Analyse · Reden wir vom Fußball. Reden wir nicht davon, dass „Normalität“ mit 2.895 Zuschauern in der Arena noch Lichtjahre entfernt ist. Reden wir auch nicht davon, dass es ein wenig schwierig ist sich an einer Saisoneröffnung zu freuen, wenn Verwandte und Freunde gerade unter den Folgen der Flutkatastrophe leiden. Ignorieren wir auch, dass der Gegner Oud-Heverlee Löwen (kurz: OHL) ein Retortenclub à la Hoffenheim ist, der seinen Aufstieg aus der vierte in die erste Liga den Millionen des Mannes verdankt, der das Premier-League-Team Leicester City von seinem Vater geerbt hat. Reden wir lieber von dem wunderschönen Fußball, den unser neuer Cheftrainer Christian Preußer dieser fröhlichen Truppe in Rot verordnet hat. [Lesezeit ca. 8 min]

Ihr ergebener Berichterstatter hatte es vorgezogen, die Partie aus dem Block zu verfolgen und nicht von der Pressetribüne aus. Zwischen dem 1:0 und dem Rouwen’schen Elfertor whatsappte ein Kollege von da oben, dass man aus seiner Perspektive wunderbar erkennen könne, wie autonom die Spieler mit ihren Positionen im Mittelfeld und im Angriff umgingen und dass dies offensichtlich Ergebnis von Preußers Philosophie sei. Tatsächlich waren wir im Unterrang auf der Süd stellenweise genauso verwirrt wie der belgische Gegner. Gerade in der ersten Halbzeit wirbelten acht von zehn Feldspieler vor und zurück und von links nach rechts, passten sich die Bälle zu, erspähten Lücken, gingen da rein und auch wieder raus. Das war sehr schön anzuschauen.

F95 vs Leuven: Der mittlerweile obligatorische Beschwörungskreis (Foto: TD)

F95 vs Leuven: Der mittlerweile obligatorische Beschwörungskreis (Foto: TD)

Offiziell war ein 4-3-3 angeordnet, aber die Momente, in denen tief vier Burschen auf einer Linie standen, waren an einer Hand abzuzählen. Meistens gaben Dragos Nedelcu, der sich fugenlos ins Team und Spiel einfügte, und Chris Klarer das letzte Bollwerk vor Flo Kastenmeier, der sich vorwiegend schrecklich langweilte. Immer war einer der nominellen Außenverteidiger, also Zimbo Zimmermann und Leon Koutris ganz weit vorn. Und wenn beide sich in die Offensive einmischten, ließ sich Eddie Prib zurückfallen, was dann nach Dreierkette aussah. Leute, DAS ist hochmoderner Fußball! Das ist der Stand der Fußballstrategiewissenschaft.

Dagegen wirkte das Treiben der OHL-Angestellten schrecklich altbacken, denn wenn die sich überhaupt mal was Offensives trauten, dann sah das aus wie Fortuna unter Uwe Rösler, also einigermaßen schematisch. Und hätten die nicht diese vier standfesten Verteidiger gehabt und hätten die Fortunen mehr Vollstreckerglück gehabt, es hätte ein Kantersieg werden können. Die Gäste kamen in 90 Minuten OFFIZIELL auf zwei Torschüsse und hatten genau NULL Chancen … und verloren bei ihren gefühlten drei Offensivaktionen regelmäßig das Ei am Mittelkreis. Okay, eine Mannschaft ist immer nur so gut wie es der Gegner zulässt.

F95 vs Leuven: Die Fortuna-Bank während der Schweigeminute (Foto: TD)

F95 vs Leuven: Die Fortuna-Bank während der Schweigeminute (Foto: TD)

Und unsere Jungs traten verdammt stark auf gestern. Vor der Viererkette wirbelten neben Eddie Prib dann Cello Sobottka und Shinta Appelkamp. Damit war die Herrschaft über das Mittelfeld gesichert. Während Shinta irgendwas zwischen einem offensiven Sechser und einem Achter spielte und offensichtlich absolute Narrenfreiheit genoss, wirkte Cello als klassischer Sechser mit Spieleröffnungsaufgaben, aber auch der Verantwortung für Balleroberungen im Mittelfeld. Bei Eddie war nie so ganz klar, was genau er spielten sollte; er wich regelmäßig nach rechts aus und unterstützte dort den Zimbo, der ein ganz, ganz starkes Spiel machte.

Dass Kris Peterson den Linksaußen machen würde, war eh klar, und auch Felix Klaus auf Rechtsaußen lag in der Luft. Weniger wahrscheinlich schien es, dass unser Oberknipser Rouwen Hennings die Mitte übernehmen würde. Übrigens: Ja, das war eine echte Dreierkette, weil die beiden Außen und Hennings fast immer auf einer Linie agierten. Das tat dem Rouwen enorm gut, denn damit war er aus dem Rösler’schen Korsett des schematischen, hohen Pressings befreit, als er meist im Verbund mit Kenan Karaman wie doof die gegnerischen Verteidiger anlaufen musste. Okay, ein Dribbler vor dem Herrn wird er nicht mehr, aber wenn er die Freiheit hat, selbst zu entscheiden, ob und wann er auf die Flügel ausweicht oder sich zurückfallen lässt, dann wird er wieder enorm wertvoll für dieses Team.

