Bericht · Wenn man als Düsseldorfer an Belgien denkt, dann am ehesten an belgisches Bier, Pommes und belgische Waffeln, nicht aber daran, dass der linksrheinische Teil unserer schönen Stadt von belgischen Truppen besetzt war. Die Zeit der belgischen Besatzung der linksrheinischen Gebiete, auch die Stadt Neuss zählte dazu, dauerte von Januar 1919 bis März 1926. Vor allem der legendäre Heerdter Bürgermeister Nikolaus Knopp musste sich mit den Besatzern herumschlagen und den belgischen Kommandanten van der Kelen mehrfach darauf hinweisen, dass die Gemeinde Heerdt, zu der auch Oberkassel zählte, Teil der Stadt Düsseldorf sei, die wiederum vor der Ruhrbesetzung noch Teil des Deutschen Reiche war. Überhaupt führten die Belgier ein Regiment der harten Hand. [Lesezeit ca. 5 min]

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Kein Wunder, hatten die kaiserlichen Truppen doch während des Krieges fürchterlich in Belgien gehaust. Als Entschädigung für dieses Leiden wurden dem Königreich nicht nur die Region Eupen-Malmedy zugeschlagen, sondern der gesamte linke Niederrhein und die Gegend bis runter nach Aachen als Besatzungszone zugestanden. Damit waren die Belgier berechtigt, ihre Reparationsforderungen vor Ort zu kassieren – vor allem dadurch, dass sie Anteile an den Erlösen jeder industriellen Produktion in diesem Gebiet erhoben.

Französische und belgische Besatzungszone nach dem ersten Weltkrieg (Karte via Wikimedia)

Französische und belgische Besatzungszone nach dem ersten Weltkrieg (Karte via Wikimedia)

Weil der Rhein bei Düsseldorf die Grenze zwischen den nicht besetzten Teilen des Deutschen Reiches und dem von Franzosen und Belgiern besetzten Rheinland bildete, wurden die Brücken von belgischen Truppen scharf bewacht; der Grenzverkehr zwischen Heerdt und dem Rest der Stadt war ohne besonderen Pass nicht möglich. Das alles löste den Unmut der linksrheinischen Bevölkerung aus. Nicht nur nationalistisch gesonnene Menschen übten deshalb ab etwa 1921 verschiedene Formen des passiven Widerstands aus. Das wiederum brachte erhebliche Spannungen zwischen den belgischen Soldaten und der Zivilbevölkerung aus.

Die war während des ersten Weltkriegs durch drastisch rassistische Propaganda vor allem gegen die französischen und belgischen Soldaten mit afrikanischen Wurzeln angeheizt worden und erreichte vom Deutschen Reich aus unter dem Stichwort „Schwarze Schmach“ erneut die belgische Besatzungszone am Niederrhein. Viele Elemente der nationalsozialistischen „Untermenschen“-Kampagne nahmen diesen Rassismus wieder auf. In Heerdt und Oberkassel machten immer wieder Gerüchte von vergewaltigten Frauen die Runde, die solchen Kolonialtruppenangehörigen zur Last gelegt wurden – bewiesen wurde keines dieser Gerüchte.

Die Beerdigung der ermordeten belgischen Soildaten (Foto: KLM_NRA)

Die Beerdigung der ermordeten belgischen Soildaten (Foto: KLM_NRA)

Neben den Reparationszahlungen löste vor allem die schlechte Versorgung der Bewohner großen Unmut aus. Während belgische Soldaten hinreichend mit Lebensmitteln versorgt wurden, litten die Menschen im Linksrheinischen oft Hunger, weil die Rationen klein und die Qualität der Nahrung schlecht war. Immer wieder wandte sich Bürgermeister Knopp mit Beschwerdebriefen an die Kommandantur, auch wegen des Kohlemangels im Winter 1921/22, der für kalte Wohnungen der Zivilbevölkerung sorgte.

Der Widerstand gipfelte in der Ermordung zweier belgischer Soldaten am 1. September 1922 in Oberkassel, der nie ganz aufgeklärt wurde. Weder konnte die offizielle Version belegt werden, dass es sich um ein Attentat nationalistischer Widerständler handelte, noch das Gerücht, es habe sich um die Eifersuchtstat eines Deutschen oder bloß um einen ausgearteten Streit unter Belgiern gehandelt. Jedenfalls führte die Ermordung zu einer kompletten Abriegelung Heerdts und Oberkassels gegenüber Düsseldorf. Der Beigeordnete Dr. Odenthal und der deutsche Polizeikommissar Blasius wurden wenige Stunden nach der Tat verhaftet, aber schon am 4. September wieder freigelassen.

