Auch wenn das Dehnungs-E im Namen auf eine rheinische Herkunft deutet, stammt die Familie Lueg doch aus dem Westfälischen, wo – zum Beispiel im Ortsnamen Soest – das E ebenfalls als Kennzeichnen für einen langen Vokal dient. Heinrichs Vater Wilhelm stammte aus bäuerlichen Verhältnissen, schaffte den Aufstieg über den Zwischenschritt Hauslehrer hin bis zum ersten angestellten Generaldirektor einer deutschen Fabrik. Unter seiner Ägide wurde aus der wenig industriellen St.-Antony-Hütte der Konzern Gutehoffnungshütte (GHH) in Oberhausen. Nachdem Sohn Carl den Posten des Vaters erbte, machte sich Heinrich Lueg mit Franz jun., dem einem Mitglied der GHH-Inhaberfamilie Haniel selbstständig. Die beiden gründeten 1872 in Düsseldorf die Maschinenfabrik Haniel & Lueg. Beide engagierten sich in der Lokalpolitik, besonders stark im Sinne der Industrialisierung und des Wachstums, und gründeten gemeinsam mit August Bagel und Friedrich Vohwinkel 1896 die Rheinische Bahngesellschaft (kurz: Rheinbahn). Deren erste Aufgabe war die Erschließung von Oberkassel und der Grundstückshandel.

Hochaktive Fabrikanten

Die Maschinenfabrik Haniel & Lueg an der Grafenberger Allee (1899)

Die Maschinenfabrik Haniel & Lueg an der Grafenberger Allee (1899)

Ausgangspunkt war Luegs Initiative, eine feste Brücke zwischen Düsseldorf und dem linksrheinischen Raum zu errichten und eine elektrische Schnellbahn über den Rhein hinweg bis nach Krefeld zu installieren. Historisch betrachtet gab es über die Jahrhunderte nur wenig Kontakt zwischen der bergischen Hauptstadt und den Landgemeinden jenseits des Flusses. Das Kirchspiel Heerdt mit seinen ausgedehnten Acker- und Weideflächen orientierte sich immer deutlich in Richtung Neuss und gehörte lange Zeit zu Kurköln. In der napoleonischen Ära gehörte der linke Niederrhein zu Frankreich; der Rhein war eine ausgesprochen hermetische Grenze. Später bestand zwischen Heerdt und den Weilern Ober- und Niederkassel sowie Lörick eine relativ teure Zollgrenze.

Stadtplan Düsseldorf von 1905: Oberkassel in der Entstehung

Stadtplan Düsseldorf von 1905: Oberkassel in der Entstehung

Und weil es zwischen Düsseldorf und dem linksrheinischen Gebiet so wenig Kontakte gab, wurde erst Ende des 17. Jahrhundert eine permanente Verbindung in Form einer Gierponte eingerichtet. Dies war wegen der Grenze zwischen Heerdt und den anderen Dörfchen eher auf den Fernverkehr Richtung Niederlande ausgerichtet und erst 1839 wurde ungefähr an der Stelle, an der sich heute die Oberkasseler Brücke befindet, eine Pontonbrücke erbaut. Dabei liegt eine Fahrbahn auf schwimmenden Pontons auf, von denen jeweils zwei oder vier beiseite gefahren werden mussten, wenn ein Schiff passieren wollte. Entsprechend gering war die Kapazität. Lueg hatte aber bald nach seinem Umzug nach Düsseldorf die Vision, mehr Raum auf dem linken Rheinufer zu erschließen und gleichzeitig die Verbindungen zum linken Niederrhein und den Städten Krefeld und Neuss zu stärken.

Vom Provinzstädtchen zur Industriemetropole

Die Landgemeinde Neuss 1805 - näher an Neuss als an Düsseldorf

Die Landgemeinde Neuss 1805 – näher an Neuss als an Düsseldorf

Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner und allen anderen wichtigen Industriellen der Stadt arbeitete Lueg schon an der Rheinisch-Westfälischen Industrie- und Gewerbeausstellung von 1880 mit, die auf seine Initiative mit der großen Industrie- und Gewerbeausstellung Düsseldorf von 1902 eine Wiederholung fand und den Ruf Düsseldorfs als Messestadt begründete. Ab 1888 war er Mitglied der Stadtverordnetenversammlung und auch dort die treibende Kraft beim Übergang des beschaulichen Provinzstädtchens zur Industriemetropole. Das alles betrieb Heinrich Lueg natürlich nicht aus purem Altruismus; er war durch und durch Geschäftsmann und natürlich immer daran interessiert, maximale Profite zu erzielen.

Portal der ersten Oberkasseler Brücke (Foto: Rheinbahn)

Portal der ersten Oberkasseler Brücke (Foto: Rheinbahn)

1895 schlug er den Bau einer festen Brücke vor, bereits 1896 wurde das Projekt genehmigt und die Rheinbahn als Projektgesellschaft gegründet. Die kaufte systematisch Grundstücke (es heißt „für 30 Pfennig pro Quadratmeter“), richtete ein Straßenraster ein und sorgte für die Infrastruktur (Wasser, Gas, aber auch schon Strom). Zur Bebauung wurden dann Grund und Boden mit einem hundertfachen Aufschlag für 30 Mark pro Quadratmeter verkauft. Mit diesen Gewinnen finanzierte die Rheinbahn nicht nur den Brückenbau (an dessen Kosten sich die Stadt nicht beteiligte), sondern auch die elektrifizierte Bahnlinie nach Krefeld, die nur vier Wochen nach Fertigstellung der Brücke am 15. Dezember 1898 als erste Schnellbahn Europas startete. Aus dieser Bahn wurde später die Linie K, die heute als U76 immer noch dieselbe Strecke befährt.

Die Geburt Oberkassels

Blick nach Oberkassel während des Brückenneubaus 1976

Blick nach Oberkassel während des Brückenneubaus 1976

Während Heerdt, Niederkassel und Lörick ländlich blieben, entwickelte sich Oberkassel innerhalb von kaum zehn Jahren zu einem modernen, urbanen Viertel, in dem 1907 schon über 11.000 Bewohner gezählt wurden. Die Rheinbahn hatte nicht nur die Infrastruktur gestellt, sondern für sichere Deiche gesorgt und anstelle der alten Rheinstation am Rande der Rheinwiesen einen richtigen Bahnhof am heutigen Belsenplatz gebaut. Oberkassel war auch der erste Düsseldorfer Stadtteil (eingemeindet 1909), in dem schon in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts alle Häuser ans Stromnetz angeschlossen waren. Auch hatte man eine für damalige Verhältnisse hochmoderne Feuerwache und ein ebenfalls modernes Gymnasium eingerichtet.

Auch wenn nicht alle Details von Heinrich Lueg erdacht waren, war er doch die Persönlichkeit, die nicht nur Visionen für die Zukunft Düsseldorfs hatte, sondern die Hartnäckigkeit, diese mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln in die Realität zu überführen.

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