Eigentlich war die Überschrift „Gegen Gräfe kann man mal verlieren“ geplant, aber der pomadige Schiri, der die glorreiche Fortuna schon so oft verpfiffen hat, trug keine Schuld an der Niederlage. Um zu verstehen, warum die Fortunen gegen die Pillekusener verloren haben, gilt es, das Geheimnis der völlig unterschiedlichen Halbzeiten zu lösen. Leider unterscheiden die offiziellen Statistiken nicht zwischen den beiden Spielhälften, aber allein die Tatsache, dass der Doppeltorschütze der Werkself überhaupt nur zwei Torschüsse abgegeben hat, sagt einiges aus. Genau wie die Anmerkung des gegnerischen Trainers, 0:8 Torschüsse in Hälfte Eins gesehen zu haben. Allein: Weder dem brillanten Benito Raman, noch dem rührigen Rouwen Hennings gelang es, das Ei in der Leverkusener Hütte unterzubringen.

Also lehnten sich die Anhänger der glorreichen Diva in der Pause zufrieden zurück, und die Südkurve war sich sicher, dass die Mannschaft die Tore eben vor den Stehrängen erzielen würde. Tat sie aber nicht. Denn traten die Leverkusener in den ersten 45 Minuten uninspiriert, langsam und leicht verunsichert auf, kamen sie hochmotiviert aus der Kabine und zeigten schnell, dass sie die mit Abstand besseren Einzelspieler auf dem Rasen hatten. Traditionell benennt Ihr sehr ergebener Berichterstatter die gegnerischen Spieler nicht, hier sei eine Ausnahme gemacht: Tah, die Bender-Zwillinge, Kohr, Havertz, Bailey, Volland und auch Keeper Hradecky sind einfach sehr, sehr gute Spieler. Und doch: In der ersten Halbzeit schaltete Marcel Sobottka den hochgelobten Havertz komplett aus, folgte ihm auf Schritt und Tritt und war im Denken und Handeln jederzeit schneller. Ähnlich erging es dem Dauerläufer Bailey, der wechselweise von Jean Zimmer und Matthias Zimmermann am Spiel mit dem Ball gehindert wurde.

Wirbelnde Fortunen in Halbzeit Eins

Und gleich zu Beginn wusste die gesamte Werkself nicht wie ihnen geschieht. Da traf sie nicht auf einen verschüchterten Aufsteiger, der sich lieber bisschen hinten reinstellt, sondern auf selbstbewusstes Team, das genau ein Ziel hatte: zu gewinnen. Während noch der Stimmungsboykott lief (von dem noch die Rede sein wird), hatten die Fortunen schon drei fette Dinger auf den Schlappen und leider wieder einen Tormann in Topform gegen sich. Da war ein Angriffswirbel zu sehen, den es seit den Zeiten von Rösler, Beister & Konsorten in der Aufstiegssaison 2011/12 nicht mehr gegeben hat, Kombinationen, bei denen der Sportschau-Kommentator ins Schwärmen kam und eine taktische Disziplin, die als Eins mit Sternchen durchgeht. Dabei hatte Trainerfuchs Funkel mal wieder ein anderes System gewählt, das am ehesten als 4-1-4-1 zu erkennen war und eigentlich nur anderthalb Überraschungen beinhaltete. Und zwar der Wechsel zwischen Zimmermann und Zimmer, der dieses Mal eindeutig in der Mittelfeldkette angeordnet war, und die Aufstellung von Kevin Stöger in der Startelf. Die 1 zwischen den Ketten markierte Sobottka, der über die gesamten 90 Minuten betrachtet bester Düsseldorfer war, während Hennings auf bewährte Art den Wühler in der Spitze gab.

Apropos: Bisweilen vergisst der gute Rouwen ja vor lauter Wühlerei, dass er als Mittelstürmer fürs Knipsen zuständig ist. Das war gestern zumindest in der ersten Halbzeit anders, in der er es auf drei seiner vier Torschüsse brachte. Der vierte war dann sein knallhart verwandelter Elfer in der Nachspielzeit, über den auch noch zu sprechen sein wird. Der Motor in der Offensive war aber eindeutig Raman, der rannt und trickste und dribbelte und den jungen Tah bisweilen ziemlich als aussehen ließ – in Hälfte Eins… Denn nach der Pause änderte sich alles. Das begann schon damit, dass die Bayer-Herren schon vollzählig auf dem Rasen versammelt waren, als weder Schiri Gräfe & Kollegen, noch die Fortunen überhaupt im Spielertunnel zu sehen waren. Der 04-Trainer berichtete später, sein Kapitän habe seinen Mitspielern in der Kabine heftigst den Marsch geblasen und so wohl die dramatische Veränderung im Kampf- und Spielverhalten erzielt.