Bereits seit 1920 gab es wachsenden Widerstand gegen die Reparationszahlungen des Deutschen Reiches an Frankreich und Belgien. Besonders im Ruhrgebiet und in Düsseldorf, das damals ein bedeutender Industriestandort mit Dutzenden Betrieben der stahlverarbeitenden Industrie war, kam es zu verzögerten und ausbleibenden Zahlungen. Im Kohlerevier sorgten Arbeiter durch Dienst nach Vorschrift, Bummelstreiks, aber auch durch Sabotage für eine sinkende Produktion. Immer wieder rückten daher französische und belgische Truppen in die entmilitarisierte Zone rechts des Rheins ein, um ab März 1921 auch Düsseldorf, Duisburg und angrenzende Gebiete widerrechtlich zu besetzen.

Nach der Ermordung zweier Soldaten riegelt belgisches Militär die Oberkasseler Brücke ab (Foto: VVV-linksrheinisch)

Nach der Ermordung zweier Soldaten riegelt belgisches Militär die Oberkasseler Brücke ab (Foto: VVV-linksrheinisch)

Die Probleme gipfelten in der Ruhrbesetzung, die von Januar 1923 bis August 1925 andauerte. Es war der parteilose Reichskanzler Wilhelm Kuno, der die Bevölkerung am 13. Januar 1923 zum passiven Widerstand aufrief. In der Folge kam es zu mehreren Generalstreiks und besonders zum Widerstand der Eisenbahner, die den Schienenverkehr über Wochen völlig zum Erliegen hatten kommen lassen, indem sie das rollende Material heimlich außerhalb der Grenzen der besetzten Gebiete schafften:

Die Besatzungstruppen reagierten auf den passiven Widerstand mit 150.000 verhängten Strafen, die neben Gefängnisstrafen vor allem bei Eisenbahnern die Ausweisung aus dem besetzten Gebiet bedeuteten. Inzwischen begingen ehemalige Freikorpsmitglieder und auch Kommunisten Sabotageakte und Anschläge gegen die Besatzungstruppen. Insbesondere in der KPD war diese Taktik allerdings umstritten. Der Deutschlandexperte der Komintern Karl Radek verurteilte zwar die rechte Gesinnung der Saboteure, lobte aber deren Radikalismus, während andere jede verbale Nähe zum Ruhrkampf als nationalistisch ablehnten.[5] In der politischen Rechten wurde die Sabotage dagegen gefeiert. Unter anderem wurde der Emscher-Durchlass des Rhein-Herne-Kanals bei Henrichenburg durch eine Sprengung zerstört. Die Besatzungsmacht wiederum reagierte mit Sühnemaßnahmen, die Situation eskalierte und forderte 137 Tote. Albert Leo Schlageter wurde als Abschreckung wegen Spionage und Sabotage zum Tode verurteilt und hingerichtet, was ihn in der deutschen Öffentlichkeit zum Märtyrer machte. [Quelle: Wikipedia]

Schlageter wurde am 26. Mai 1923 auf der Golzheimer Heide von den Besatzern erschossen. Die Nazis machen ihn zu einer Leitfigur und bezeichneten ihn als „Ersten Soldaten des Dritten Reiches“. Diese Märytrerverehrung führte dazu, dass die Mustersiedlung, die zur Düsseldorfer Ausstellung „Schaffendes Volk“ von 1937 errichtet wurde, den Namen „Schlageter-Siedlung“ trug – heute bekannt als „Weiße Siedlung“. Der Widerstand gegen die Ruhrbesetzung war in diesen Jahren durchaus nicht nur nationalistisch geprägt und wurde nicht nur von Rechten vorangetrieben; auch kommunistische und sozialdemokratische Arbeiter beteilgten sich am passiven Widerstand – auch in Düsseldorf.

Und dass, obwohl es einige aus Belgien stammende Unternehmer – u.a. die Familie Piedboeuf – waren, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts für den Aufschwung Düsseldorfs zur Großstand und zum bedeutenden Industriestandort gesorgt hatten. Im Gegensatz zu Köln, der Stadt, in der die Besatzung durch die Belgier nach dem zweiten Weltkrieg offiziell erst 2002 endete, haben die sieben Jahre unter belgischer Besatzung kaum Spuren hinterlassen. Immer noch essen die Düsseldorfer gern belgische Pommes und Waffeln und trinken gern belgisches Bier.

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