Auf der Suche nach Geschichten von Schiffern über ihre Art das Weihnachtsfest zu feiern, stießen wir auf diese Erzählung, die Wilma Winters schon von ihrem Vater gehört und auf einer Weihnachts-Website aufgeschrieben hat. Jetzt zu Weihnachten 2019 wollten wir unseren Leserinnen und Lesern diese wunderschöne und realistische Geschichte nicht vorenthalten:

Schifferweihnacht mit Engel

… und treib dich nicht solange in der Stadt rum, schließlich hast du die Verantwortung,“ meinte der Schiffer, während er sich seine Schiffermütze aufsetzte, den Kragen seiner blauen Joppe hochschlug seine Sachen nahm vom Bord über den Steg seines Schleppkahnes an Land balancierte und in Richtung Bahnhof verschwand.

Der Junge atmete auf, endlich mal allein, die Tage vorher waren sehr anstrengend gewesen. Sie hatten eine Ladung Getreide gelöscht, was vor allen für den Schiffsjungen ,mit klar Schiff machen ,viel Arbeit bedeutete, aller Schmutz entfernt, gründlich gescheuert und gewischt, alle Teile, die glänzen sollten, vor allem die Schiffsglocke poliert bis man sich darin spiegeln konnte. Aber nun lag der Kahn, jetzt mit Stückgut beladen, die Laderäume bis oben hin voll gestapelt und gesäubert da. Die Ladeluken waren geschlossen. Sogar ein kleiner Tannenbaum war achtern befestigt worden. Gestern schon war der Bootsmann nach Hause, in den Weihnachtsurlaub zu Frau und Kindern gefahren. Der Kahn war 67 Meter lang, 8.20 Meter breit und hatte eine Nutzlast von 750 Tonnen. Die Ankerwinden mussten mit der Hand betätigt werden, was eine schwere Arbeit war. Aber jetzt lag der Lastkahn friedlich am Ankerplatz des Hafens der kleinen Stadt. Diese wurden stromaufwärts in der Regel im Verband geschleppt und trieben abwärts mit der Strömung.

Henner, der Schiffsjunge war Ostern eingesegnet worden und hatte kurz darauf auf der „Marie-Helene“ angemustert. Er wollte wie sein Großvater, sein Vater und sein Bruder Schiffer werden und später mal einen eigenen Kahn , womöglich motorisiert, als Schiffseigner führen. Von seinen ehrgeizigen Plänen war er aber noch meilenweit entfernt, Wenigstens hatte er sein Schifferdienstbuch erhalten und somit seine Lehre angetreten. Vor kurzem war er 15 Jahre alt geworden , er war mittelgroß , hatte blaue Auge und blonde weiche lockige Haare. Die Mädchen hatten ein Auge auf ihn. Er holte sich mit dem Schüttkorb Kohlen und ging nach vorne, wo er sich mit dem Bootsmann eine Kajüte teilte und schüttet die Kohlen in die Glut des Ofens. Darauf stand seine grüne Bohnen Suppe, sozusagen sein Leibgericht. Er brauchte es nur noch warm zu machen, aber er konnte auch recht gut andere Gerichte kochen und hatte von seiner Mutter gelernt, wie man mit Faden und Nadel umging, „ein Schiffer muss alles können, er muss jede Situation meistern“ erklärte der Vater und der Junge war fleißig und anstellig. Nach dem Essen, es war schließlich der 24. Dezember, beschloss er, sich die kleine Stadt anzuschauen. Viele Lastkähne hatten nicht festgemacht. Die meistens sahen zu, dass sie ihren Heimathafen erreichten. Aber immer klappte dies nicht und jemand musste auf dem Kahn bleiben. Das war nun mal der Jüngste, der Schiffsjunge. Vom Strom her wehte ein kalter Wind, einige wenige Schneeflocken wirbelten durch die Luft. Henner zog sich seine blaue Joppe an und setzte seine neue Schiffermütze auf. „Damit du einen ordentlichen Eindruck machst“, hatten die Eltern gesagt, als sie ihm die Mütze und noch einige neue Bekleidungsstücke übergaben.

