[Lesestück] Um es vorwegzunehmen: Der Gag an dieser Story ist, dass ich amtlich „Sekretärin“ genannt wurde, obwohl ich ein Kerl bin. Das war Ende der Siebzigerjahre noch so. Und ein Detail am Titelbild (ein Szenenfoto aus der wunderbaren Serie „Mad Men“, die in einer New Yorker Werbeagentur in dieser Zeit spielt) rührt mich fast zu Tränen – die wundervolle IBM-Kugelkopfschreibmaschine! Genau an einer diesen Typs habe ich im Jahr 1979 bei der kleinen, feinen PR-Agentur EMKA Press gewirkt. Die Geschäftsräume lagen im ersten Stock eines Hauses an der Tonhallenstraße, gleich neben dem Karstadt-Parkhaus. Der Laden im Parterre gehörte auch dazu … und wurde später als Wasserbetten-Studio genutzt; aber das ist eine andere Geschichte.

Wie schon in den anderen Folgen dieses nervenzerfetzenden und authentischen Stücks meiner Lebensgeschichte erwähnt, habe ich mir als wirklich armer Student meine Zusatzbrötchen zwischen 1971 und 1980 fast durchweg mit Bürojobs verdient. Nur in den Semesterferien zu jobben reichte nicht, denn mein Etat belief sich auf 220 DM Waisenrente und 260 DM Bafög. Und weil das WG-Zimmer an der Kleverstraße allein knapp 200 DM verschlang, war ich gezwungen, durchgehend mindestens halbtags arbeiten zu gehen. Nun hatte mich die Praxis über die Stationen Mannesmann, Schulkollegium, Rank Xerox etc. pp. doch sehr weit in den Tätigkeitsbereichen einer (damals) modernen Sekretärin qualifiziert. Hey, ich konnte mit fast allen zehn Fingern tippen, und in der Ablage war ich ein Magier.

Weil nach beendetem Studium die Aussichten auf eine Anstellung im Lehramt an weiterführenden Schulen in den Fächern Kunst und Deutsch mau aussahen und ich als Aushilfslehrer immer nur solche 8-Stunden-pro-Woche-Stellen bekam, beschloss ich, mich auf eigene Kosten fortzubilden und belegte einen Abendkurs zur Ausbildung als Sekretärin. Der fand in dieser Schule an der Bachstraße statt, Details weiß ich nicht mehr. Die Sache zog sich über drei oder vier Monate hin und umfasste natürlich Unterricht im Zehn-Finger-blind-Tippen, in Stenografie sowie Korrespondenz und Ablage. Am Ende hatte ich ein Diplom in der Hand, nach dem ich nun eine „Sekretärin“ war. Damit meldete ich mich beim Arbeitsamt als arbeitssuchend.

Komischerweise prasselte keine Angebote auf mich ein. Die Frau an meiner Seite aber war seinerzeit bei der Apotheker- und Ärztebank an der Heinrich-Heine-Allee beschäftigt und ging nicht selten zum Mittagessen in der Kantine des benachbarten Arbeitsamtes. Dort kam sie eines Tages mit einer Beamtin ins Gespräch, die beklagte, eine PR-Agentur suche einen männlichen Halbtagssekretär, und sie habe da niemanden in der Kartei. „Oh, doch,“ sagte die bessere Hälfte, „meinen Mann!“ Die Vermittlerin hatte mich übersehen. Also bekam ich rasch einen Vorstellungstermin. Ich klingelte bei EMKA Press. Ein junger, flotter Typ öffnete und führte mich durchs menschenleere Großraumbüro. Er bot mir einen Sitzplatz an einer Art Konferenztisch an und fragte, ob ich einen Kaffee wolle. Ich bejahte.

Dann bat ich einer der Inhaber in sein Büro: Manfred Esser. Eine freundliche Erscheinung, ein feiner Mensch, der mir auch später noch in Erinnerung blieb. Sein Kompagnon, Manfred Müller-Kurzwelly, sei unterwegs, den würde ich später kennenlernen. Er stellte den Laden vor, erzählte von der Kundschaft und skizzierte meine Aufgabengebiete. Wir wurden uns handelseinig, und wenige Tage später trat ich meinen Dienst an. Ich hockte in einem ziemlich kleinen Vorzimmer und hatte nichts zu tun, denn MK, der Namensgeber der Agentur, war immer noch nicht zurück von seiner Reise. Mich wunderte, dass es außer mir, dem jungen Mann, der sich als Auszubildender entpuppte, Manfred Esser und einer zweiten Halbtagssekretärin keine weiteren Mitarbeiter gab, obwohl im Großraum Platz für sicher fünf, sechs Leute gewesen wäre.

