Es ist eine Schande, dass die letzte Wohnstätte der großen Dichterin Rose Ausländer, das Nelly-Sachs-Haus am Nordpark, Tag und Nacht von der Polizei bewacht werden muss nur weil es ein jüdisches Altenwohn- und pflegeheim ist. Es ist für unsere Stadt ein großes Glück, dass die weltweit geliebte Poetin ihre letzte Jahre hier gelebt und ihr Werk erst in ihren alten Tagen wirklich entdeckt wurde, sodass ihre große Popularität in Düsseldorf begann. Kein Zufall übrigens, dass das jüdische Altenheim nach Nelly Sachs benannt wurde – dies geschah auf Vorschlag von Rose Ausländer und aus gutem Grund. Denn wenn Rose ein Vorbild hatte, dann war es diese ebenfalls große jüdische Dichterin deutscher Sprache.

Geboren wurde sie 1901 als Tochter einer jüdisch-liberalen, kaisertreuen Familie in Czernowitz. Die Historie ihres Geburtsortes ist beinahe typisch für ihren weiteren Lebensweg. Heute zählt die mittelgroße Stadt zur Ukraine, aber die Region, zu der sie zählt, lag immer zwischen den Staaten und Kulturen. Die Bukowina gehörte damals zu Österreich-Ungarn, diesem merkwürdigen Riesenreich, dass sich weit nach Osten ausdehnte und in dem ein außergewöhnlicher Bevölkerungsanteil jüdisch war. Czernowitz selbst gehörte über die Jahrhunderte mal zu Polen, mal zum russischen Zarenreich, mal zu Rumänien und war einige Jahre lang innerhalb der Habsburger Monarchie sogar eigenständig. Wie kaum eine andere Region gehörte die Bukowina zu den Landstrichen, die in der Folge des ersten Weltkriegs hin und her geschoben wurden.

Antisemitismus überall

Rose Ausländer mit 13 oder 14 Jahren (Foto: Wikimedia)

Rose Ausländer mit 13 oder 14 Jahren (Foto: Wikimedia)

Und es waren nicht die Deutschen, die nach 1933 für Deportationen von Juden sorgten, sondern die Sowjetunion. Dies als ein Folge des grassierenden Antisemitismus, der schon zu Zarenzeiten immer wieder zu fürchterlichen Pogromen geführt hatte. So floh die Familie Scherzer mit Tochter Rose 1916 nach Budapest und zog 1919/20 weiter nach Wien, wo sie die Handelsschule absolvierte, um dann in ihre Geburtsstadt zurückzukehren. Ihre Mutter war es, die Rose und ihrem späteren Ehemann Ignaz Ausländer riet, in die Vereinigten Staaten auszuwandern, weil sie ahnte, dass Juden in Europa immer mehr in Gefahr geraten würden. 1923 heiratete das Paar, aber schon 1926 trennte sie sich von ihm. In diesem Jahr erhielt sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Ihr neuer Partner wurde Helios Hecht, mit dem sie die folgenden unsteten Jahre zwischen New York und Czernowitz. In den USA veröffentlichte sie erste Gedichte in deutsch-amerikanischen Zeitungen, in der Bukowina schrieb sie für eine Tageszeitung. 1935 trennte sie sich von Hecht und landete in Bukarest als Fremdsprachenkorrespondentin in einer Chemiefabrik. Immer wieder kam sie nach Czernowitz, wo 1939 dann ihr erster (deutschsprachiger) Gedichtband „Der Regenbogen“ veröffentlicht wurde, in dem sich wundervolle Sonette finden wie dieses:

Sonett IX

Ich ging in dich hinein wie in ein Feld
voll Sommerduft und reicher Ährenlast.
Ich baute mir in dir ein Garbenzelt
und wähnte mich in einem Goldpalast.

Die Tage flogen wild um unser Haus,
die Vögel zogen in uns ein und aus,
der blonde Weizen rieselte wie Wein
in unsern tiefen Kelch der Lust hinein.

