Unter der Brücke der Toulouser Allee ist das Farbfieber ausgebrochen. Als ich hinkomme, riecht es intensiv nach Lack – und nach Grillfeuer. Biertische und die dazugehörigen Bänke laden zum Verweilen ein. Ein Teil von ihnen dient dem kreativen Schaffen: hier werden Schablonen gebastelt, mit Filzstiften Entwürfe gezeichnet oder alte, von Mauern abgesprengte Graffiti-Farbschichten zugeschnitten, geschliffen und in Schmuck verwandelt. Ich beginne meinen Streifzug über das weitläufige Gelände.

Ungewöhnlich: Lakis Mouratidis malt mit Pinsel und Farbe

Ungewöhnlich: Lakis Mouratidis malt mit Pinsel und Farbe

Tatsächlich ein intensiver Schaffensprozess. Baugerüste sind aufgestellt, Farbdosen liegen herum. Die meist großformatigen Werke sind Graffiti mit der ihnen eigenen Bildsprache: grelle Farben, die eckigen, kaum leserlichen Schriftzüge. Aber es geht auch anders. Entlang der vierspurigen Schnellstraße finde ich einen überlebensgroßen Jesus im Stil eines Gemäldes von Rembrandt, über ihm der Schriftzug „Frontex“. Nicht weit davon entfernt sitzt ein ca. 70-jähriger, englischsprechender Grieche namens Lakis Mouratidis auf seinem Gerüst. Er setzt beklemmende Phantasiebilder über Macht und Gewalt in Szene. Ein Unikum, denn er arbeitet mit Pinsel und Farbtopf.

Auf der anderen Straßenseite, fast gegenüber, ist die Menschenrechts- und Umweltaktivistin Rachna Dhingra abgebildet. Seit 25 Jahren setzt sie sich für die Opfer des bis dato (3. Dezember 1984) größten Chemieunfalls der Welt ein. Sie fordert Gerechtigkeit für die Bhopalis, finanzielle Entschädigung sowie die Beseitigung der immer noch im Boden liegenden Altlasten des Unglücks. Die Verursacher (Union Carbide bzw. Dow Chemical und der indische Staat) weigern sich bis heute, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen (Kostenpunkt nach Schätzung von Greenpeace: 30 Millionen Euro) durchzuführen.

Der heilige Frontex...

Der heilige Frontex…

„Das Bild ist eine Auftragsarbeit – ausgeführt von einem Team um Klaus Klinger, dem Organisator des Festivals,“ erklärt Niklas Hoves. Er ist Geschäftsführer der Stiftung Ethecon. „Ethecon verleiht einmal pro Jahr zwei Preise. In diesem Jahr erhält Rachna Dhingra den Blue Planet Award. Sie betreibt seit 23 Jahren eine selbstverwaltete Klinik in Bhopal für die Opfer der Katastrophe. Die Preisverleihung findet öffentlich statt, Frau Dhingra wird eine Ansprache halten.“

„Die Zustellung des Black Planet Awards gestaltet sich verständlicherweise schwieriger. Die Vertreter der betroffenen Konzerne lassen sich nicht gern ehren,“ fährt Niklas Hoves fort und lacht. „Im Fall von Blackrock, einem Finanzinvestor mit weltweiter Verflechtung bis in die höchsten Regierungskreise, gelang es nur durch einen Zufall. Ich traf den Pressesprecher auf einer Talkshow im Fernsehen.“

Klare Kritik an der europäischen Migrationspolitik

Klare Kritik an der europäischen Migrationspolitik

Ethecon ist seit 2006 aktiv. Mit der Verleihung des Black Planet Awards an Firmen wie Rheinmetall (Waffen), Volkswagen (Dieselskandal), Bayer (Monsanto) und jetzt Black Rock ist es der Stiftung immer wieder gelungen, die Machenschaften von Großkonzernen an den Pranger zu stellen. „Natürlich kommt es vor, dass wir den Black Planet Award nicht persönlich überreichen können. Die Annahme wird verweigert.“ Niklas Hoves lächelt. „Wir schaffen es aber immer, den Pokal so zu platzieren, dass die Presse davon Wind bekommt. Und die greift das Thema dankbar auf.“

Dieses Jahr wird der Preis an JBS verliehen. JBS ist der weltweit größte Fleischproduzent, ein Familienunternehmen aus Brasilen. Nach Recherchen von Ethecon trägt JBS die Verantwortung „[…] nicht nur für unvorstellbare Schädigungen menschlicher Gesundheit bis hin zu millionenfachem Tod, sondern auch für den Ruin der Ökologie, vorneweg des Klimas, in irreparabler Weise […]“

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