Tumult an der Eckfahne

Vielleicht war aber auch schon ein Tumult an der Eckfahne das Signal, dass es so nicht weitergeht. Da waren Raman und dieser 19-Jährige aneinandergeraten, und der trat im Aufstehen ziemlich heftig und absolut platzverweistauglich nach, was erst Nico Gießelmann und dann Kaan Ayhan auf den Plan rief und eine Massenversammlung in der Ecke nach sich zog, bei der wiederum dieser Bailey – ebenfalls rottauglich – alles wegschubste, was kein weißes Trikot anhatte. Körperlich mitgemischt hatte eigentlich jeder, während sich Gräfe das Ganze aus der Entfernung betrachtete. Die Verteilung der gelben Karten war denn auch eher zufällig, wobei es die beiden Platzverweiskandidaten auf Leverkusener Seite und merkwürdigerweise Ayhan traf. Normalerweise beflügelt ein solcher Emotionsausbruch ja die Fortunen, dieses Mal schien es genau umgekehrt.

Jedenfalls drehten die Pillenvertreter nach dem Wiederanpfiff alle Ventile auf und machten schnell und radikal Dampf. Die Männer in Rot schienen überrascht und bekamen es nicht hin, mit derselben Konzentration und Konsequenz zu agieren wie zuvor. Im Gegenteil: Die Abwehr begann zu schwimmen – eigentlich zum allerersten Mal in dieser Saison. Da war der erste Treffer für den Gegner beinahe vorprogrammiert. Eine Ecke von links fliegt über alle hinweg und trifft einen völlig blank stehenden Kusener, der das Ei perfekt Richtung linker Pfosten köpft, wo der Werkself-Knipser mühelos einlocht. Vermutlich hat in keinem der bisherigen Saisonspiele irgendein Spieler des Gegners so frei im Fortuna-Sechzehner herumgestanden. Wobei nominell Raman für dessen Bewachung zuständig gewesen wäre. Dabei hatte der bis dahin seine Defensivaufgaben diszipliniert und erfolgreiche ausgefüllt. Leider traf es ihn in der 58. Minute so bös, dass er ausgewechselt werden musste.

Unterschiedliche Spielertypen

Für ihn kam Dodi Lukebakio, eigentlich das, was man einen „positionsgetreuen Wechsel“ nennt, wobei ja beide auf beiden Flügeln wirbeln können und auch gern mal die Seiten wechseln. Und doch sind die beiden jungen Belgier völlig verschiedene Spielerpersönlichkeiten. Während Raman viel läuft und verschiedene Arten Pässe und Flanke in die Mitte schlägt, ist Dodi ein klassischer Fummler, der gern mehrere Gegner auf sich zieht, dann durch sie hindurch oder an ihnen vorbeizieht, um möglichst bis an die Grundlinie zu kommen, um den Ball aus dem Rücken der Defensiven Richtung Elferpunkt zu befördern. Dabei ist er, das zeigte sich auch gestern, oft zu eigensinnig, und übt seine Abwehraufgaben eher unwillig aus. Nicht wenigen Fortunafreunden fällt bei der Beobachtung Lukebakios immer auch der Name Davor Lovren ein, der im Fall des Falles möglicherweise der bessere Ersatz für Raman ist.

Reden wir über Alfredo Morales und Kevin Stöger, zwei ebenfalls ganz unterschiedliche Spielertypen. Während Morales ein Dauerläufer vor dem Herrn ist, der vom Fleiß und dem Kampfgeist lebt, erweist sich Stöger dann doch eher als Künstler mit dem starken Willen zum Spielmacher – diesen Anspruch konnte er gestern aber erneut nicht einlösen. Dabei hatte man doch so darauf gehofft, dass er den zurück zu BMG gezogenen Florian Neuhaus würde ersetzen können. Reden wir über die Viererkette unter der Regie von Kaan Ayhan, der wieder ein souveränes Spiel abgab und mit dem immer unauffälligen Marcin Kaminski in der Innenverteidigung perfekt harmoniert. Interessant ist zu beobachten, wie sich die Außenverteidiger schlagen. Bei Gießelmann ist es immer vollkommen davon abhängig, wie sehr ihn sein Gegenspieler defensiv bindet. Ist das der Fall, findet er vorne einfach nicht statt – so war es gestern. Zimmermann als AV aufzustellen, ist insgesamt keine gute Idee, weil dessen Kreativität dann im Mittelfeld fehlt. Reden wir über die eingewechselten Spieler. Außer Dodi für Raman kamen noch Marvin Ducksch und Takashi Usami spät rein. Wobei Ducksch Stöger ersetzte, was ein wenig mehr Offensivdruck versprach, der durch den Tausch von Zimmer zu Usami noch einmal erhöht wurde. Zur Entfaltung kamen beide aber nicht, weil die Leverkusener nach dem zweiten Treffer ganz auf Verwaltung umgestellt hatten – und das können sie gut.

