Bericht · Ein betörender Geruch liegt über der Birkenstraße, schon lange bevor ich den Laden betrete. Geruch nach frisch gebackenem Brot. Erinnerungen werden wach, an eine Kinderzeit, in der noch gebacken wurde; an das damit verbundene Gefühl von Geborgenheit; an das Gefühl, endlos Zeit zu haben. Zeit für Details, die das Leben lebenswerter machen. [Lesezeit ca. 4 min]

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Schlange stehen für eine Tüte Brötchen

„Ja, unsere Kunden stellen sich an!“ erklärt Michael Gauert, der Inhaber der Bäckerei Bulle. „Sie warten auf eine Tüte Brötchen mitunter eine halbe Stunde. Und da man sich heute mit Abstand anstellt, sieht das dann schon beeindruckend aus. So eine Schlange ist dann gut und gerne mal 50 bis 100 Meter lang.“ Etwas, worüber man früher mitleidig gelächelt hätte: „Ja, die armen Verwandten im Osten! Aber hier im Westen? Niemals!“ Doch nicht erst seit Corona: das Phänomen des Schlangestehens ist bundesweit zu beobachten. Allerdings nicht überall, beileibe nicht. Aber der selbst produzierende Bäcker schießt in puncto Schlange stehen wohl den Vogel ab.

Aus diesem Ofen kommen die wunderbaren Bulle-Brote (Foto: M. Diederichs)

Aus diesem Ofen kommen die wunderbaren Bulle-Brote (Foto: M. Diederichs)

„Unsere Brote bestehen aus natürlichen Rohstoffen: keine Stabilisatoren, Konservierungsstoffe, keine Backmischung. Als Gärungsmittel verwenden wir Sauerteig, was nebenbei gesagt, auch gesünder sein soll. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Unsere Brötchen werden dann doch mit Hefe gebacken.“ Ein gutes Brot braucht Zeit und viele Arbeitsschritte, so erklärt er weiter. Ein Sauerteig ist ein lebendiges Wesen, das gepflegt und gefüttert werden will. „Da werden zunächst mal die Zutaten gemischt und gerührt. Der Teig geht, einmal, zweimal, insgesamt liegen unsere Brote 24 Stunden bevor sie in den Ofen kommen. Erst dann landen sie, natürlich frisch, auf dem Ladentisch.“

Die positive Seite der Pandemie

Seit Corona, so erzählt er weiter, kommen immer wieder Leute, die nach Sauerteig fragen. Sie wollen selbst backen. Konkurrenz für die Bulle Bäckerei? Michael Gauert beantwortet die Frage mit einem entschiedenen Nein. „Ich finde es total toll, wenn jemand selbst Brot backt. Das sind später diejenigen, die wissen, wieviel Aufwand es ist, ein gutes Brot zu backen. Wir verschenken etwas von unserem Sauerteig. Was ist das schon. Ein paar Löffelchen Mehl, ein bisschen Wasser. Die Leute bekommen das in einem kleinen Gläschen mit und füttern den Starter selbst an.“

Und da warten die Brote auf die Kundschaft, die draußen Schlange steht (Foto: M. Diederichs)

Und da warten die Brote auf die Kundschaft, die draußen Schlange steht (Foto: M. Diederichs)

Auch Michael Gauert hat bemerkt, dass sich der Lebensstil seiner Kunden verändert habe. Sie hätten deutlich mehr Zeit. „Nicht alles an der Pandemie sei schlecht,“ sagt er und lacht. Wohl wahr, so zu mindestens auch meine Beobachtung im Freundes- und Bekanntenkreis. Was früher unter der Rubrik Hobby ein Schattendasein führte, nimmt heute zu Zeiten von Corona, einen erheblich größeren Raum ein. So wird in deutschen Haushalten gebacken gestrickt, genäht und gepuzzelt. Im improvisatorisch eingerichteten Sportstudio wird mit dem Thera-Band trainiert und unter Online-Anleitung zu Salsa-Musik Zumba getanzt. Der ein oder andere hat – zur Freude seiner Nachbarn beschlossen – ein neues Instrument zu lernen.

Dann kam das Warten unter der Devise: „Es muss ja bald wieder normal sein.“ Ein frommer Wunsch. Denn wie wir heute wissen, aus Wochen wurden Monate, und jetzt mit erstmaliger Jährung werden sich wohl viele mit der neuen Situation arrangiert haben. Lockerung? Ein Zurück zum alten Stress? Wollen wir das wirklich?

Bäcker sind systemrelevant

„Wie waren wir früher durchgetaktet!“ erklärt Michael Gauert. „Speziell, wenn man Kinder hat. Das berühmte Elterntaxi. Jeder Nachmittag verplant. Dazu noch Veranstaltungen am Wochenende, private Partys, Elternabende.“ Er stöhnt. „Wieviel Zeit haben wir allein mit dem Kutschieren von A nach B verbracht wurde. Kommunikation über den Rückspiegel: Man selbst mit dem Verkehr beschäftigt, die Kinder mit Kopfhörern auf den Ohren oder am Zocken mit dem Handy. Heute sieht man wieder Kinder auf den Straßen. Väter oder Mütter, die gemeinsam mit ihnen am Wochenende eine Radtour unternehmen.“

Nicht nur Brot wird in der Bulle Bäckerei gebacken, auch leckere Snacks (Foto: M. Diederichs)

Nicht nur Brot wird in der Bulle Bäckerei gebacken, auch leckere Snacks (Foto: M. Diederichs)

Natürlich weiß Michael Gauert, dass er mit seinem Beruf privilegiert ist. Finanzielle Einbußen oder Corona-bedingte Schließungen kennt er nicht. Bäckereien sind systemrelevant. Damit hat er Anspruch auf Notbetreuung im Kindergarten. Er hat eher mehr zu tun als vorher. Gründe dafür? „Es scheint fast so, als ob die Leute es genießen, rauszugehen, etwas vorzuhaben. Auch wenn es nur das ist, sich in die Schlange zu stellen,“ sagt er und lacht. „Aber Spaß beiseite. Der Gang zu Bäcker ist nun mal mit dem Einkauf im Supermarkt nicht zu vergleichen. Es ist etwas Persönliches, etwas, wovon man zu Hause vielleicht sogar erzählt.“

Warum er Bäcker geworden sei? Er sei das schon oft gefragt worden. Aber eine Antwort darauf? „Ich wollte schon immer Bäcker werden. Ja, auch ich bin aufs Gymnasium gegangen. Und ja, meine Eltern hat es gar nicht gefreut, als ich nach der 10. Klasse abgehen wollte. Aber ich wollte nun mal Bäcker werden. Die Liebe zum Handwerk? Zu Mehl, Korn und Wasser? Die Gerüche in der Backstube, das Kneten des Teiges? All das kommt wohl zusammen. Ja, ich bin gerne Bäcker und werde es auch bleiben.“

Ein Kommentar

  1. Ralf Weis am

    Ich fand ja erstaunlich, daß Hefe für Monate kaum zu kriegen war, obwohl nie auch nur im Geringsten die Gefahr bestand, daß Brot knapp wird. Hatte schon ein bißchen was von Vorkriegsstimmung. Vielleicht haben die Leute auch nur ein Hobby gesucht für den Fall einer Ausgangssperre.

    Daß Brotbacken ziemlich befriedigend ist, kann ich jedenfalls bestätigen. Mein Erstgebackenes habe ich den Rest des Tages auf meinem Arm getragen, ab und zu an der Windel schnuppernd, wie stolze Eltern das eben so machen.