F95 vs Leuven: Endlich wieder in der Arena! Die Leute waren froh... (Foto: TD)

F95 vs Leuven: Endlich wieder in der Arena! Die Leute waren froh… (Foto: TD)

Ebenfalls auffällig und erfreulich: Es wird auch aus allen Lagen ferngeschossen! Endlich! Wie oft haben wir in der vergangenen Saison insgeheim gerufen „Schieß doch!“? War anscheinend unter dem ehemaligen Coach verboten. Jetzt sah man Knaller von Chris Klarer, Eddie Prib, Cello Sobottka und nicht zuletzt auch Shinta Appelkamp. Und obwohl laut Preußer erst nach der Rückkehr aus dem Trainingslager so richtig mit dem Einüben von Standards begonnen wurde, konnte man auch schon in diesem Punkt Verbesserungen feststellen. Okay, dass aus Eddie Freistoß in der 16. Minute eine Bude resultieren würde, war dem Schuss nicht anzusehen, der von links in den OHL-Sechzehner kam, wo ein Verteidiger die Rübe so reinhielt als wolle er vollstrecken – Eigentor.

Ob das Eindringen von Klaus in den Strafraum in der 44. Minute zu einer Chance geführt hätte, weiß keiner. Jedenfalls wurde er kurz hinter der Sechzehnerlinie ziemlich blöd umgehauen, sodass der Schiri auf Strafstoß entscheiden musste. Selten einen dermaßen humorlos verwandelten Elfer gesehen wie denn von Hennings zum 2:0. Dann war Pause, Teil 2 des sogenannten „Rahmenprogramms“ bestand aus einem weiteren Song des örtlichen Barden Enkelson und dem Verlesen von Verlosungsergebnissen durch Stadionsprecher Andre Scheidt. Das zog sich endlos hin, und ein Fan in der Nähe meinte, hoffentlich ersetzt die Laberei in Zukunft nicht das Halbzeitspiel. Überhaupt: Man ist es nicht mehr gewöhnt, aber wünscht sich doch, in der Pause mit (nicht zu lauter) Musik beflügelt in Ruhe mit Freunden übers Spiel reden zu können und sich die Highlights auf der Anzeigentafel anschauen zu können. Vielleicht könnte der Abschied von der (oft zu lauten) Dauerbeschallung das Stadionerlebnis sogar verbessern.

F95 vs Leuven: Trinkpausen gab's auch (Foto: TD)

F95 vs Leuven: Trinkpausen gab’s auch (Foto: TD)

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Nach dem Vierfachwechsel in der 61. bis 63. Minute (ja, so lange zog sich das hin…) war das Spiel eigentlich durch. Zumal Zimbo Zimmermann in der 52. Minute nach einem perfekten Diagonalpass von Kris Peterson im Ausrutschen ein schickes Tor geschossen hatte … mit freundlicher Unterstützung des OHL-Keepers, der in dieser Situation so ziemlich alles falsch gemacht hatte. Aber wie Meister Zimmermann in den Strafraum gerauscht kam, wie fokussiert er auf den kommenden Ball war und wie er trotz Wegrutschens das Ei noch versenkte – das war Klasse!

Gut, es war nur ein Testspiel, also eine Partie, bei der auch einzelne Spieler getestet werden. Aber gerade diese erste Wechselorgie machte die Partie aus Fortuna-Sicht kaputt. Das lag weniger an den eingewechselten Kollegen, sondern viel mehr daran, dass der Wirbel nicht mehr wirbelte, weil einige nun milde Schwierigkeiten hatten, sich in dieses flexible System zu stürzen. Das galt sowohl für Emma Iyoha und Flo Hartherz, aber in wesentlich stärkerem Maße für Niklas „Shippi“ Shipnoski und leider auch für Khaled Narey, Da nutzten auch minutenlange Lektionen am Taktikbord vor den Wechseln nichts. Einzig Emma fand nach einiger Zeit in seine Rolle als einzige Spitze und erarbeitete sich auch Gelegenheiten, von denen eine in der 85. Minute erst auf den letzten Drücker von einem OHL-Mann entschärft werden konnte. Auch Hartherz, der sich ja so viel vorgenommen hat für die neue Saison und in den bisherigen Testspielen ziemlich gut aussah, brauchte fast eine Viertelstunde bis er seinen ersten Diagonalpass produzierte – das Ding, das seine Spezialität ist und sehr wichtig werden könnte.

