Warum ich trotzdem noch Fortune bin? Weil ich gestern zusammen mit lieben Leuten aus dem Viertel im Vossen beisammensaß, wir uns das Spiel gaben, aber eben auch ganz viel über uns selbst erzählten, über unser erstes Fortuna-Spiel, über Brüder, die anderen Vereinen anhängen, über dieses oder jenes Tor von diesem oder jenem Spieler und natürlich über Lumpi Lampertz, Jens Langeneke und Sascha Rösler. Wir erinnerten uns an Laurent Guthleber und Patrick Zoundi, an den klugen Maxi Beister, an Tobi Levels und ein bisschen auch an Dani Schahin und Ivan Paurevic. Wir gingen gemeinsamen die Liste der F95-Trainer durch und haben dabei bestimmt den einen oder anderen vergessen. Und wir waren uns am Ende einig, dass da gestern auf dem Nürnberger Rasen keiner stand, an den wir uns später erinnern werden – den Bodze vielleicht mal ausgenommen. An einem solchen Abend in einer rappelvollen Kneipe zu hocken, wo ein halbes Hundert Fortuna-Freunde auf die Bildschirme starren, die Augen vor Entsetzen geweitet, ist aber trotzdem das, was uns zusammenhält: die Heimat namens Fortuna. Daran gibt es nichts zu rütteln, das haben wir uns schließlich nicht ausgesucht.

Und, ja, ich bin sicher, den Anhänger vieler anderer Clubs geht das ähnlich. Ist mir aber egal, ich interessiere mich nur für Fortuna. Was aber nach einer solch desaströsen Niederlage in Fankreisen abläuft, ist definitiv überall gleich und hoch ritualisiert. Offensichtlich können frustrierte und hyperventilierende Fans nicht anders als Phrasen dreschen, um ihren Gefühlen ein bisschen Bewegungsraum zu verschaffen. Die meinen das ja auch nicht böse, aber im Grunde plappern sie bloß den ganzen Müll nach, den ihnen die Spochtrepochter seit Beginn der „Was geht jetzt in Ihnen vor?“-Ära über Jahrzehnte in die Hirne gewaschen haben. Da ist Küchenpsychologie galore. Da werden die geheimen Gedanken der Söldner auf dem Platz live und in Farbe gemutmaßt und da geht jeglicher Respekt, den man auch vor bezahlten Fußballer haben sollte, flöten.

Das Recht dafür nehmen sich Fans, weil sie sich ja, uh,oh,ah, für den Verein immer den Arsch aufreißen, weil sie weiteste Strecken und stinkenden Bussen verbringen und viel, viel, viel Geld investieren. Vielleicht ist ja das der eigentliche Kern des Fußballgeschäfts: Die Freiheit der Fans öffentlich ohne Rücksicht auf Verluste Triebabfuhr zu betreiben. Insofern wäre der moderne Fußball in den Zeiten der Söldnerei eigentlich nur eine Art Massentherapie. Ein Ventil für den ganzen Frust, den jeder Insasse unsere zuendegehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsform so ansammelt. Und die Spieler sind bloß Watschenmänner, wenn sie nicht vorübergehend mal Helden sein dürfen.

Der eine Kerl am Tisch, der selbst Fußball spielt und bedingt durch zwei große Brüder im Fußball aufgewachsen ist, sagte zurecht, dass das verbindende Element zwischen allen Profikickern ist, dass sie einfach geil aufs Fußballspielen sind. Deswegen gehen die auch immer mit dem Wunsch auf den Platz zu gewinnen – ganz gleich, in welches Team sie der moderne Sklavenhandel gerade geworfen hat. Niemand spielt absichtlich schlecht. Und wenn er es täte, wäre er ein Genie, wenn er es so täte, dass es keiner merkt. Niemand spielt gegen den Trainer. Fußball, auch das bestätigte mein Gesprächspartner, ist ein Fehlervermeidungssport. Das ideale Team besteht aus elf Kickern, die neunzig Minuten lang keinen einzigen Fehler machen. Dieses ideale Team würde folgerichtig jedes Spiel gegen jedes andere Team gewinnen, das nicht auch ideal ist. Basis für die Fehlerfreiheit ist die hundertprozentig Beherrschung des fußballerischen Fußwerks – also so etwas wie Ballannahme, Ballführung, Schusstechnik etc. Zweiter Faktor, der einen idealen Fußballer ausmacht, ist die Abwesenheit von falschen Entscheidungen – die elf Superkicker treffen in jeder Sekunde exakt die bestmögliche Entscheidung.

