Wir müssen uns diesen 1804 geborenen Notar Joseph Euler als den wahren Citoyen vorstellen, also als aufrechten Bürger, der sich den Werten der französischen Revolution verpflichtet fühlt: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – also ein wahrer Demokrat wie in Rousseau in seinem Contrat Social so gekennzeichnet hat: „Der Citoyen ist ein höchst politisches Wesen, das nicht sein individuelles Interesse, sondern das gemeinsame Interesse ausdrückt. Dieses gemeinsame Interesse beschränkt sich nicht auf die Summe der einzelnen Willensäußerungen, sondern geht über sie hinaus.“ Und weil Euler in diesem Denken und Handeln konsequent war, verdanken wir ihm das erste und einzige Köln-Düsseldorfer Verbrüderungsfest.

Am 4. Juli 1843 fand dieses Fest mit über 500 Teilnehmern im Becker’schen Saal am Flinger Steinweg statt. Schon am 22. Juni 1843 hatte es in Düsseldorf eine Demonstration von Bürgern gegeben, der sich auch über tausend Kölner Bürger anschlossen, die mit zwei Schiffen aus der Domstadt angereist waren. Sofort bildete sich eine Kommission aus verschiedenen Lokalpolitikern, darunter unser Notar Euler, der Bankier Trinkaus und der Kaufmann Windscheid. Gefeiert hatten die Demonstranten die Abgeordneten des Proviziallandtags der Rheinprovinz, die sich einstimmig gegen das neue preußische Strafgesetzbuch und für das sogenannte „Rheinische Recht“, das auf dem napoleonischen Code Civil aussprachen, das sie – ganz im Sinne der aufkommenden Demokratiebewegung – für fortschrittlicher hielten. Euler war eine der treibenden Kräfte bei dieser Entscheidung.

Handschrift Eulers von 1948 mit Abbildung (Quelle: Musikverein Düsseldorf)

Handschrift Eulers von 1948 mit Abbildung (Quelle: Musikverein Düsseldorf)

Nach dem Jurastudium in Heidelberg und Bildungsreisen in die Schweiz und nach Italien, die ihm der Vater – ebenfalls Notar – finanzierte. Nach Notar-Jobs in Leichlingen und Opladen übernahm Joseph Euler 1837 die Konzession und die Kanzlei des Vaters. Wann und wie genau er sich zur Demokratischen Bewegung anschloss, wissen wir nicht. Aber dass er den politischen Arm der Revolution von 1848 aktiv unterstützte, ist bekannt. Auch wenn diese Revolution nicht dazu führte, dass in deutschen Landen das Feudalsystem abgeschafft und durch parlamentarische Verfassungen ersetzt wurden, bildete die Bewegung und der aus ihr entstandene bewaffnete Kampf doch die Grundlage für das Entstehen des deutschen Nationalstaats.

Der Vorstand des Malkasten-Verein (hier allerdings ohne Euler)

Der Vorstand des Malkasten-Verein (hier allerdings ohne Euler)

Ob es sein politisches Engagement war, dass ihn bei den Preußen unbeliebt machten, weiß man nicht. Jedenfalls leiteten die 1842 eine Untersuchung gegen Euler ein, die er mit einer genialen Verteidigungsschrift konterte. Aus der entstanden zwei Grundlagenwerke zum preußischen Notariatswesen, die ihn in Fachkreisen über Jahrzehnte berühmt machten. Überhaupt war Euler beruflich äußerst erfolgreich – das womöglich als Folge seiner Umtriebigkeit. Er engagierte sich nicht nur politisch, sondern auch im Bereich der Kultur, der Wirtschaft und des technischen Fortschritts. Man könnte auch sagen: Er stand im Zentrum des hiesigen Klüngels. So initiierte er die Gründung der „Gesellschaft Verein“, einer Art englischen Clubs für die wichtigen Männer der Stadt – hervorgegangen aus der Lese-, der Kaufmanns- und der Casino-Gesellschaft. Er war Mitgründer einer Schifffahrtsversicherung und Mitglied der damals hochinnovativen Dampfschifffahrtsgesellschaft.

Der Eulerhof in Flingern - auf einem Grundstück, das einst Joseph Euler gehörte

Der Eulerhof in Flingern – auf einem Grundstück, das einst Joseph Euler gehörte

Auch bei der Gründung der Gesellschaft „Verein“, entstanden durch die Zusammenlegung der „Lese-, Casino- und Kaufmannsgesellschaft“ (1842/43), war er führend, ebenso als Mitbegründer der „Düsseldorfer Allgemeinen Versicherungsgesellschaft für See-, Fluß- und Landtransporte“ (1845). Auch bei der Dampfschifffahrtsgesellschaft war er Mitglied. Außerdem war er Mitbegründer der neuen Gemäldegalerie und des Künstlervereins „Malkasten“, sowie Vorsitzender des Allgemeinen Musikvereins. Schlau wie er offensichtlich war, investierte er zielgerichtet in Immobilien im damals noch vollkommen ländlichen Flingern – besonders entlang des Flinger Richtwegs, der von Gerresheim aus in die Stadt führte und in die erste gepflasterte Straße der Stadt, den Flinger Steinweg überging. Etwa auf Höhe des heutigen Lindenplätzchens ließ er aus einem kleinen Gehöft einen Gutshof – den Eulerhof – bauen, auf dem er mit der Familie lebte und ein gastfreies Haus führte, in dem viele bekannte Politiker, Kaufleute, aber auch Künstler und Musiker verkehrten.

Ein enger Freund war er Clara und Robert Schumann, die in ihrer Düsseldorfer Zeit bei ihm verkehrten. Er selbst spielte Violine im Düsseldorfer Orchester, und tatsächlich gab Johannes Brahms höchstpersönlich im Herbst 1853 im Eulerhof eine Privataufführung von Bachs Toccata und Fuge in F-Dur. Zeitgenossen schildern Joseph Euler als hochsympathischen, vielseitig interessierten und höflichen Mann. Am 27. Oktober 1886 starb er nach langer Krankheit. Heute erinnert eigentlich nur noch die Wohnanlage Eulerhof an der Dorotheen-/Lindenstraße an ihn, die 1920 auf einem der Grundstücke, die er noch vor seinem Tod an die Stadt verkauft hatte, erbaut wurde.

[Anmerkung: Ob die Eulerstraße in Pempelfort nach Joseph Euler oder doch eher nach dem weltberühmten Mathematiker Leonhard Euler benannt wurde, konnte der Autor nicht klaren.]

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