Manchmal hat Volkes Stimme mit Binsenweisheiten einfach nur Recht: „Niemand siegt in Düsseldorf“ sang die Kurve den Spielern vor. Diese absolvierten eine eher kurze Ehrenrunde, weil eigentlich nur wenigen Fortuna-Fans nach Euphorie zumute war. Zwar hatte die Truppe in Weiß mit 1:0 gegen den Bundesligaabsteiger aus Hessen gewonnen, aber so richtig gut war vor allem die zweite Halbzeit nicht. Nun ist man als Anhänger der Flingerer in dieser Saison bislang ja mit einigen Glanzleistungen verwöhnt worden, dieses Mal lagen die Perlen ein wenig im Verborgenen. Und dazu zählt die Entstehungsgeschichte des Siegtreffers durch Emir Kujovic. Es handelte sich – man höre und staune – um einen einstudierten Spielzug!

Einstudierte Spielzüge

Die Älteren unter den Lesern und Leserinnen werden sich erinnern. Vor gut zehn Jahren brachte das Stichwort „Laufwege“ viele F95-Anhänger wahlweise zum Schmunzeln oder Weinen. Hatte doch ein Experte im „Difo“ genannten Diskussionsforum der Fans immer wieder gefordert, die Mannschaft müsse die Laufwege beherrschen. Bisweilen wurde er dann darauf hingewiesen, dass es sich um die Fortuna handele, da gäbe es so etwas nicht. Und jetzt das: einstudierte Spielzüge, die funktionieren – und zwar beinahe auf Knopfdruck. Takashi Usami, von dem gleich noch die Rede sein wird, schlägt in der 2. Spielminute eine Ecke von rechts bis an den kurzen Pfosten, von wo aus Oliver Fink das Ei Richtung langer Pfosten befördert, und da springt der allein gelassene Kujovic hoch und nickt die Pille ein.

Das lief also nach Plan. Mehrfach nach Plan lief auch eine Kombination zwischen Jean Zimmer und Benito Raman. Die erste davon führte übrigens zum erwähnten Eckball… Ausgangspunkt war jeweils die Staffelung der beiden Jungs vertikal und horizontal leicht versetzt relativ nah an der Torauslinie. Dann legt Zimmer als Ballführender das Leder blind an seinem Verteidiger vorbei in den freien Raum, wo sich Raman einfindet und sofort flankt. Eigentlich ein simpler Spielzug, aber der zuständige Darmstädter hatte die Sache nach 45 Minuten immer noch nicht kapiert. Es gab auf links eine vergleichbare Sache zwischen Lukas Schmitz und Usami, weiter weg vom Strafraum und steiler, die nicht so oft funktioniert, aber auch zu einigen feinen Flanken führte. Ebenfalls einstudiert scheint ein bestimmter Laufweg von Fink zu sein, bei der er direkt an der Kante vom Sechzehner kreuzt, um den Ball gegebenenfalls als Kurzpass in einer der Schnittstellen zu schieben.

Besoffen vom eigenen Spiel

Jedenfalls schienen die Darmstädter eine halbe Stunde lang vom Düsseldorfer Angriffswirbel leicht überfordert. Und dass, obwohl sie praktisch direkt im Gegenzug den Ausgleich hätten erzielen können, ja, müssen. Denn offensiv waren die sogenannten „Lilien“ immer gefährlich. Gelegentlich spricht man davon, dass sich eine Mannschaft in einen Rausch spielt. Die Fortuna spielte sich dagegen gestern um die 30. Minute herum in eine sinnlose Hektik; es wirkte, als habe sich die Mannschaft am eigenen, feinen Kombinationsspiel besoffen. Plötzlich wurde nichts mehr einfach gespielt, sondern alle versuchten, immer den kreativsten Ball zu spielen. Dabei standen sich dann manchmal Stürmer und Mittelfeldler gegenseitig auf den Füssen.

Und es kam zu heftigen Fehlern. Zwei Fehl- bzw. Rückpässe durch Andre Hoffmann und Kaan Ayhan führten sofort zu gefährlichen Situationen. Apropos: Wieder einmal ließ Trainer Friedhelm Funkel mit extrem variablem Defensivsystem spielen. Nominell war eine Viererkette mit Ayhan und Hoffmann innen, sowie Zimmer und Schmitz außen am Start. Tatsächlich wirkte aber immer einer der beiden Außenverteidiger als Außenstürmer – und zwar jeweils einer auf einmal, sodass der eigene Kasten dann durch eine Dreierkette bewacht wurde. Gleichzeitig rotierten Sobottka, Fink und der außergewöhnlich unauffällige Florian Neuhaus im Mittelfeld, sodass Fink gelegentlich die angestammte Bodzek-Position übernahm. In Zahlen gefasst lag in der ersten Halbzeit so wieder ein 3-3-3-1 mit Kujovic als einziger Spitze vor.

Schiri neben der Spur

Auch nach einem gewonnenen Spiel muss gelegentlich Schiri-Schelte sein. Was sich dieser Frank Willenborg und einer seiner Assistenten leisteten, war unterirdisch. Der Referee fand nie eine Linie, ließ die Darmstädter mit ihrer harten Spielweise lange gewähren, verteilte gelbe Karten nach dem Zufallsprinzip und urteilte in der zweiten Halbzeit im Zweifel gegen die Fortuna. Besonders absurd der Pfiff in der Nachspielzeit gegen Hoffmann wegen Handspiels, der zudem eine gelbe Karte kassierte. Tatsächlich hatte der Verteidiger die Arme vor die Brust genommen, um nicht versehentlich Hand zu spielen. Der Ball traf die Fäuste, sprang aber genauso ab, als hätte er die Brust des Spielers getroffen. Die Krönung der Situation war dann, dass Willenborg den Freistoß um gut drei, vier Meter näher an den Strafraum legte und so eine gefährliche Gelegenheit zum Darmstädter Ausgleich kreierte.