Aber: die ideale Mannschaft gibt es nicht; manche Teams kommen eine Zeitlang sehr dicht heran, aber noch nie hat ein Verein über Jahre ideale Mannschaften gehabt. Auf der anderen Seite steht das absolute Loser-Teams mit einer Fehlerquote von 100 Prozent. Das gibt es nicht, das hat es noch nie gegeben im Profifußball, weil niemand Berufskicker werden kann, der nicht ein Minimum an Technik beherrscht und das Spiel nicht wenigstens ansatzweise kapiert. Alles zwischen ungefähr 10 und 90 Prozent Fehlerquote ist in den Ligen Woche für Woche zu beobachten. De meisten Fehler haben ihre Ursache darin, dass der Ball rund ist, also ein dynamisches System. Einen Ball zu erobern ist die Folge von einer niedrigen Fehlerquote beim Eroberer und einer höheren beim Verlierer. Da fragt man sich natürlich, warum machen Spieler denn nicht immer dieselbe Anzahl Fehler. Das hängt von dem ab, was man Tagesform nennt. Und die wird wiederum von ungefähr 10.000 Faktoren beeinflusst, auf die – jetzt kommt’s – Trainer, Betreuer und Funktionäre positiv Einfluss zu nehmen versuchen. Alles sehr komplex.

Und alles was komplex ist, ist nur mit dem Verstand auseinanderzufieseln. Nur ist es vermutlich nur eine kranke Utopie, Fans könnten auch nur ansatzweise rational auf das reagieren, was mit dem Verein ihres Herzens infolge der schwankenden Fehlerquote der Mannschaft geschieht. Nein, es wird volle Kanne emotional reagiert. Und dann kommt es zu den eingangs erwähnten Ritualen. Folge 1: Der Trainer muss weg! Folge 2: Der Manager muss weg! Folge 3: Die Spieler können gehen! Folge 4: Der Vorstand muss weg! Folge 5: ALLE MÜSSEN WEG! Früher wurde dergleichen im Stadion und in der Kneipe gebrüllt, heute wird es – mit den erwähnten Phrasen verbrämt – in Foren und auf Facebook gepostet. Macht keinen Unterschied. Und ändert auch nix.

Womit wir bei der aktuellen Mannschaft der glorreichen Fortuna Düsseldorf sind, die angeleitet von einem kompetenten und bemühten Trainerteam, zusammengewürfelt aus Typen verschiedenster Machart und in keinster Weise mit dem Verein und der Stadt verbunden Spiele mit abenteuerlichen Fehlerquoten abliefern. Das Blöde ist, und die helleren Köpfe unter den Fans wissen oder ahnen es, daran lässt sich kurzfristig nichts ändern. Fans aber denken kurzfristig und haben jetzt die Schnauze voll von Trainern, Managern und Spielern. Toll wäre es, wenn endlich, endlich, endlich einmal die Verantwortlichen nicht auf die kurzfristigen „Wünsche“ der Fans reagieren, sondern einen mittel- und langfristigen Plan erarbeiten, der eher über lang, als über kurz dazu führt, dass eine Fortuna-Mannschaft wieder regelmäßig mit einer erträglichen Fehlerquote kickt. Mehr wollen wir doch eigentlich gar nicht.

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