Schöne Wechselgesänge gegen den Verband

Immerhin rund 40.000 Menschen, viele von ihnen berufstätig, schafften es, an einem Mittwochabend um 18:30 in die Arena zu kommen, darunter ziemlich viele aus der Stadt, die eigentlich ein Chemiewerk ist. Das ist erfreulich und bewundernswert, zeigt aber auch den Mangel an Verständnis der Verantwortlichen bei der DFL, die diesen Termin ja nur ausgeguckt haben, weil so noch mehr TV-Kohle zu holen ist. Dass die Spieltagszerstückelung so schon die englischen Wochen erreicht hat, ist einfach nur abartig. Und so hatten sich die Fanszenen der Liga auf die Aktion „Ihr werdet von uns hören. Oder auch nicht.“ verständigt, die aus einem zwanzigminütigen Stimmungsboykott bestand. Sie richtete sich aber auch gegen den DFB und seine immer wieder arrogante Art, Gespräche mit den aktiven Fans zu verzögern, abzubrechen und die Ergebnisse zu ignorieren. So begrüßten dann nach der 20. Minute die Fans auf beiden Seiten den Verband mit einem gepflegten „Scheiß-DFB“-Wechselgesang. Dass selbst auf der Süd, wo massenhaft erklärende Zettel hingen, einige Hirne überhaupt nicht verstanden hatten, worum es ging, irgendwas anstimmten und/oder „die Ultras“ beschimpften, ist traurig, aber wahr. Jedenfalls herrschte in der Arena zwanzig Minuten lang eine Stimmung wie beim Länderspiel.

Sagen wir so: Die ersten 45 Minuten stellten die beste Halbzeit dar, die das Team von Funkel, Klein und Bellinghausen in dieser Erstligasaison gespielt hat. Dass – ähnlich wie in Stuttgart – fette Chancen nicht zu Hütten führen, könnte sich langsam zum Problem auswachsen. Aber darin ist das Trainerteam ja geübt, Schwächen zu erkennen und diese im Training intensiv zu bearbeiten. Wieder gab es unter den Männern in Rot keinen Ausfall, auch der bisher nicht erwähnte Michael Rensing (der nicht allzu viel zu tun hatte) war erneut auf der Höhe seines Schaffens. Die Partie zeigte aber auch, wie schnell ein konzentriert agierender Gegner mit den klar besseren Einzelspielern die glorreiche Fortuna besiegen kann – das sollte der Mannschaft eine Lehre sein. Die wird am Samstag in Nürnberg in einer neuen Rolle antreten müssen, nämlich als klarer Favorit, und alles andere als ein Sieg gegen den Glubb wäre eine Enttäuschung.

