Solche Fußballspiele erzählt man am besten von hinten nach vorne. Als die Spieler der glorreichen Fortuna nach dem Torjubel über den von Ihlas Bebou verwandelten Strafstoß über den Rasen tobten, da war nackter Wahnsinn in ihren Gesichtern zu sehen. Eine Mischung aus Stolz, Wut, Erleichterung und vielen anderen starken Emotionen. Und was sagt der Nörgler von nebenan: Endlisch hantsema wieder jewonnen. Zuvor quittierte er jede nicht ganz gelungene Aktion eines Fortunen mit hämischen Bemerkungen und abwertenden Gesten. Aber auch das ist Fortuna, und es war schon immer so: Im Rentnerblock wird genörgelt. Dabei gab es eigentlich nur wenig zu bekritteln. Denn über 90 Minuten war die kämpferische Leistung grandios, die taktische Marschrichtung perfekt und die Fehlerquote relativ niedrig.

Was aber diesen Bochumer Kicker dazu getrieben haben mag, Ihlas Bebou quasi auf der Toraußenlinie im Strafraum umzusensen, wird er möglicherweise selbst nicht erklären können. Eigentlich war die Situation in der 92. Minute durch, und alle hätten mit einem Unentschieden zufrieden sein können. Und dann kommt dieser Heißsporn in Blau (der wegen vielfachen Meckerns und Beleidigen des Gegners schon zuvor ein paar Mal Gelbrot hätte haben können) und langt zu. Natürlich dachten die leidgeprüften Fortuna-Freunde sofort: Gibt der nie, den Elfer. Aber dann zeigte der gute Schiedsrichter Petersen – über den gleich noch zu reden sein wird – auf den Punkt. Ein zweites Stöhnen rauschte durch die Fanreihen: Nicht der Gefoulte selbst! Aber Bebou nahm sich ganz cool das Ei, lief an und versenkte das Ding scharf und präzise rechts unten. Der Bochumer Keeper flog richtig, war aber nicht lang genug. Das war der Siegtreffer.

Dabei fing alles an wie so oft seit November 2016: Die Rotweißen mühen sich redlich, sind phasenweise deutlich überlegen, haben Chancen, die sie nicht verwandeln, und fangen sich dann ein ultrablödes Tor. Apropos: Im klassischen Eckblock für die angereisten Unterstützer war die Stimmung grandios. Nicht zuletzt auch durch gelegentliche Pyro-Aktionen, die allerdings irgendwann zu unkoordinierten Einzelfeuerchen versumpften. Ansonsten waren die Fortunen im Ruhrstadion immer deutlich zu hören. Natürlich versuchte der Grantler am Nebentisch eine Pyro-Debatte zu entflammen (Wat dat wieder kost!), fand aber keinen Rückhalt.

Endlich Iyoha!

Groß war die Freude vieler Freunde des deutschen Meisters von 1933 schon bei der Bekanntgabe der Aufstellung. Es schien, als habe das Trainerteam das Flehen der Fans erhöht, denn von Beginn an stand Emma Iyoha auf dem Platz. Verwirrung herrschte dann aber über das taktische System. Manche meinten, F95 trete mit drei Stürmern an, der Sky-Reporter faselte etwas von einem 4-3-2-1, und die offizielle Statistik sah ein 4-1-4-1. Tatsächlich musste sich der gute Iyoha die Offensiv-, vor allem aber die Defensivaufgaben auf links mit Lukas Schmitz teilen. Wobei sich der eigentliche Außenverteidiger gerade in der zweiten Halbzeit immer mehr nach vorne orientierte. Hervorzuheben ist, wie gut Iyoha in Abwehrsituationen agierte. Leider durfte er offensiv nicht so spielen, wie er es als Joker bisher sehr gut getan hat.

Ach ja, das Tor für den VfL Bochum. Jeder, der die Partien der Fortuna in dieser Saison gesehen hat, konnte die Situation kommen sehen. Im Elfer vor Michael Rensing drücken sich zwei Bochumer herum, umgeben von vier Fortunen. Die Flanke kommt, alles scheint gut, aber dann macht der Ball einen auf Billard, und -rumms- ist er in der Hütte. Es kann nur eine Hundertstelsekunde Unaufmerksamkeit bei Robin Bormuth gewesen sein, die dafür sorgte, dass die gegnerischen Stürmer überhaupt agieren konnten. Denn leider war es sein Mann, der scorte. Ansonsten aber stand die Innenverteidigung betonsicher und hatte jeder Zeit alles im Griff.