So war mein Leben auf ein Tun gestellt:
Dein Herz umspannte meine ganze Welt,
und alle Fluren tanzten um mein Glück.

Da kamen Winde und verwirrten dich,
da kamen Falter und entführten dich,
und ließen mich im Stoppelfeld zurück.

Endgültig heimatlos

Freunde hatten sie gewarnt, aber sie hielt sich auch 1940 wieder in Czernowitz auf, um ihre schwerkranke Mutter zu betreuen. Im Juni marschierten als Folge des Hitler-Stalin-Pakts sowjetische Truppen ein, und Rose Ausländer wird unter dem Verdacht, US-amerikanische Spionin zu sein, festgenommen. Vier Monate blieb sie in Haft. Und dann kamen die Deutschen; beim Überfall auf die Sowjetunion überrannten sie auch die Bukowina. Czernowitz wurde von den rumänischen Hilfstruppen besetzt, die alle Juden ins Ghetto sperrten – übrigens auch Paul Celan, den Rose dort kennenlernte. Wie durch ein Wunder überlebte sie in der Folge die Auflösung des Ghettos, entkam der Deportation und Zwangsarbeit, indem sie sich in einem Kellerversteck vor der Verfolgung verbarg.

Nach der Befreiung durch die Rote Armee reiste sie über Bukarest in die USA. Bis 1956 schrieb sie dann ausschließlich in englischer Sprache. Unter dem Einfluss von Paul Celan, den sie 1957 traf, wandte sie sich der deutsche Sprache zu und modernisierte ihren Schreibstil zu dem, was wir heute vor allem von ihr kennen. 1964 ging sie nach Wien. Was sie dazu getrieben hat, 1965 nach Düsseldorf zu kommen, bleibt ungeklärt. Von hier aus unternahm sie zahlreiche Reisen quer durch Europa, die – zum Beispiel nach einem Besuch Venedigs – sie zu etlichen Gedichten inspirierten. Mit siebzig Jahren zog sie dann ins gerade eröffnete Nelly-Sachs-Haus um. Erst ihre Begegnung mit dem Verleger Helmut Becker im Jahr 1975 führte dazu, dass ihr Werk in Deutschland bekannt wurde. 1977 erlitt sie nach einem Sturz einen Oberschenkelhalsbruch, und sie beschloss, das Haus nicht mehr zu verlassen und sich ganz auf ihre Schreibarbeit zu konzentrieren.

Rose Ausländer in den Achtzigerjahren (Foto: Fischer Verlage)

Rose Ausländer in den Achtzigerjahren (Foto: Fischer Verlage)

Rosalie Beatrice Ausländer geborene Scherzer hat uns einen zeitlosen Schatz an Dichtung hinterlassen, der doch geprägt ist von ihrem durch die Zeitumstände geprägten Leben. Wie sie selbst betonte, ging es ihr immer um das Schreiben an sich, um die Arbeit an den Worten. Dabei gekennzeichnet eine schwebende Leichtigkeit, die Musikalität ihrer Sprache die über 3.000 Gedichte, die sie in den rund 50 Jahren ihres Schaffens schrieb. Viele ihrer Gedichte werden bis heute nicht nur gelesen, sondern zitiert, und gehören zum Kanon der deutschen Sprache. Am 3. Januar 1988 starb sie und wurde auf dem jüdischen Teil des Nordfriedhofs beerdigt. Ihr dichterischer Nachlass wird vom Heinrich-Heine-Institut betreut und gepflegt. Erst im vergangenen Jahr würdigte die Stadt Düsseldorf Rose Ausländer durch die Benennung einer Straße nach ihr – allerdings einer, am Rand des FH-Campus an der Rather Straße angelegten, die bisher noch in keinem Stadtplan zu finden ist.

Mutterland Wort
Mein Vaterland ist tot
sie haben es begraben
im Feuer
Ich lebe
In meinem Mutterland
Wort.

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