Lesestück · Noch heute löst dieses düstere Gebäude um die Ecke der Kunstakademie gemischte Gefühle aus. 1926 ursprünglich als Firmenzentrale der Phoenix AG erbaut, wurde es nach dem Umzug des Unternehmens in den Stahlhof zum Arbeitsamt umfunktioniert. Und da musste man als Schüler oder Student hin, wenn man damals in den Siebzigern einen Ferienjob suchte. Es gab da sogar eine spezielle Studentenvermittlung, die ein bisschen so funktionierte wie heute die illegalen Tagelöhnerbörsen an verschiedenen Orten in der Stadt, wo die Männer warten bis andere Männer in dicken Autos kommen und ihnen Schwarzarbeit für weniger als den Mindestlohn anbieten. Der existierte noch nicht, aber die Löhne, die man seinerzeit Schülern und Studenten zahlte, waren recht anständig. [Lesezeit ca. 5 min]

Überhaupt gab es Ferien-, Aushilfs- und Tagesjobs in Hülle und Fülle. Wenn man nicht gerade am ersten Tag der Semester- oder Schulferien ins Arbeitsamt dackelte, konnte man sich aussuchen, ob man jede Menge Kohle durch schwere Maloche verdienen oder mit minimalem Aufwand das kleine Geld machen wollte. Man saß und stand im Gang, und alle paar Minuten kam ein*e Arbeitvermittler*in raus und fragte, ob jemand da sei, der dieses oder jenes könne. Meldete man sich, hatte man in aller Regel den Job. Ansonsten wartete man, bis man dran war und sah der Frau oder der Mann hinter dem Behördenschreibtisch zu, wie sie oder er im Karteikästchen blätterte, um die passende Tätigkeit zu finden.

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Wurde man sich einig, bekam man einen Zettel mit dem Namen des künftigen Arbeitgebers, der Adresse und manchmal auch der Telefonnummer; vom Arbeitsamt wurde man avisiert, und fast jeder wusste, dass es viel erfolgversprechender war, umgehend bei der Firma aufzuschlagen, denn nicht selten warteten die anfordernden Personaler dort nur wenige Stunden bis sie sich eine*n andere*n Kandidat*in schicken ließen. Also rief ich laut „Hier!“ als an einem sonnigen Morgen im September 1971 ein Arbeitsamtler auf den Flur hinaustrat und fragte: „Jemand von der Künstlerakademie da?“ In seiner Amtsstube gestand ich, dass ich tatsächlich erst mit dem kommenden Wintersemester Kunststudent würde, aber das störte ihn nicht. Aber er schrieb auch keinen Zettel, sondern sagte knapp: „Gehen Sie mal runter ins Souterrain. Kurz vor der Kantine hat der Hausmeister sein Büro. Da müssen Sie hin.“

Die fröhlichen Hausmeister

Ich tat wie geheißen und traf drei Herren in grauen Kitteln an, die gerade das Frühstück einnahmen. Deren Büro war klein, bis auf ein schmales Oberlicht fensterlos und vollgequalmt. Es gab zwei angeranzte Schreibtische und eine Reihe dieser typischen Behördenschränke. „So,“ sagte der eine mit einem angebissenen Metbrötchen in der Hand, „der Künstler.“ Die anderen feixten. „Ich sollte mich hier melden,“ sagte ich mit der Schüchternheit eines 18-jhrigen Abiturienten, der plötzlich richtig echten Arbeitern begegnet. „Ja, genau,“ meinte der Wortführer, „das ganze Haus braucht neue Türschilder.“ Er legte den Imbiss ab, öffnete einen Schrank und übergab mir einen Karton. „Und jetzt meldest du dich erstmal bei der Personaltante, damit du auch Lohn kriegst. Danach kommst du nochmal runter.“

Wieder folgte ich den Anweisungen. Im Personalbüro gab ich meine Lohnsteuerkarte ab und erfuhr, welch horrendes Honorar ich für die Arbeit bekommen sollte. Und dass ich mir ruhig Zeit lassen können, es eile nicht, der Job sei für sechs Wochen ausgeschrieben. Einer der Hausmeister wies mir ein leerstehendes Büro oben unterm Dach zu. Es gab einen Schreibtisch samt Telefon und der unvermeidlichen Schreibunterlage sowie einen Arbeitstisch rechts vom Dachgaubenfenster, von dem aus ich einen feinen Blick über die Altstadt hatte. Telefonieren könne ich nach Lust und Laune, teilte mir der neue Kollege mit, nur Auslandsgespräche sollte ich lieber lassen, das gäbe Ärger. „Und was muss ich jetzt genau tun?“

