Bericht · Jede große gesellschaftliche Veränderung geht zu Lasten der Armen, vor allem der Kinder der Armen. Das war beim Übergang von der Feudalherrschaft der Könige und Fürsten zur bürgerlichen Gesellschaft wie wir sie kennen nicht anders. Besonders schlimm erging es den Kindern in den Kriegs- und Hungerjahren der frühindustriellen Zeit. So streunten um 1820 herum Tausende elternloser Jungen und Mädchen durch die Städte an Rhein und Ruhr. Manche waren 1816 nach dem „Jahr ohne Sommer“ mit seiner gewaltigen Hungersnot in unserer Region von den Eltern einfach weggeschickt worden. Das war Adelberdt Graf von der Recke-Volmerstein, seiner Gattin und seinem Bruder aufgefallen, und so nahmen sie die armen Seelen zu Dutzenden in ihr Schloss Overdyk bei Bochum auf. Bald galten diese sozialen Taten als „Rettungsarbeit“ – und nachdem der Platz in Overdyk nicht reichte, baute Graf Recke das Rettungshaus in Düsseldorf. [Lesezeit ca. 5 min]

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Damals lag zwischen Flingern und Derendorf, beides recht eigenständige und relativ wohlhabende Ortschaften, das sumpfige Gebiet der Düsselniederung, inoffiziell „Düsselthal“ genannt. Dies urbar zu machen war nicht einmal den Mutigsten unter den Bauern eingefallen. So blieb das Moor ewig im Besitz des Landesfürsten … bis unserem großen Jan Wellem die Idee kam, wie er es schadlos loswerden könnte. Er schenkte das Gelände den Trappisten, die hier ein Mönchskloster aufbauten und das Land dann eben doch – zumindest für ihren Bedarf – nutzbar machten.

auf einer Radierung von John Johnstone (Abb.: via Wikimedia)

Adalbert von der Recke-Volmerstein
auf einer Radierung von John Johnstone (Abb.: via Wikimedia)

Die gute Sache währte nicht lange. 1701 hatten die Zisterzienser der strengeren Observanz die Abtei begründet. Aber schon 1804 mussten die Mönche das Kloster im Zuge der Säkularisierung aufgeben. In der Folge war es nicht nur in Frankreich zu einer Welle von Enteignungen von Klostern gekommen, entstanden aus dem Wunsch der Revolutionäre alle Religion abzuschaffen.

Der sogenannte "Hungerturm", Teil der Abtei (Foto: Wiegels via Wikimedia)

Der sogenannte „Hungerturm“, Teil der Abtei (Foto: Wiegels via Wikimedia)

Das Trappistenkloster von Düsseltal, von dem heute noch der sogenannte Hungerturm an der Fritz-Wüst-/Sohnstraße existiert, fiel zurück an die Stadt, die aber nicht so recht wusste, was sie mit dem Bau und den Gärten mitten im Sumpf anfangen sollte. Also kaufte Graf Recke die Anlage und ließ sie zu seinem „Rettungshaus“ umrüsten. 44 Kinder waren in Overdyk untergekommen, und mit diesen 44 Kindern zog man in einer Karawane aus Leiterwagen von Bochum nach Düsseldorf um – die Rettungsanstalt Düsseltal für Waisenkinder war entstanden.

Ansicht des Torhauses des Klosters (Abb.: public domain)

Ansicht des Torhauses des Klosters (Abb.: public domain)

Die Idee des Grafen war inzwischen nicht mehr nur, den armen Kindern Brot und Bett zu bieten, sondern sie nach Kräften zu fördern. Selbstversorgung war ein Thema, und da bot sich eine Anlage wie die ehemalige Abtei mit ihren Gärten und Werkstätten natürlich an. Als Adelbert gesundheitliche Probleme bekam, gründete er mit tatkräftiger Hilfe seiner Frau Mathilde die noch heute bestehende Stiftung:

