minute, in der zum ersten Mal und Gottseidank nicht zum letzten Mal aufblitzte, zu welchen spielerischen Leistungen diese Mannschaft in der Lage ist. Nach Steilpass von Zimmer rannte Raman den noch nicht ganz wachen Sandhäusern davon, kurvte in den Sechzehner und zog ab. Den Schuss konnte ein schwarzweiß Gestreifter gerade noch zur Ecke klären. Und dann blitze auf, wie sehr sich das Team bei Standardsituationen verbessert hat. Der Eckstoß kam optimal in Richtung Elferpunkt, Andre Hoffmann blitzte heran, stieg hoch und hämmerte die Pille per Birne in die Bude. Dass dies ein Ergebnis einstudierter Situationen war, gab er im TV-Interview zu.

Nach dem 1:0 blitzte dann bei den Rotweißen erst einmal so gut wie nichts auf. Wenn’s gut lief, agierte man rund um den Sandhäuser Strafraum in Handballmanier nach dem Motto „Auf der Suche nach der Lücke“, wenn’s schlecht lief, bot man dem Gegner am eigenen Sechzehner dann solche Schnittstellen, die zum Torschuss einluden. Die offizielle Statistik listet insgesamt 10:7 Torschüsse zugunsten des SVS, und das entspricht genau der Beobachtung vor Ort und live. Besonders in der ersten Halbzeit – auch das beweist die Statistik – vernachlässigten die Jungs von Trainer Funkel zudem die linke Angriffsseite, was a) dazu führte, dass Niko Gießelmann wenig Offensivdruck entfalten konnte und b) dass Haraguchi immer wieder in die Mitte zog oder gar als dritter Mann auf dem rechten Flügel zu finden war – also insgesamt wirkungslos blieb.

SVS statistisch überlegen

Auch bei den Flanken übertrafen die Gäste das F95-Team bei Weitem, wobei sich der geneigte Beobachter fragt: Flanken? Gab’s überhaupt Flanken? Rouwen Hennings, der wie üblich ackerte und tat und machte, bekam jedenfalls in den gesamten 90 Minuten nicht eine serviert und blieb so natürlich ohne jede Torchance. Statt des bewährten Rezepts „Flach und scharf von der Grundlinie nach innen“, versuchten es die Außenstürmer und ihre Helfer von der AV-Fraktion immer wieder selbst, indem sie in den Sechzehner zogen. Da boten sich selbst den ordentlich aufspielenden Doppelsechsern Florian Neuhaus und Marcel Sobottka und dem einmal machtvoll heranstürmenden Kaan Ayhan mehr Schussmöglichkeiten. Apropos Ayhan: Irgendwer muss diesem tollen Fußballer mal beibringen, die Klappe zu halten. Nicht alle Schiedsrichter sind in diesem Punkt so schmerzfrei wie der Herr Jöllenbeck, den unsere Nummer 5 ein paar Mal ziemlich heftig anschrie.

Übrigens hatte Ayhan auch noch Glück: Sein absichtliches Handspiel im eigenen Strafraum, das den Elfer in der 74. Minute auslöste, hätte auch mit einer glatt roten Karte bestraft werden können (wenn nicht sogar müssen). Aber auf solchen Dusel sollte sich der Bollerkopp nicht verlassen. Womit wir bei der Überraschung in der Aufstellung kommen. Vielen Auguren war klar, dass Robin Bormuth mal wieder eine Gedenkpause bräuchte, nachdem er in den beiden vorigen Spielen doch manchmal übernervös wirkte und erheblich viele Fehlpässe produzierte. Deshalb rechneten die meisten damit, dass Friedhelm Funkel erneut Adam Bodzek in die Innenverteidigung stecken würde. Stattdessen stellte er Andre Hoffmann auf – und der glänzte nicht nur durch seinen feinen Kopfballtreffer, sondern ein solides, fast fehlerfreies Spiel in der Defensive. Und so sehr Gießelmann in Halbzeit Eins außen vor blieb, so sehr übernahm er in der zweiten Spielhälfte die Initiative auf der linken Seite. Da blitze mehrfach auf, welche Offensivgefahr er ausüben kann, wenn er im Spielaufbau berücksichtigt wird.

Schlimmes Scheppern von Köpfen

Kurz nach Wiederanpfiff schepperte es dann gewaltig. Nicht in einem der Tornetze, sondern mitten auf dem Platz, wo Haraguchi und sein Sandhäuser Gegenstück aus vollem Lauf beim Versuch, das Ei per Kopf zu spielen, mächtig zusammenrasselten. Da blitzte ein großer Schrecken quer durchs Stadion, denn die Aktion sah saugefährlich aus. Beide Opfer fielen zu Boden, und während Genki wenigstens auf eigenen Füßen in die Kabine kam, musst der Schwarzweiße mit der Trage vom Platz transportiert werden. Immerhin war das medizinische Personal blitzschnell vor Ort; solche massiven Kopftreffer haben ja schon manchen Spieler an den Rand des Todes gebracht. Nach diesem Unfall lag eine gewisse Bleischwere über der Partie, und es dauerte gut zehn Minuten, bis die Sache wieder Fahrt aufnahm.