8 Kommentare

  1. Eine schöne Zusammenfassung, wie ja eigentlich immer. Eine erfreuliche erste Halbzeit ohne den verdienten Lohn. Eine Leverkusener Mannschaft die eigentlich schrecklich langweilig spielte, außer in den 10 Minuten in denen die zwei Tore fielen haben sie nicht einmal zeigen können welches Potential sie eigentlich hätten, wenn sie es denn nutzen würden. Trotzdem wird sich mein Wunsch nächstes Jahr in der 2. BL Leverkusen gegen den KFC Uerdingen spielen zu sehen wohl nicht erfüllen. Obwohl ich es dem Unsympathen Bailey eigentlich gönnen würde, das Nachtreten, die Zerstörung eines Düsseldorfer Konters durch halten der weichen Birne mit schneller Spontanheilung kurz vor Ende der Partie reichen da schon aus. Bei unseren Stürmern bewundere ich Hennings für sein unermüdliches Anlaufen des Gegners und seine wohl recht hohe Frustrationstoleranz. Er spielt selbstlos und mannschaftsdienlich. Bei Ducksch ist mir noch nicht so ganz klar wie er seine Aufgabe sieht. Gefühlt trabt er mehr als dass er rennt ohne richtige Einbindung in die Mannschaft, die Ballannahmen -das aber auch bei Hennings- möchte ich mal nicht so recht kommentieren. Hier ist so viel Potential und somit noch reichlich Arbeit für Funkel nebst Trainerteam. Ich hoffe für die beiden, dass der Knoten in Nürnberg platzt, und der Aufstiegsschwung nicht frühzeitig verpufft. Zum Schiedsrichter gibt es wenig zu sagen, einen Elfmeter gegeben den man geben konnte, aber nicht zwingend hätte geben müssen, einen Elfmeter nicht gegeben den man hätte geben müssen (Handspiel Kohr bei einem Freistoß am ende der zweiten Halbzeit). Also irgendwie scheint der Interpretationsspielraum des Videoassistenten recht groß zu sein, oder aber viele Fans -und ich auch- sind zu blöd das zu verstehen

  2. Ich war von der HZ 1 auch sehr, sehr angetan, aber ich neige dazu, Fehleinkäufe frühzeitig zu benennen: Das Potenzial der Herren Duksch (den ich niemals, niemals geholt hätte!) und Stöger (den ich unbedingt geholt hätte!), die die Zappelphilipp-Fraktion um Raman und Zimmer ergänzen (beide ganz gut, aber nicht mehr), erscheint mir für Liga 1 arg limitiert. Kann man das lange genug aussitzen?
    Pillekusen hatte jederzeit die Ruhe weg, auch unter massivem Druck; Fortuna zappelte in HZ 2 völlig übermotiviert, als ob der Geist von Schauerte durchs Stadion waberte.
    Klaus Allofs brauchte einst eine ganze Saison, aber Duksch wird wie Terodde oder Hennings (immer sehr wertvoll) nie im Leben ein Allofs.
    Stöger, blasiert wie er ist, wirkt wie Lindl II. – leider nur ein Neuhaus-Schatten. Er kann schon wieder weg.

    Muss man wissen, Fortuna.

    • Christian Albert Otto am

      Stöger möchte ich noch nicht gänzlich abschreiben. Zumindest ist er bisher nicht so socialmedia-arrogant aufgefallen wie ML6 😀

      Bei Ducksch muss sich das Trainerteam wohl noch entscheiden wie sie ihn am besten einsetzen. Muss vielleicht auch mal statt Hennings von beginn an ran. Überzeugt hat er jedenfalls noch nicht.

    • RubensTuna1638 am

      nüchtern betrachtet, muss man irgendwie schweren Herzens zustimmen… „Stand jetzt“:), kann sich bekanntlich sehr schnell ändern, Beispiele gibt es genug…
      Aber, selbst mit den größten Stars bei 100% bleibt ja Mannschaftssport:
      Mit einem eingeschworenen Team, wo jeder für jeden immer da ist,
      ist so manches auch mit einem ziemlich limitierten Budget möglich, oder?
      Nicht lange grübeln, weiter hart arbeiten, sich einfach auf jedes BL Spiel für unsere liebe Tuna freuen, befreit spielen, stets 100% bringen und die nächsten Siege mit einer vereinten Unterstützung von uns allen kommen schon…

  3. Christian Alber Otto am

    Also Halbzeit 1 war wirklich das beste was man seit langem von Fortuna gesehen hat. Die Pillendreher wirkten baff angesichts dieser Spielfreude und vor allem unermüdlichen Nachsetzen der Fortunen. Spätestens in Minute 42 beim rotfälligen Nachtretten mit anschließender Rudelbildung war klar wie genervt die Vizekusener von der Mannschaft in Rot-Weiß waren.

    Zu Herrn Gräfe bleibt zu sagen: Ein paar kleine Nonsens Entscheidungen zu Ungunsten der Fortuna zu Beginn von Halbzeit 2 haben den Spielfluss der Fortuna gehemmt und nicht wie ausgewechselt auftretende Leverkusener. Das durfte wohl nicht so weitergehen wie in Halbzeit 1, Fortuna waren einfach zu gut und das musste unterbunden werden 😉

  4. Nö.
    Einspruch.
    Der Schiri lag in der Regel richtig.
    Hat viel laufen lassen … gut so!