Bis jetzt trug er meist geerbte Sachen seiner älteren Brüder auf. Aber nun war es anders, nun war er wirklich erwachsen. “ Du wirst doch kein Heimweh haben.“ mein Junge meinte die Mutter.

Er war ihr Goldsohne, der Jüngste von vier Kindern und ihr fiel das Abschiednehmen schwer. Ihr Mann, ein lebhafter umtriebiger Schiffer hatte mit seiner freundlichen, lustigen Art im Nu ihr Herz erobert und sie vom Fleck weg geheiratet und sie aus dem Harz in seine Heimatstadt mitgenommen. „Ach, was du denkst „,hatte im Brustton mit tiefer Stimme Henner geantwortet, „bin doch kein Kind mehr“. Bevor er losging sah er nach seinem Weihnachtspaket, aus der einen Tüte duftete es appetitlich nach Weihnachtsplätzchen und Lebkuchen. Das mit Seidenpapier umwickelte Päckchen knüpfte er vorsichtig auf, die goldfarbene Schleife strich er glatt und legte sie zu dem Papier. Ein paar selbstgestrickte graue Fäustlinge und ein gleichfarbiger hellgrauer Schal mit blauen Streifen fielen heraus. Die Handschuhe hatten auch blaue Streifen an den Ärmelbündchen und er sah kopfschüttelnd ,das die Mutter auch noch auf dem Handrücken je einen Anker aufgestickt hatte. Aber kindisch, dachte Henner, obwohl sie es eben gut meint, steckte die Handschuhe in seine Jackentasche und machte den Schal um. So lief er den Steg herunter und der Stadt zu. Er schaute sich ein paar Geschäfte mit ihren blitzenden Auslagen an. Er fand, das die Menschen, die heute durch die Straßen gingen „ein Licht in den Augen hatten“, so wie die Mutter es immer nannte. Ein paar zünftige Weihnachtsmänner und mit Geschenke bepackte Angehörigen eilten zu ihren Familien. Weihnachtsmusik versetzte den Jungen in eine Art von Schwebezustand. Es roch nach einer Mischung aus Glühweinduft, Tannennadeln und Weihrauch. Aufgeregte Kinder machten noch ein paar letzte Einkäufe und malten sich aus ,was wohl der Weihnachtsmann alles bringen würde. Die Kleineren konnten ihre großen Geschwister tatsächlich überzeugen, dass es sehr wohl heute einen Weihnachtsmann gab. Die Ladenbesitzer warteten auf die letzten Kunden und der Weihnachtsbaumverkäufer an der Ecke packte die letzten krüppligen Bäume zusammen.

Von weitem hörte der Junge das Läuten der alten Backsteinkirche. Er sah viele festlich gekleidete Familien, die zur Kinderweihnacht in die Kirche gingen. Da die Kirche Sankt Nikolaus dem Schutzpatron der Seefahrer und Schiffersleute gewidmet war, beschloss er zur Andacht zu gehen. Die Weihnachtsgeschichte führten die Kinder des Ortes mit Hingabe auf. , die Orgel wurde meisterlich gespielt und der Pfarrer predigte den Frieden auf Erden. Anschließend wurde die Kollekte durchgereicht. Da er kein Geld hatte, tat er nur so als wenn er einen Groschen in den Beutel warf, obwohl der Kirchendiener ihn ärgerlich musterte. Henner sah deutlich, das auch sein Nachbar nur einen glänzenden Knopf spendete. Aber manche hielten extra ihre Geldscheine in Höhe, damit jeder sah was sie der Kirche gaben.

