Nein, es geht nicht um die Zeit des Pokalsiegs und der Titelverteidigung samt Europapokalendspiel in Basel. Oder überhaupt die goldenen Siebziger, wo die Fortuna auch schon mal Dritter vor dem Wuppertaler SV wurde – in der Ersten Bundesliga. Es geht um den unaufhaltsamen Aufstieg der glorreichen, aber launischen Diva nach dem Absturz nach ganz unten – dem Werk gewissen- und/oder ahnungsloser Vereinsoffizieller. Und eigentlich beginnen diese schönen Jahre mit einem Abriss beziehungsweise einem Abrissspiel. Denn das Drum und Dran der letzten Partie im legendären Rheinstadion wurde von Fans organisiert. Also von Anhängern des Vereins. Von Menschen, denen die Fortuna ein Teil ihrers Lebens und ein wichtiges Stück Heimat war und ist.

Um diesen 3. März des Jahres 2002 herum war die Anhängerschaft eigentlich schon auf einen harten Kern von vielleicht 3.000 Leuten zusammengeschrumpft, aber zum letzten Spiel in der Schüssel kamen 21.000, davon eben sehr, sehr viele, die mit dem Besuch auch ihr Interesse an der Fortuna für lange Zeit erledigten. Denn am Ende der Saison stand der Abstieg in die viertklassige Oberliga Niederrhein. Wo man sich – bei Heimspielen bisweilen vor nicht einmal 2.000 Zuschauern. Zum Beispiel an einem nasskalten Wintertag im Paul-Janes-Stadion beim 2:2 gegen Germania Ratingen. Immerhin wurde die Mannschaft dann doch Achter … in der vierten Liga. Trainer war ein gewisser Stefan Emmerling, dessen größte Tat vielleicht war, den Jungspund Axel Bellinghausen in die erste Mannschaft zu holen. Volksheld war ein schwer tätowierter Typ mit blondierten Haaren, der nicht nur rannte wie auf der Flucht, sondern kämpfte und sogar Tore schoss. Frank Mayer war der Spieler, von dem es nach einem Torhieß, er habe gefickt. Und der sich nach einer Belohnungsauswechslung schon mal das Trikot vom Leib riss, um mit einem Hechtsprung zu den Fans unten im Block A zu kommen.

Dass die Fortuna nun wieder in der Oberliga (die dieses Mal im Gegensatz zur „Über-die-Dörfer-Tour“ 1993/94 viertklassig war) abgestürzt war, ließ vielen Fans keine Ruhe. Und so schmiedeten die Jungs um Boris Bartels gemeinsam mit den Düsseldorfern Sportreportern einen Plan, der dann am Vatertag des Jahres 2003 Wirklichkeit wurde: das Mythos-Spiel, bei dem im Rahmen eines Volksfestes am Flinger Broich vor gut und gerne 10.000 Leuten die Mannschaft des Jahrgangs 1993 gegen die damals aktuelle Truppe antrat. Für die Veranstaltung gab es im Vorfeld massivste Reklame, sogar einen tollen Kinowerbespot gab es. Nicht wenige Anwesende waren von dem Tag so beeindruckt, dass sie danach wieder regelmäßig zur Fortuna kamen. Aber erst 2004, es war im Mai, begann der sportliche Aufstieg wirklich. Man wurde Zweiter in der Oberliga, weil Velbert aber nicht wollte oder konnte, durfte F95 in die drittklassige Regionalliga Nord aufsteigen. Ihr sehr ergebener Berichterstatter erinnert sich noch an Präsident Charly Meyer, der mit Tränchen in den Augen auf der Treppe der Haupttribüne stand uns sagte: „Und mit dem Fest letztes Jahr [er meinte das Mythos-Spiel]hat alles angefangen.“

Die Kraft der Fans
Währenddessen hatte der größte Teil der 7.400 Zuschauer des ausverkauften Paul-Janes-Stadion den Rasen erobert und feierten mit der Mannschaft im Schein fröhlicher Bengalos. Niemand thematisierte das, es gab keine Presseberichte, niemand hatte Halbangst oder fürchtete um sein Leben. Und wenn ein damaliger Fortuna-Akteuer eine Fackel gehalten hat, an jenem Abend am Flinger Broich, dann hat davon niemand besonders Notiz genommen. Denn nicht wenige der Spieler, allen voran Frank Mayer, Axel Bellinghausen und der junge Lumpi Lambertz, sowie beinahe alle Funktionäre und Vereinsangestellte waren selbst Fans. Ob der damalige OB Erwin auch Fan war? Möglich. Doch schätzte der die eigentlich Fans gering und hatte große Pläne mit der Fortuna – die bis auf den heutigen Tag mit „Manager“ Thomas Berthold und dem „Trainer“ Massimo Morales verbunden sind.