Nicht geahndet wurde ein übler Bodycheck an Zimmer, bei dem der auf Hüfthöhe gut einen Meter ins Aus flog. Die Lizenzen zum Holzen schienen per Promi-Bonus an die Herren Altintop und Großkreutz verteilt geworden zu sein, die erst nach dem jeweils – gefühlten – zehnten Reinkloppen endlich Karten kassierten. Immerhin lagen die drei Männer in Schwarz bei ihren Abseitsentscheidungen richtig.

Der Hang zur Schlampigkeit

Klartext: Die zweite Halbzeit gehörte Darmstadt. Das Team von Trainer Torsten Frings kam neu geordnet aus der Kabine und übte sofort erheblichen Druck aus. Die Fortuna stand dagegen – wie inzwischen gewohnt – deutlich tiefer als zuvor, und deshalb schienen sich die besonders Kreativen in Weiß ein wenig zu langweilen. Obwohl nun högschde Konzentration gefragt war, kam es zunehmend zu Ungenauigkeiten. Immerhin konnten die Lilien diese beginnende Schlampigkeit der Fortunen zunächst nicht in Chancen ummünzen. Der letzte überzeugende Angriffsspielzug war folgerichtig in der 60. Minute zu beobachten. Manche Zuschauer meinten, dies küchenpsychologisch erklären zu können: „Die sind mit dem Kopp schon beim Pokalspiel am Dienstag“, hieß es da. Aber dass ein professioneller Fußballspieler mitten in einer umkämpften Partie mal eben Gedanken über eine kommende Begegnung nachhängt, scheint in Wahrheit eher unwahrscheinlich.

Schön war letzte halbe Stunde also nicht. Zum Glück bekrabbelte sich wenigstens die Viererkette (die inzwischen tatsächlich so formiert worden war) und stand sicher. Und weil den Darmstädtern wenig mehr einfiel, als auf Fehler der Fortuna und/oder des Schiris zu warten, geriet der Sieg nur ansatzweise in Gefahr. In der 74. Minute gab es dann einen Doppelwechsel, sodass Rouwen Hennings für Kujovic kam und Julian Schauerte für Raman, dem man ab Minute 60 erneut ansah, dass die Akkus zu Ende gingen. Während Schauerte sich mit einem blöden Fehlpass einführte, begann Hennings seine übliche Wühlerei und brachte die Verteidiger und den Keeper der Lilien durch schlichtes Anlaufen ständig in Verlegenheit.

Ganz verschiedene Typen

Deutlicher konnte nicht vorgeführt werden, welch extrem unterschiedliche Spielertypen Hennings und Kujovic sind. Während der lange Emir mit dem dunklen Bart die klassische Sturmspitze gibt und immer ganz nach vorne strebt, bewegt sich der blonde Rouwen vorwiegend horizontal und sorgt für Verwirrung in der gegnerischen Abwehr. Während Kujovic nur in Ausnahmefällen mit in die Defensive geht, zieht sich Hennings synchron mit dem Mittelfeld nach hinten. Auch in den Punkten Ballannahme und Ballführung unterscheiden sich die beiden dramatisch. Das muss als taktischer Vorteil gesehen werden, weil der Trainer so zwei Sturmspitzen für unterschiedliche Spielpläne im Kader hat. Wenn Harvard Nielsen wieder fit ist, gibt es sogar noch mehr Varianten in der Spitze.

Erfreulich, dass Usami in der Mannschaft angekommen ist. Beinahe wäre ihm sogar sein drittes Tor gelungen, aber auch so brachte er bis zur Auswechslung eine überzeugende Leistung – allerdings neigt er dazu, das Spiel zu verlangsamen, weil er in unübersichtlichen Situationen eher den sicheren Ball spielt, als auch einmal auf Risiko zu setzen. Auf seiner Seite gibt es ebenfalls ein Paar unterschiedlicher Typen: Schmitz und Niko Gießelmann, wobei Gießelmann der Kreativere der beiden ist, aber so gut wie nie als Flankengeber ganz bis zur gegnerischen Grundlinie geht. Aber auch dieser Unterschied erhöht das Potenzial, für jeden Gegner die passende Truppe mit dem optimalen System auf den Platz zu stellen.

Sieg geht in Ordnung

Lässt man den ganzen Spielfilm noch einmal Revue passieren, kann man zum Ergebnis kommen, dass der Sieg in Ordnung geht. Für einen gerechten Ausgleich hatten die Darmstädter einfach zu wenig große Torchancen. So musste Tormann Raphael Wolf auch vergleichsweise selten glänzen. Dass der Erfolg in der zweiten Halbzeit ins Wanken geriet, war vor allem das Verdienst der milden F95-Schlampigkeit und des schlechten Schiris. Manche nennen so etwas einen „Arbeitssieg“, aber die Erfahrung lehrt, dass solche nicht ganz so überzeugenden Spiele gewonnen werden müssen, wenn die Saison ein erfolgreiches Ende finden soll.

Ob dieser finale Erfolg am 13.05.2018 in Nürnberg stattfindet oder am 19.05.2018 im Berliner Olympiastadion, ist noch offen. Dem Team wäre zu wünschen, dass sie in dieser ominösen Mai-Woche gleich zweimal ranmüsste. Möglich scheint das zu sein…

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