Unterm Dach

Er öffnete den Karton und legte den Inhalt auf den Arbeitstisch: ein Stapel chamois-farbiger Pappe, drei Kunststoffschablonen für Buchstaben und Ziffern, mehrere Rapidograph-Stifte und Tintenfässer. Dann wies er mich auf die Schneidemaschine hin, die auf dem Boden stand. „Also,“ begann er seine knappe Erklärung, „du gehst jetzt von Zimmer zu Zimmer, schreibst die Nummer und den Namen ab, kommst hierher, schneidest ein passendes Stück Pappe zu und schreibst dann mit der Schablone die Nummer und den Namen fein säuberlich auf. Dann gehst du hin und ersetzt die ollen Schilder durch die neuen. Verstanden?“ Ich nickte. „Die sind aber nicht immer aktuell. Also gehst du rein in so ein Zimmer und fragst, ob das Schild draußen noch aktuell ist. Falls ja, ist alles klar. Falls nein, fragst du, was sich geändert hat und notierst dir das. Kapiert?“

Natürlich hatte ich verstanden und kapiert. Mich bewegte etwas anderes: „Wie viele Amtstuben, also Schilder gibt es denn?“ Er zuckte mit den Schultern: „200? 250? So um den Dreh.“ Okay, dachte ich, sechs Wochen sind 30 Arbeitstage, also muss ich so zwischen sieben und acht Schilder am Tag schaffen. „Wo muss ich mich morgens melden?“ Der Typ lachte lautlos. „Bei niemandem. Du kriegst von uns einen Ausweis, damit kannst du rein und raus wann und wie du willst; musste nur beim Pförtner vorzeigen.“ Hey, dachte ich: ein Traumjob! Tatsächlich kontrollierte mich in der ganzen Zeit kein Mensch, und jeden Freitag konnte ich mir 298,60 Mark bei der Kassenstelle abholen. Was noch besser war: Nachdem ich den Bogen raushatte und meine Tätigkeit, ähem, rationalisiert hatte, schaffte ich bis zu zwanzig Schildchen am Tag – das Herumlaufen im gruseligen Amt samt Fahren im Aufzug nahm mehr Zeit in Anspruch als die ganze Malerei.

Wenig Arbeit, gutes Geld

Es wurde noch besser. Ich richtete mich unterm Dach wohnlich ein, brachte mir Zeichenblock und Stifte mit sowie das jeweilige Buch und teilte mir die Tage so ein, dass ich morgens gegen halb neun auflief, zwei Stündchen arbeitet, um mich dann bis mittags meinen eigenen Dingen zu widmen. Nachmittags malochte ich dann um die drei Stunden, und gegen sechzehn Uhr dreißig machte ich Feierabend. Zwischendurch telefonierte ich viel und sah auch einfach nur aus dem Fenster. Zudem war ich mit Speisen und Getränken bestens versorgt, den die bekam ich in der hochsubventionierten Kantine für sehr, sehr kleine Mark; das Stammessen kostete für Arbeitsbeamte, also auch mich, gerade einmal 80 Pfennige, der nicht besonders gute Kaffee einen Groschen, und selbst Cola und Süßigkeiten wurden zu Großmarktpreisen verkauft.

Ich verdiente also gut und gab wenig aus. Mit den Hausmeistern freundete ich mich ebenso an wie mit dem Kantinenpersonal. Die Hausmeisterbude war tapeziert mit Pin-ups und Fortuna-Fotos, und hätte ich was von Fußball verstanden, hätte ich mit den Jungs stundenlang fachsimpeln können. Außerdem kannten mich nach zwei Wochen fast alle Arbeitsvermittler, weil ich denen ständig auf den Fluren begegnete oder ich bei den meisten schon einmal im Zimmer gestanden hatte. Obwohl ich alles ruhig angehen ließ, war ich nach etwas mehr als vier Wochen doch fertig. An allen Türen prangten ordentlich gemalte Schilder mit der jeweiligen Nummer des Zimmers und den Namen der Insassen. Ein paar Tage druckste ich gegenüber dem Oberhausmeister rum, aber dann legte ich das Geständnis ab. Er lachte: „Und? Alles jut! Schöne Schilder haste gemacht, alle freuen sich. Und jetzt machste es dir da oben einfach gemütlich. Hast doch bestimmt was fürs Studium vorzubereiten.“

So locker nahm man es in den Siebzigerjahren in den Behörden. Die Arbeit wurde gemacht, aber schön langsam und sorgfältig, denn man wollte ja als Beamter auch Mensch bleiben. Deshalb suchte ich mir in den folgenden Jahren mit Vorliebe Ferienjobs im Bereich der öffentlichen Verwaltung, was mir auch gelang. Aber das ist eine andere Geschichte, die im oben erwähnten Stahlhof spielt. Meine Schilder taten viele Jahre lang Dienst und wurden erst so um 1976 herum durch moderne Stecktäfelchen ersetzt, die natürlich viel flexibler und vor allem moderner waren.

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