Es waren auch die Fans, die dem Verein eine neue, moderne und stabile Struktur gaben. Ausgangspunkt war die Montagsrunde, ein regelmäßiges Treffen engagierter Fortuna-Freunde, die nicht nur mit Herz, sondern auch Verstand und jeweiliger professioneller Kompetenz an der Fortuna von morgen arbeiteten. Daraus entstand die noch heute existierende Satzungskommission, die – wie der Name sagt – dem TSV Fortuna Düsseldorf 1895 e.V. eine neue Satzung gab. Die sollte für mehr Transparenz und mehr Gestaltungsmöglichkeiten durch die Mitglieder sorgen. Erst die neue Satzung aus dem Jahr 2002 machte den Aufstieg über die Jahre erst möglich – auch wenn sich der Aufsichtsratsvorsitzende Joachim Erwin bei mancher Gelegenheit versuchte, über das Regelwerk hinwegzusetzen. Nicht vergessen darf man die vielen ehrenamtlichen Helfer, die Dienste leisteten, für die einfach kein Geld da war – zum Beispiel die Dokumentation aller Spiele auf Video. Ja, selbst Scouting-Aufgaben übernahmen engagierte und kompetente Fans. Und der Nachwuchsbereich wurde mehr als einmal mit Geld aus dem Jugendförderverein mit neuen Bällen, Tornetzen oder Trikotsätzen versorgt.

In den Jahren 2005, 2006 und 2007 waren es wieder Fans, die den verschiedenen Versuchen des Oberbürgermeisters, die Fortuna mit Macht an sich zu reißen, Einhalt geboten. In der Zeit hatten sich einerseits die im Jahr 2000 gegründeten Ultras Düsseldorf (UD) und andererseits der im Jahr 2003 gegründete Fandachverband Supporters Club Düsseldorf soweit organisiert und stabilisert, dass sie den Interessen aller aktiven Fans als Sprachohr dienen konnten. Dies war angesichts des Umzugs aus dem heimischen Paul-Janes-Stadion am Finger Broich, der eigentlichen Heimat der Fortuna, in die neuerrichtete Arena an der Stelle des alten Rheinstadions von enormer Bedeutung. Denn nur die Organisation aller Fan-Gruppen und -Gruppierungen machte ein Heimisch-Werden im eher abweisenden Neubau möglich. Überhaupt: Waren die Anfeuerungen der Ultras im Paul-Janes-Stadion nicht mehr als ein Teil des gesamten Supports (der mindestens bis 2004 von der Signing-Area im Block A der Haupttribüne geführt wurde), übernahmen die jungen Leute, die einen Teil ihres Lebens ganz der Fortuna widmeten, nun die Regie. Vor allem mit dem Kapo Niko auf dem Zaun, den viele neutrale Beobachter für einen der besten und kreativsten Kapos aller deutscher Fußballvereine in jener Ära halten.

Wachsende Attraktivität
Wieder kamen zigtausende Düsseldorfer vorwiegend aus Neugier, um die Fortuna mal spielen zu sehen. Das war beim sogenannten „Softopening“ der Arena am 10. September 2004, einem 2:0 gegen Union Berlin vor 38.100 Zuschauern. Und diese Zuschauer blieben auch wieder weg; bei den folgenden Heimspielen gegen den Äff-Zeh II und den HSV II am Flinger Broich kamen dann die üblichen 4.000 bis 5.000 Nasen. Selbst in der neuen Dritten Liga, als die Diva ab 2008 dann nur noch in der Arena antrat, waren es selten mehr als 12.000 Zuschauer, bei weniger attraktiven Gegnern verloren sich auch schonmal weniger als 9.000 Menschen in dem Stadion, das mehr einer Messehalle gleicht. Aber allein durch das enorme Engagment der verschiedenen Ultras-Gruppen wurden plötzlich Auswärtsspiele wieder beliebt. Immer öfter waren Regionalzüge an Spieltagen überfüllt mit Leuten in Rot-Weiß, und die Bustouren der diversen Fansclubs und des SCD erfreuten sich wachsender Beliebtheit.

Die „Stimmung“ war es, die Fortuna-Spiele zuhause und auswärts für immer mehr Düsseldorfer immer attraktiver machte. Das entdeckte dann auch der WDR für sich und schaltete aus der Aktuellen Stunde schonmal live in die Arena. Antenne Düsseldorf, der lokalste der Lokalsender engagierte sich immer mehr für die Fortuna und brachte mit Moderator Olli Bendt einen der verrücktesten Fans ans Mikro – und der sorgte von Stunde an für viele legendäre Torschreie. Und je mehr Stimmung herrschte, je mehr Zuschauer kamen und je mehr die Fortuna wieder in die Berichterstattung der Medien gelangte, umso attraktiver wurde der Verein auch für Sponsoren.