Wie auch immer. Müller-Kurzwelly war da. Er bat mich in sein Büro und erzählte ebenfalls von den Kunden und den Aufgaben. Außerdem fragte er mich nach meinen Interessen und Hobbys aus. Ein paar Tage lang durfte ich dann für ihn Briefe schreiben und handschriftliche Notizen eintippen. Mir gefiel der Job und vor allem die ruhige und gelassene Atmosphäre in der Agentur. Dann rief er mich eines Tages herein und sagte: „Sie sagten, Sie seien aktiver Schachspieler, richtig? Ich hab da einen schwierigen Kunden, den Deutschen Schachbund. Haben Sie Lust die zu betreuen?“ Ich stotterte ein bisschen und meinte dann: „Ja, aber was muss ich denn da tun?“ – „Das erkläre ich Ihnen dann schon.“ Konkret ging es um die Umsetzung einer Idee, die ein rühriger Typ entwickelt hatte – der später als Schiedsrichter bei TV-Übertragungen bekanntgewordene Horst Metzing. Der war Geschäftsführer des DSB und hatte die Vision eines internationalen Großmeisterturniers.

Das sollte in Hannover stattfinden und den Schachsport per Fernsehen und umfassender Berichterstattung in der Presse ins Bewusstsein der Bevölkerung hieven. Die Aufgabe für unsere Agentur sollte einerseits die Suche nach Sponsoren und andererseits das Konzept für das Großmeisterturnier selbst sein. Letzteres fiel mir dann zu. Wir reisten nach Hannover und unterhielten uns mit dem OB Schmalstieg. Wir besichtigten die vorgesehenen Hallen. Wir trafen uns öfters mit Metzing, der uns wiederum die Türen zur internationalen Schachszene öffnete. Wir waren mehrere Tage als Zuschauer bei der Schacholympiade 1982 in Luzern, wo wir im Quartier der Deutschen Nationalmannschaft hausten … und die Abende in der Hotelbar mit Größen wie Dr. Helmut Pfleger und dem genialischen Robert Hübner. Natürlich wurde dann auch Schach gespielt. Müller-Kurzwelly und ich schlugen in einer sehenswerten Partie ein dann doch ziemlich betrunkenes Mitglied der Nationalmannschaft. Später lernte ich im Rahmen eines Turniers in Bad Kissingen den Großmeister Viktor Kortschnoi kennen sowie jede Menge andere internationale Größen des Sports.

Dann brachte ich die Idee ein, die jeweils zwei besten Schachspieler von jedem Kontinent einzuladen sowie zusätzlich die zwei Besten aus der Sowjetunion und Nordamerika, sodass ein Feld mit sechzehn Teilnehmern entstehen würde. Das gefiel, und so begann ich mit den möglichen Kandidaten Kontakt aufzunehmen. Nebenbei organisierte ich alles, was für ein solches Turnier gebraucht wurde. Außerdem war ich einen kreativen Prozess eingebunden. Mein Chef hatte die DSB-Leute nämlich davon überzeugt, während des Turniers ganz Hannover in eine Schachstadt zu verwandeln. Überall sollten Freiluftfelder entstehen, es sollte Schachpartys geben, das ganze Kulturleben sollte aufs Thema abgestimmt werden. Mein Job war es, Ideen in konkrete Pläne zu verwandeln.

Aber wie das manchmal so ist: Vier Monate vorher sprang der einzige Großsponsor ab, die Veranstaltung war geplatzt. Immerhin war über Horst Metzing und Helmut Pfleger der Kontakt zu der Münchner Elektronikfirma Hegener & Glaser entstanden, die gerade den ersten halbwegs brauchbaren Schachcomputer namens Mephisto auf den Markt bringen wollten. Dabei handelt es sich zunächst um ein faustgroßes Kästchen mit Tastatur und LED-Anzeige, in den man den eigenen Zug eingab und darauf wartete, dass er den Gegenzug meldete. Die Partie selbst musste man händisch auf ein Schachbrett übertragen. Und plötzlich war ich Texter. Einen großen Teil des Handbuches schrieb ich, außerdem allerlei Broschüren- und Pressetexte.

Dann teilte ich den Chefs mit, dass ich nicht mehr Sekretärin sein wolle, dass ich aber zur Verfügung stünde, wenn sie einen freien Mitarbeiter bräuchten. Die Kooperation ging dann tatsächlich über ein paar Jahre. Auch in der Zeit als ich – ebenfalls als freier Mitarbeiter – für Data Becker die Computerzeitschrift Data Welt als Chefredakteur betreute. Aufs Thema Computer war ich natürlich über den Mephisto gekommen. Dass der mich in diesem Spiel schlagen konnte, brachte mich a) aus der Fassung und machte mich b) zum Computerfan. Und weil ich bei Data Becker schnell ein bisschen BASIC lernte, programmierte ich für EMKA Press zweimal kleine interaktive Spielereien für Messeauftritte – u.a. für Apetito-Fertigmenüs. Außerdem half ich mit bei der Betreuung des Chemieunternehmens Johnson Matthey auf der Frankfurter IAA, die damals den Katalysator massiv promoteten.

Der Kontakt zu Manfred Esser und Manfred Müller-Kurzwelly blieb lange bestehen. Den beiden verdanke ich das grundsätzliche Verständnis davon, was PR alles sein kann. Außerdem verlor ich bei EMKA Press meine Vorurteile gegen alles, was sich nach Marketing und Werbung anhörte. Dies war von Vorteil als ich einige Jahre später den deutschen Krisen-PR-Papst Klaas Apitz kennenlernte, mit dem ich lange zusammenarbeitet und bei dem ich unendlich viel über Kommunikation lernte. Alles begann mit einem Sekretärinnenjob…

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