1826 heiratete Recke-Volmerstein in aller Stille die schlesische Gräfin Mathilde von Pfeil und Klein-Ellguth. Aus der Ehe gingen zehn Kinder hervor, sieben Mädchen und drei Knaben. Zwei der Kinder starben in jungen Jahren. Mathilde Gräfin von der Recke-Volmerstein hat entschieden den Geist und das Leben der Düsselthaler Anstalt mitgeprägt: „Die Arbeitsbereiche des Grafen umfassen neben der Repräsentation der Anstalt die ‚Büreaus (Correspondenz, Buchführung, Buchhandel)‘, die Geldbeschaffung und die Leitung der ‚Knabenanstalt‘. Dazu zählen die Bereiche: ‚Unterweisung, Erziehung‘. Ein weiteres Ressort bildet die ‚Handwerks-Schule‘ mit ‚Buchdruckerei, Buchbinderei, Schuhmacherei, Schneiderei, Schreinerei, Schmiede, Schlosserei, Bäckerei, Küper und Wagnerei‘. Hinzu kommt die Krankenpflege für die Knaben und männlichen Mitarbeiter der Anstalt. Schließlich wird als selbständiges Gebiet unter der Oberaufsicht des Grafen noch die ‚Oekonomie‘ erwähnt, die sich vierfach untergliedert in: ‚Mühle, Gärtnerei, Viehwirthschaft und Feldwirthschaft‘. Die gesamte Haushaltsführung sowie die Betreuung der Mädchen und des weiblichen Personals gehören in den Aufgabenbereich der Gräfin. Auf den ersten Blick scheint die Organisation den Erfordernissen der Einrichtung angemessen zu sein. Doch täuscht die genannte Aufstellung darüber hinweg, dass es in vielen Arbeitszweigen immer wieder an Personal, insbesondere an ausgebildetem, mangelt.“ [Quelle: Wikipedia]

Die Düsseltaler Rettungsanstalt wurde zum Vorbild für viele ähnliche Einrichtungen in ganz Deutschland, besonders was den Gedanken der Förderung der Kinder im Sinne einer Berufsausbildung angeht. Mit der Gründung des Kaiserreichs 1871 war die Stiftung gesellschaftlich etabliert und wirtschaftlich erfolgreich. So erfolgreich, dass ein Wachstum unausweichlich erschien. Um die Jahrhundertwende begann die Umsiedlung nach „Neu-Düsselthal“ bei Wittlaer. Weitere Gebäude wurden angemietet oder gebaut.

Darstellung der Düsselthaler Rettungsanstalt (Abb.: public domain)

Darstellung der Düsselthaler Rettungsanstalt (Abb.: public domain)

Wo aber lag nun die Trappistenabtei, die zur Gründungsstätte der Rettungsanstalt werden sollte. Der erwähnte Hungerturm bildete vermutlich die Westecke der Umfassungsmauer der Klosteranlage. Die heutige Graf-Recke-Straße führte, das ergibt sich aus alten Karten, einmal schnurgerade durch das ganze Gebiet und auch die eigentliche Klosteranlage. Die nördliche Düssel dürfte eine natürliche Grenze gewesen sein. Der heutige Zoopark gehörte zu den Ländereien der Abtei, die sich bis zur heutigen Grafenberger Allee im Süden und bis zur Brehmstraße im Westen erstreckten.

Google-Map: Ungefähre Lage des Klosters und der Rettungsanstalt

Google-Map: Ungefähre Lage des Klosters und der Rettungsanstalt

Heute ist die Graf-Recke-Stiftung eine gemeinnützige Organisation im Sozialbereich mit drei Geschäftsbereichen mit Hilfsangeboten für Kinder, Jugendliche, psychiatrieerfahrene und behinderte sowie pflegebedürftige und alte Menschen mit rund 2.900 Mitarbeitern, die sich um etwa 5.000 Betreute kümmert.

[Bildnachweis – Hungerturm: Wiegels via Wikimedia unter der Lizenz CC BY 3.0; Bildnis Graf Recke: petit8 via Wikimedia unter der Lizenz CC BY-SA 4.0]

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