Aber: Je populärer die Fortuna in der Stadt wieder wurde, desto mehr wuchs auch die Begehrlichkeit von Leuten, die sich in und/oder mit dern Fortuna profilieren wollten. Und so kam es im Frühsommer 2009, kurz nach dem Aufstieg in die Zweite Bundesliga, zu einem Putschversuch, bei dem eine Gruppe lokaler Wirtschaftsgrößen sich den Verein krallen und durch Einschalten der Vermarktungsagentur SportFive rasch monetarisieren wollte. Und wieder waren es die Fans – in und außerhalb der Gremien -, die letztlich die feindliche Machtübernahme verhinderten und für einen Aufsichtsrat sorgten, der auf langsames Wachstum und vor allem Abbau der Schulden und damit nachhaltige finanzielle Konsolidierung sorgte.

Wir sind wieder da
Der 23. Mai 2009 markiert den eigentlich wichtigsten Meilenstein in diesen schönen Fortuna-Jahren. Durch ein 1:0 gegen Bremen II vor 50.100 Zuschauern, darunter handgezählte 55 Mitgereiste aus Bremen, die man fürsorglich in den VIP-Bereich verbrachte, machte die Mannschaft des damaligen Trainers Norbert Meyer den Aufstieg in die Zweite Bundesliga klar. Es war eines der größten Fußballfeste in einem Fußballstadien überhaupt. Es war unfassbar. Und nicht wenige Fortuna-Fans waren an jenem Abend bei den diversen Partys einfach nur erschöpft und fanden keine Worte für das, was sie erlebt hatten: das vorläufige Ende einer Reise, die mit dem Abstieg in die viertklassige Oberliga gut sieben Jahre zuvor begonnen hatte.

Vielleicht war die Saison 2009/10 die schönste Fortuna-Spielzeit aller Zeiten, denn jedes Heimspiel war eine Party, jedes Auswärtsspiel ein Ereignis, ein Abenteuer. Und wie die Fortunen reisten! Egal wo F95 antrat, die Anhänger kamen in so großer Zahl, dass die Kartenkontingente oft in wenigen Stunden vergriffen waren. Man denke nur an das „Straßenbahnderby“ gegen den MSV am 31. August, bei dem die F95-Fans trotz einer 3:0-Niederlage noch mehr als 30 Minuten nach Abpfiff ihr Team und sich selbst besangen: „Wir sind die Fortuna, wir sind die Fortuna, WIR sind wieder da!“. Jedes Spiel war ein neues Erlebnis; an manchen Orten war selbst altgediente Fortuna-Fans mehr als zehn Jahre nicht gewesen.

Und so erarbeiteten sich die Anhänger des TSV Fortuna Düsseldorf in ganz Fußballdeutschland den Ruf, zu den besten Fans aller liegen zu zählen. Und die Fortuna-Familie wuchs zusammen. Neue Clubs gründeten sich, Leute lernten sich kennen und schätzen. Fest Gruppen an festen Plätzen in der Arena entstanden. Die Nähe der Gremien, der Funktionäre und der Mannschaft zu den Fans war enorm – und es war nicht nur Dauer-Fortune Paul Jäger, die zurecht von der Fortuna-FAMILIE sprach und schwärmte. Gleichzeitig schritt die finanzielle Konsolidierung unaufhaltsam voran, gespeist durch den wachsenden Zuschauerzuspruch und stark angewachsener Sponsorengelder. Man wirtschaftete klug, man entschied weise, und alles hätte immer so weitergehen können, wäre da nicht der – aus heutiger Sicht – vermaledeite Aufstieg in die Erste Bundesliga gewesen.

Aufstieg ohne Feier
Denn ein gewisser Preetz mit seinem gewissenlosen Hertha-Anwalt brachte die Fortuna-Fans um die große Party zum Erstligaaufstieg. Und möglicherweise war der ganze juristische Tumult, den die Berliner Fußballarschgeigen anzettelten der entscheidende Faktor für den späteren Abstieg, denn die Fortuna konnte erst kurz vor Beginn der Saison mit Sicherheit sagen, in welcher Liga man in der Saison 2012/13 antreten würde. Dabei waren die beiden Relegationsspiele für alle, die in Berlin und in Düsseldorf dabei waren, lebensprägende Ereignisse. Allein die Anreise zur Relegationspartie in diesem fürchterlichen Olympiastadion – mit einem aus übelstem Waggonmaterial zusammengestellten Sonderzug, der fast acht Stunden brauchte, um sich auf Güterstrecken nach Berlin durchzuschlagen. Diese wahnwitzige Pyroshow in der Fortuna-Kurve. Die Gefühlsexplosionen bei Brökers Tor und Ramos‘ Eigentor. Die Rückfahrt durch die Nacht.