Intensives Pressing

Gewonnen wurde das Spiel aber vorne. Die Jungs vom Trainerteam Funkel-Hermann hatte alle Mann vor der Viererkette auf intensives Pressing eingeschworen. Nun ist das ja ein mehr als bewährtes Mittel, die Kontrahenten aus der eigenen Hälfte fernzuhalten – immer aber mit dem Risiko mit schnellem Umschaltspiel und/oder genauen langen Pässen ausgekontert zu werden. Nur beherrscht die VfL-Truppe dieses Spiel nicht besonders gut. Und weil die Männer mit dem F95 auf der Brust immer und immer und immer nachsetzten, gelangen ihnen zahllose Ballgewinne. Natürlich, wie immer in dieser Saison gingen danach auch viel zu viele Bälle wieder verloren. Aber dann wurde eben wieder nachgesetzt.

Verblüffend auch, wie viele tolle Chancen Rouwen Hennings aufgelegt bekam bzw. sich selbst erarbeitete. Der Mann brannte das ganze Spiel über wie eine bengalische Fackel. Der wollte, der wollte unbedingt. Und der ließ den Mut nicht sinken, nachdem er in der ersten Spielhälfte vier oder fünf Dinger nicht verwandeln konnte. Und dann war es der Mann des Tages, der seinen Kollegen Hennings glücklich machte. Lukas Schmitz flankte aus vollem Lauf von halblinks, Hennings nahm etwa an der Fünferkante ebenfalls aus vollem Lauf an und hämmerte die Pille unter die Latte. Von da aus sprang das Ding dem Bochumer Tormann ins Kreuz und von da hinter die Linie. War je ein Tor für die Fortuna in der Saison 2016/17 wichtiger? Nein. Denn es bewies, dass die grundsätzliche Offensivorientierung doch stimmt. Es bewies aber auch, dass aufhören sollte, im vorderen Mittelfeld herumzuwühlen und sich dabei aufzureiben, sondern geduldiger auf solche Flanken warten sollte.

Denn eigentlich hatten die Coaches das Flehen der Fans dann doch nicht erhört. Auch Bebou spielte weiter hinten als gewöhnlich, musste sich dafür aber keine Jobs mit Julian Schauerte teilen, der defensiv alle Hände voll zu tun hatte. Kommen wir zum eigentlichen Mittelfeld, das gestern eine eigenartige Struktur hatte. Der gute Marcel Sobottka gab nämlich den Bodzek und agierte wie dieser vorwiegend defensiv; entsprechend gering fiel die Anzahl seiner Pässe aus. Als Regisseur im engeren Sinne trat dieses Mal Christian Gartner an, der in der ersten Spielhälfte etwas zu zaghaft auftrat, in der zweiten Halbzeit aber die ihm zugedachte Rolle übernahm und in Sachen Pässe mit den Außenverteidigern gleichzog. Oliver Fink durfte erneut nach eigenem Befinden schalten und walten, was ihm – auch wie immer – manchmal ganz toll und manchmal solala gelang.

Die Männer der Partie

Waren spielerisch gesehen Schmitz und Gartner die Männer der Partie, verdienen Fink und Hennings diesen Titel in Sachen Kampf. Beide steckten damit die Kollegen intensiv an. Und vielleicht hat man als Freund der glorreichen Fortuna gestern zum ersten Mal gesehen, wie sich Funkel und Hermann die Sache – zumindest auswärts – grundsätzlich vorstellen: Auf der Basis einer sicheren Innenverteidigung und ständigem Pressing über vier mögliche Flankengeber Chancen für den Mittelstürmer zu kreieren. Falls dem so ist, muss man Friedhelm Funkel Recht geben, wenn er sagt, dass das System unwichtig ist – vor allem die Zahlenspiele, mit denen es beschrieben wird.

Und Emma Iyoha, der knapp zehn Minuten vor Schluss durch Axel Bellinghausen ersetzt wurde? Es war vielleicht der einzige wahre Satz, den der schwer erträgliche Sky-Kommentator von sich gab, wenn er feststellte, dass dieser hochbegabte Spieler robuster werden müsse. Aber das kennt man ja auch von Bebou, den noch vor zwei Spielzeiten ein Windhauch über die Außenlinie wehen konnte und der es heute selbst mit den knochenhärtesten Verteidigern aufnimmt. Ob Iyoha selbst zufrieden war, wird er sicher noch bekanntgeben. Man merkte ihm aber an, dass er in einem engen taktischen Korsett zu spielen hatte und nicht die kreative Freiheit genoss, die ihm so gutsteht. Schön auch, dass ganz kurz vor Schluss der Winterneuzugang Andre Hoffmann für Gartner eingewechselt wurde und sich zeigen konnte.

Viel junges Blut saß wieder auf der Bank. Kann gut sein, dass das Rennen um die Stammplätze der nächsten Saison genau jetzt beginnt und dass sich Kollegen wie Marlon Ritter, Özkan Yildirim, Jerome Kiesewetter und die anderen Youngster in den verbleibenden zwölf Spielen werden beweisen müssen. Gute Ansätze haben sie alle gezeigt, überzeugt aber eben noch nicht.

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