Für den angeschlagenen Haraguchi kam Takashi Usami – ein völlig anderer Spielertyp, der zudem jedes Mal einige Zeit braucht, bis er sich ins Team einfügt. So ganz verständlich war der Wechsel auch nicht, weil mit Usami alle Flügelarbeit an Gießelmann hängen blieb. Ohnehin wird es zunehmend schwierig, eine adäquate Aufgabe für den japanischen Leihspieler zu finden. Weder sucht er Zweikämpfe, noch entwickelt er Spielideen, und ein Außenstürmer ist er schon gar nicht. Da bleiben nur seine gute Passquote und seine tolle Schusstechnik. Das sieht bei Harvard Nielsen, der in der 72. für Neuhaus kam, schon anders aus. Der ist sofort da, findet seinen Platz und zeigt vor allem ein großes kämpferisches Herz. Warum die halbe Doppel-Sechs vom Platz geholt wurde, blieb unklar, denn am System änderte sich nicht viel, außer dass Käpt’n Oliver Fink weiter vorne agierte.

Endlich Widerhall von den Tribünen

Mit dem bereits erwähnten Strafstoß für den SVS in der 75. Minute änderte sich blitzartig alles. Bis dahin waren die Gestreiften auch in Hälfte Zwo die in den meisten Belangen bessere Mannschaft, die eindrucksvoll bewies, weshalb sie so hoch in der Tabelle steht. Die Situation: Leichter F95-Hühnerhaufen bei einer Ecke, die vom kurzen Pfosten an den langen verlängert wird, wo ein Sandhäuser Stürmer so gut wie frei und einschussbereit herumstreunt. Ayhan ahnt die Aussichtslosigkeit, die Situation legal zu klären, und hat einen Geistesblitz – er geht zum Kopfball hoch und verlängert seinen linken Arm immer mehr, sodass er mit der daran angebrachten Hand die Pille ins Aus lenkt. Handspiel im Strafraum gleich Elfmeter. Keine Diskussion. Oder doch: Die Nummer 5 meinte ganz kurz behaupten zu müssen, er habe das Ei nicht mit der Flosse berührt.

Es folgt der Auftritt des Raphael Wolf. Einen – zugegeben – eher schwachen Schuss in seine rechte untere Ecke fängt der Teufelskerl mit einer blitzartigen Reaktion. Und als ob das Fortuna-Publikum IMMER solche Aktionen braucht, um wachzuwerden, fanden die Versuche der Ultras, die Leute auf der Süd und auf den Tribünen zu animieren, endlich Widerhall. Plötzlich war Emotion im Kessel, plötzlich stimmten viele ein, plötzlich war das, was man Support nennt, wieder auf dem allseits gewünschten Niveau. Was beweist, dass Stümmung nur passiert, wenn möglichst viele mitmachen. Es war noch zweimal Wolf, der die Zuschauer in der 81. und 84. Minute in Verzückung versetzte. Jedenfalls war der SVS erheblich näher am Ausgleich als die Fortuna an einem zweiten Treffer.

Platzen statt blitzen

Insgesamt waren es per Saldo und in Summe kaum zehn Minuten, in den die Jungs im rotweißen Karnevalstrikot aufblitzen ließen, was sie können. Und das ist eigentlich zu wenig. Die Frage stellt sich, ob ein Spitzenteam bis zum 34. Spieltag mit so etwas durchkommt. Vermutlich nicht. Deshalb täte jetzt ein richtiger souveräner Sieg in einer spielerisch und kämpferisch guten Partie jetzt not. Vielleicht wird das schon am kommenden Samstag gegen Union Berlin möglich, vielleicht auch erst im nächsten Heimspiel gegen Fürth. Spätestens am 4. März, wenn St. Pauli zu Gast ist, muss der Knoten aber wieder platzen.

Ein Kommentar

  1. Ich habe fast die ganze zweite Halbzeit auf unserer Tribüne befürchtet, dass so eine Spielweise nicht bis zur 90. Minute gut gehen kann. Zum Glück hatte ich unrecht und nahm die gesitreichen Kommentare meiner Sitznachbarn hin.

    Für den Rest der Saison wird das auch meiner Meinung nach nicht reichen. Auch nicht für einen derzeit möglichen Aufstieg, Punkte Vorsprung hin oder her. Es muss jetzt bald mal ein sicherer und überzeugender Sieg her. Selbstbewusstsein und Willen haben die Jungs ja.

    Und ja, Zimmer muss eigentlich gehalten werden, egal in welcher Liga. Da lohnt sich doch das aufmachen der Schatztruhe.