Lesestück · Die Firma Julius Schulte Söhne produziert am Standort Düsseldorf schon seit 1886 Papier. Tatsächlich lag das Gelände damals noch inmitten von Feldern und Wiesen, denn die Gegend war bis etwa zum ersten Weltkrieg noch ländlich und dünn besiedelt. Für die Ansiedlung einer Papierfabrik hat sicher das Vorhandensein von fließendem Wasser eine Rolle gespielt – die von der südlichen Düssel übernommen wurde. Die Verfahren haben sich in den vergangenen 150 Jahren nicht sehr verändert. Immer noch werden Schwefelverbindungen eingesetzt, die rund um die Zellstofferzeugung für den Duft nach faulen Eiern sorgen. Und während sich die Anwohner, die ja erst kamen als das Werk schon stand, bis vor wenigen Jahren mit den Gerüchen abgefunden haben, beschweren sich nun dauernd Leute über Schulte & Söhne an der Fruchtstraße. [Lesezeit ca. 3 min]

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Ich bin ja im Bereich der südlichen Düssel geboren und habe dort meine ersten elf Lebensjahre verbracht. Klar hat die Papierfabrik damals an bestimmten Tagen bestialisch gestunken, und wenn der Wind von Südwest kam, haben wir es gut einen Kilometer entfernt zuhause immer noch gerochen. Wobei der Geruch der Lakritzfabrik Münster, dem Erfinder von Maoam, im angrenzenden Häuserblock den Schulte-Gestank meist mit einem scharf-süsslichen Aroma überdeckte. Man hat sich damals einfach nicht so egoistisch angestellt…

Ein Monument besonderer Art ist die Transformatorenstation an der Ecke Mecum-/Feuerbachstraße, über die das Werk seinen Strom bezieht. Heute steht da ein Neubau, aber in meiner Kindheit lag das Gehäuse verwunschen im Busch über der Düssel und hatte – wie heute – eine lauschige Terrasse zum Bach hin. Nun war dies die Zeit der Halbstarken, also Jungs zwischen 14 und knapp über zwanzig, viele Halbwaisen darunter, deren Väter im Krieg gestorben waren, wilde Kerle mit großem Freiheitsdrang und dem dringenden Willen, mit wenig Arbeit viel Spaß zu haben. Diese Outlaws – und wir reden hier nicht von den braven Boogie-Woogie- oder Rock’n’Roll-Tänzern in den Tanzlokalen, sondern einer proletarischen Schicht Kleinkrimineller – hatten immer einen Blödsinn auf der Pfanne.

Im Erdgeschoss des Hauses, in dem wir lebten, wohnte eine Familie mit zehn Kindern, davon acht Söhnen, jeweils ein Jahr auseinander. Die Halbstarken dieses Clans waren gefürchtet und geachtet; gefürchtet wegen ihrer körperlichen Züchtigungen, geachtet, weil sie immer Sachen aus Diebeszügen an die Nachbarkinder verschenkte. Mein Bruder bezog mal eine Tracht Prügel vom Vater (vermutlich die einzige), weil er mit einem teuren Siku-Spielzeugauto nach Hause kam und auf Nachfrage behauptete, er habe es gefunden. Tatsächlich handelte es sich um ein solches Geschenk.

Ich erinnere mich – ich war noch nicht in der Schule -, dass die Nachbarsjungs und andere Burschen gern abends in den Trümmerhäusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite herumkletterten. In luftiger Höhe errichteten sie Matratzenlager auf Etagenresten, wo sie herumlungerten, rauchten, Sigurd- und Akim-Heftchen lasen und wohl auch Alkohol tranken. Und manchmal sprengten sie ganze Hauswände mit Karbid…

Wie sie überhaupt gern mit Feuer hantierten. Zum Beispiel auf der Terrasse des besagten Trafo-Häuschens. Ein Lagerfeuer auf dem Holzboden – das konnte nicht gutgehen. Und so geriet erst die Plattform, dann das Buschwerk, als nächstes die Spaliere für Kletterpflanzen und schließlich der Dachstuhl der Station in Brand. Zum Glück kam die Feuerwehr sehr schnell, denn das Feuer hätte die Transformatoren unter Freisetzung von allerlei Gift explodieren lassen können. Ich war dabei und hatte so viel Schiss, dass ich mich vollpinkelte – Angst vor dem Feuer, der möglichen Explosion und vor allem vor den Polizeibeamten (die unsere Halbstarken meist „Schmiere“ oder „Polente“ nannten). Das nur am Rande…

[Diese Story erschien zuerst im Vorgängerblog „Rainer’sche Post“ im Februar 2012]

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