Als die Leute aus der Kirche kamen war es fast schon dunkel und der Junge schlug den Weg zum Strom ein. Unterwegs sah er in viele Häuser, in denen die Fenster beleuchtet waren. Er machte sich recht groß und sah die flackernde Kerzen an den schön geschmückten Weihnachtsbäumen, er hörte die Lieder und konnte auch ab und zu einen Blick auf die Familien beim Weihnachtsessen erhaschen. Er musste schlucken um nicht zu weinen und dachte an Vater und Mutter, die große Schwester und die beiden Brüder. Die Mutter hatte es trotz schlechter Zeiten immer verstanden einen guten Festtagsbraten auf den Tisch zu bringen und für alle kleine Geschenke vorzubereiten. Im Gehen wischte er sich seine Tränen ab die ihn fast blind machten und er wäre fast über einen kleinen Jungen gestolpert der zitternd , fast blaugefroren und die kleinen Ärmel der dünnen Jacke über die Ellenbogen halb nass an der Hauswand stand. „Was machst denn du hier, geh bloß nach Hause“: fuhr er den kleinen Kerl an. Dieser fing nun auch noch an zu weinen und konnte sich gar nicht beruhigen. „Na, na, es war doch nicht so gemeint. Schließlich gehörst du Weihnachten nach Hause“, sagte Henner, „hast du dich verlaufen?“ Unter vielen Schluchzern erzählte das Kind, das er am Fluss gespielt habe und an einer flachen Stelle kleine wie Boote geformte Äste hatte ins Wasser gelassen hatte. Die Strömung hätte seine Schiffe mitgenommen und dabei sei die Zeit vergangen und seine Ärmel wären so nass geworden und er sollte doch noch im Hellen nach Hause kommen. „Wo wohnst du denn, ich bringe dich nach Hause?“, na in der Nähe der Kirche in der Kleinen Straße.“ Zeig mal deine Ärmel, die müssen wir wenigstens trockenreiben“ meinte Henner, und nahm seinen Schal und rubbelte an den Ärmeln herum. Da die kleinen Hände immer noch ganz klamm waren holte er seine Handschuhe aus der Tasche und zog sie ihm an. „Nun komm endlich“ sonst kann es nicht Weihnachten werden meinte er und ging Richtung Kirche. Unterwegs konnte der Kleine nicht mehr und Henner setzte das Kind auf seine Schultern. Der war schwerer als erwartet und der Weg wurde immer länger. An der Kirche kam ihnen ein Mann entgegen. „Vater, Vater“ rief der Kleine,“ was haben wir uns für Sorgen gemacht“, sagte der Vater des Jungen und drückte ihn an sich. Er war ein großer kräftiger Mann und der Schmied in der Stadt. Er erzählte, das seine Frau im Krankenhaus liegt und er alle Probleme mit der Familie gerade jetzt zur Weihnachtszeit allein lösen müsse, was ihn manchmal überfordere. „Der Weihnachtsmann war da und hat was für Dich abgegeben“, sagte der Vater zum kleinen Sohn und „Onkel und Tante sind da und morgen wollen wir die Mutter besuchen“. „komm doch mit zur Bescherung, bekommst auch ein Weihnachtsbier“ sagte der Schmied zu Henner, als er ihm die ganze Geschichte erzählte. Dieser aber lehnte ab,“ ich muss doch nach dem Kahn sehen und habe die Verantwortung“. Auf einmal hatte es der Kleine eilig,“ machs gut, bist bestimmt sowas wie ein Ersatzengel“ flüsterte ihm dieser ins Ohr und verlegen trat er ihn auch noch vor das Schienbein und folgte seinem Vater nach Hause.

Da stand nun der Schiffsjunge und Ersatzengel auf der Straße, Er warf sich den noch feuchten Schal um und ging ohne seine Handschuhe (hatte der Kleine behalten) gutgelaunt zum Fluss. In der Kajüte machte er alle Kerzen an und sagte laut „Frohe Weihnachten Mutter, frohe Weihnachten Vater und alle meine Geschwister“ und leiser „frohe Weihnacht kleiner Weihnachtsengel“.

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