Und dann das Rückspiel. 15. Mai 2012, in der mit 51.000 Zuschauern restlos ausverkauften Arena. Mit einem Auswärtssieg im Gepäck. Nur nicht verlieren dürfen. 2:1-Führung durch Jovanovic. Aufstieg fast perfekt. Dann der Ausgleich durch Ramos in der 85. Minute. Nur kein weiteres Tor kassieren. Dutzende Freuden-Bengalos auf Fortuna-Seite. Hertha-Fans versuchen durch Werfen von Fackeln einen Spielabbruch zu erzwingen. Lange Unterbrechung. Spannung nicht mehr auszuhalten. Die Minuten laufen runter. SIEBEN Minuten Nachspielzeit. Beinahe Tor für Fortuna. Dann ein Pfiff und Hunderte Zuschauer, die sich bereits an den Außenlinien drängten, stürmen auf den Platz. Chaos. Paul Jäger versucht persönlich, die Leute vom Rasen zu holen, DJ Opa und alle Fortuna-Leute desgleichen. Ein Vollidiot gräbt den Elfmeterpunkt aus und wird dabei gefilmt. Nach gut zwanzig Minuten ist der Platz wieder frei. Schiri Stark holt die Mannschaften zurück und pfeift noch einmal an. Schlusspfiff. Jubel. Platzsturm. Und doch wissen alle Fortuna-Fans: So einfach wird das nichts mit dem Aufstieg.

Und, richtig: Die Hertha klagt. Es kommt zu Verhandlungen und sechs Wochen lang befassen sich die Fortuna-Fans mehr mit Verhandlungen der DFB-Gerichtsbarkeit als mit dem Aufstieg. Keine Feier. Und so bringt der Start in die Erstligasiason, Fortunas erster seit 1997, eher verhaltene Gefühle mit sich. Zumal es das Jahr 2012 ist, das Jahr, das vielleicht einmal in die Geschichte des Fußballs eingehen wird als der Zeitpunkt, an dem sich Fußball und Soccer-Entertainment voneinander trennen. Der Herbst der großen Fan-Verarsche durch den DFB. Es ging um Pyro und den Wunsch einer großen Fan-Basis, kontrtolliertes Abbrennen von Bengalos zu erlauben. Die Aktion 12:12, die dafür sorgte, dass in den ersten 12 Minuten und 12 Sekunden in den Stadien geschwiegen wurde. Support-Boykott auch der Fortuna-Fans beim Pokalspiel in Offenbach. Ausscheiden aus dem DFB-Pokal. Und am Ende der Abstieg – nach einer Saison, die für viele Auswärtsfahrer eine Tortur war, weil die nicht wussten, in welchem Maße die Kommerzialisierung in den Erstligastadien und die Repressalien gegen Auswärtsfans bereits angewachsen waren. Nein, Spaß hat eigentlich nur Lumpis Führungstor beim FC Bayern München gemacht…

Zurück zu normal?
Vielleicht waren die Tumulte in Hannover nach dem besiegelten Abstieg der Fortuna auch das Ende der schönen Fortuna-Jahre. Der Aufstieg hatte nicht nur Massen an neuen Zuschauern gebracht, die keine Ahnung von dem hatten, was in den Jahren ab 2002 rund um die Fortuna passiert war, sondern auch die Rückkehr der Alt-Hooligans. Die dann auch angestammte Machtpositionen in der Kurve übernehmen wollten. Und dabei auf politisch inzwischen aktive Ultra-Gruppierungen stießen, die sich klar antirassistisch und antidiskriminierend positioniert hatten. Es hätte UD sein können, die diesen Konflikt in einem frühen Stadium hätten entschärfen können, aber dieser Mut, diese klare Positionierung fand sich dort nicht. Das Ergebnis: Die Zwangsumsiedlung der „Dissidenti“ weg vom Block 42. Körperliche Anrgiffe gegen Mitglieder der Dissidenti. Bedrohungen. Offenes Zeigen der Fahne einer neofaschistischen Fan-Vereinigung von Atletico Madrid. Wegmobben von Kapo Niko. Generelle Uneinigkeit der Fanszene untereinander, schwächerer Support. Schlechte Gefühle. Schlechte Stimmung.

Die Kraft, die Fortuna in die schönen Jahre befördert und darin am Leben erhalten hat, scheint zu zerfallen. Oder ist schon zerfallen. So entsteht Raum für das, was graue Technokraten „Professionalisierung“ nennen und das zur schleichenden Auflösung der Fortuna-Familie führt. Und was passiert, wenn sich der Familienverband auflöst, wissen wir alle, wenn wir den Zustand der Gesellschaft beobachten. Schön ist das nicht.

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