F95 vs Leuven: Die Zuschauerzahl - bis auf die 1 alles richtig... (Foto: TD)

F95 vs Leuven: Die Zuschauerzahl – bis auf die 1 alles richtig… (Foto: TD)

Mit den Wechseln in der 72. Minuten war ein ernsthaftes Fußballspiel dann endgültig vorbei. Die Menge freute sich über Adam Bodzek, der schon beim Aufwärmen gefeiert wurde. Shinta, für den Kuba Piotrowski kam, wurde mit Sonderapplaus verabschiedet. Und dass Kelvin Ofori unter Preußer auf der linken Seite spielen wird, wussten wir auch schon. Gerade der kleine Mann aus Ghana versuchte sofort richtig viel, dribbelte wie ein Roadrunner, blieb aber doch meist hängen. Kuba durfte den defensiven Sechser spielen, war aber einige Male auch in vorderster Reihe zu sehen.

Ob die Coaches Dragos Nedelcu in der 90. Minute auswechselten, um ihm einen Spezialbeifall zu sichern, ist unklar. Tatsächlich bekam der Rumäne nach seinem ersten Spiel im F95-Trikot eine Menge warmen Applaus. Zu Recht: Drago machte alles richtig, ohne irgendwie eine große Nummer draus zu machen. Ein Kenner meinte: Da haben wir einen Guten, da brauchen wir zumindest Luka Krajnc nicht. Tatsächlich scheint das vermeintliche Innenverteidiger-Problem mit diesem Mann erledigt, denn mit Andre Hoffmann und Jamil Siebert werden ja zwei gelernte IV nach Verletzung zurückkehren, und mit Adam Bodzek, Flo Hartherz und, ja, auch Kuba Piotrowski gibt es Kandidaten für Notfälle. Bei Licht betrachtet fehlt jetzt eigentlich nur noch ein Backup für Zimmermann, also ein weiterer Spieler, der in einer Viererkette als rechter AV antritt.

F95 vs Leuven: Freundliches Verabschieden des Gegners (Foto: TD)

F95 vs Leuven: Freundliches Verabschieden des Gegners (Foto: TD)

Deutlich wurde auch, dass es keinen Konkurrenzkampf darum geben wird, wer die Nummer 1 als Spitze sein wird. Mit dem guten, alten Rouwen Hennings, dem vielseitigen Emma Iyoha und dem potenziell torgefährlichen Dawid Kownacki stehen drei ganz unterschiedliche Kandidaten bereit, die je nach Lage der Dinge eingesetzt werden können. Die drei einzigen Kaderinsassen, die zur Zeit unersetzbar aussehen, sind neben Chris Klarer vor allem Cello Sobottka und Shinta Appelkamp – ein kreatives Mittelfeld ohne die beiden ist schwer vorstellbar. Dafür gibt es diverse Varianten für die Außenpositionen.

Ja, das hat Spaß gemacht und einen das ganze aktuelle Unheil für knapp zwei Stunden vergessen lassen. Beim Abmarsch wurde deutlich, wo die Probleme entstehen werden, wenn für das erste Heimspiel gegen Bremen tatsächlich 25.000 Zuschauer zugelassen sein werden. Da ist einerseits der Einlass, der schon mit weniger als 3.000 Zuschauern arge Schwierigkeiten hatten, weil ja bei jeder:m Besucher:in nicht nur das Ticket, sondern auch das jeweilige Impf- oder Testzertifikat überprüft werden musste. Könnte sein, dass der Einlass sich bei 25.000 Leuten über drei, vier Stunden hinzieht. Immerhin waren die Menschen so diszipliniert und geduldig, dass es nicht zu Drängeleien kam.

F95 vs Leuven: Schon ganz schön voll im Umlauf hinter der Haupttribüne… (Foto: TD)

Die zweite Schwachstelle entsteht beim Abtransport mit der Bahn, wo sich die Wartenden teilweise so eng drängelten wie früher. Vor allem, weil es asoziale Elemente gibt, die meinen, sich beim Einsteigen einen Vorteil verschaffen zu müssen – einer von denen bekam dann auch folgerichtig eine Maulschelle und blieb zurück. Alle Anlagen zum Entzerren der Ströme der Abreisenden, die aktuell bestehen, werden nicht ausreichen, solche Ballungen zu verhindern – da müssen sich die Verantwortlichen von Ordnungsdienst und Rheinbahn aber noch was einfallen lassen. Auch die Situation im Umlauf, besonders vor den Versorgungsstationen war teilweise auch nicht wirklich pandemiegerecht, wobei sich aber die 3.000 Zuschauer:innen wegen der geöffneten Blöcke auch auf einem relativ kurzen Abschnitt ballten.

Wir werden sehen und erleben. Und trotz aller Krisen und Katastrophen freuen sich die Fans auf das Spiel am 31. Juli um 20:30 gegen den Absteiger Werder Bremen. Unter anderen Umständen wäre das ein ausverkauftes Fußballfest unter Flutlicht. Auf jeden Fall wird es eine Partie mit enormem Aussagewert über die Chancen der glorreichen Fortuna in der Zweitligasaison 2021/22.

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